Es gibt weltweit immer mehr Kriege mit immer mehr Opfern. Angriffe auf humanitäre Helfer häufen sich. Doch die Nothilfe ist zunehmend unterfinanziert – auch wegen der Budgetkürzungen der Trump-Regierung. Darunter leidet auch die traditionsreichste humanitäre Organisation, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz. Ein Gespräch mit dem IKRK-Generaldirektor.

SRF News: In Gaza wurden vor kurzem 15 humanitäre Helfer von israelischen Sicherheitskräften erschossen, darunter Mitarbeiter ihres Partners, des Palästinensischen Roten Halbmondes. Was können Sie sagen zu diesem Fall?

Pierre Krähenbühl: Wir sind zutiefst empört über die Tötung unserer Kollegen. Man muss sich vorstellen, in welchem Umfeld sie arbeiten – mit höchsten Risiken. Ihr Engagement ist enorm. So viele humanitäre Akteure sind im Gazastreifen ums Leben gekommen in den vergangenen 18 Monaten. Dennoch herrscht allgemeines Schweigen. Wir können das nicht einfach akzeptieren.

In den meisten aktuellen Konflikten – in der Ukraine, in Gaza, im Jemen, im Sudan, in Myanmar – wird das humanitäre Kriegsvölkerrecht regelmässig verletzt. Sind die Genfer Konventionen nur noch ein Stück Papier?

Wenn man sie ernsthaft anwendet, dann retten sie Leben. Unseren Zugang zu Kriegsgefangenen haben wir nur dank den Genfer Konventionen. Aber es stimmt: Im Moment sind sie zutiefst in Frage gestellt. Wenn das, was momentan im Gazastreifen geschieht, ein Zeichen ist für die Zukunft der Kriege, dann steht die fundamentale Frage unserer gemeinsamen Menschlichkeit im Raum.

Ich finde, wir Menschen haben uns zu sehr daran gewöhnt, Krieg einfach als Bestandteil der menschlichen Erfahrung zu sehen.

Wir dürfen uns an solche Horrorsituationen nicht gewöhnen – an Tötungen, Tote, Verletzte, Vertriebene, Amputierte. Wir stehen auch im engen Dialog mit den Israelis, den Familien israelischer Geiseln. Bei ihnen sitzen Schmerz und Trauma tief. Ich finde, wir Menschen haben uns zu sehr daran gewöhnt, Krieg einfach als Bestandteil der menschlichen Erfahrung zu sehen. Sieht man das so, engagiert man sich ungenügend für die Prävention und das Lösen dieser Konflikte.

Es gibt immer mehr und oft lang andauernde Kriege, aber es gibt weniger Geld. Sehen Sie einen Ausweg aus diesem Dilemma?

Natürlich ist das schwierig in der heutigen hochpolarisierten Welt. Aber gerade, weil es nicht leicht ist, müssen alle mit allen reden. Wir brauchen ein neues Denken. Wir müssen auch im Gegner den Menschen sehen. In gewalttätigen Konflikten kommt zu oft die Menschlichkeit abhanden, der Feind wird als Tier gesehen. Doch schlussendlich muss man sich irgendwann mit ihm an einen Tisch setzen. Wir humanitären Akteure machen das tagtäglich und schaffen so bescheidene Lösungen im humanitären Bereich.

Besonders unter Druck – auch in der Schweiz – steht momentan das Palästinenserhilfswerk UNRWA, das Sie früher selber geleitet haben. Kritische Stimmen finden, dessen humanitäre Aufgaben sollten andere Organisationen wie das IKRK übernehmen. Wäre das eine Alternative?

Nein, das IKRK wird die UNRWA-Aktivitäten und das UNRWA-Mandat nicht übernehmen. Es ist ein wichtiges Mandat, aber ein anderes als jenes des IKRK. Im Moment sollten wir ohnehin nicht humanitäre Helfer kritisieren, die in Gaza oder im Westjordanland im Einsatz sind. Viel wichtiger ist es, mehr humanitäre Hilfe zu ermöglichen. Im Moment ist es unmöglich, Nahrungsmittel und andere Unterstützung nach Gaza zu bringen. Und die Sicherheit der humanitären Akteure vor Ort ist bedroht. Darauf müssten wir uns konzentrieren, auf humanitäre Lösungen.

Das Gespräch führte Fredy Gsteiger.

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