Der DFB war bislang eher nicht dafür bekannt, sich brisanten Themen zu widmen. Noch dazu in der Öffentlichkeit. Insofern überrascht die Offensive, mit der der Verband nun eine sensible Debatte angestoßen hat.
Wie DFB-Geschäftsführer Andreas Rettig in einem Interview verkündete, prüft der Verband, ob es bei Nationalmannschafts-Wechseln von Talenten die Möglichkeit auf Entschädigungszahlungen gibt. Nationalmannschafts-Wechsel – eine Vokabel, die bei manch Babyboomer immer noch ein Fragezeichen nach sich zieht. Man kann das Land wechseln wie einen Verein? Ist das nicht eine Frage des Herzens, des Gefühls, der Verbundenheit – und letztlich auch des Passes?
Genau darin liegt das Problem. Migration und gesellschaftlicher Wandel haben das Thema in den vergangenen Jahrzehnten diverser und diffuser gemacht. Auch auf deutschen Fußballplätzen. Viele junge Kicker besitzen neben ihrem Spielerpass noch zwei weitere. In den Spielerkadern der DFB-Auswahlen von der U15 bis zur U21 sind rund die Hälfte der Spieler nicht mehr nur auf dem Platz per Doppelpass unterwegs. „Es gibt Jahrgänge, in denen sieben oder acht Spieler in der Startelf zwei Pässe besitzen“, weiß Rettig. Und weil davon später im Erwachsenenalter viele beim Gegner zu finden sind, fragt sich nicht nur Rettig, für wen hier am Ende eigentlich ausgebildet wird.
Ein Thema, das der Fußball von rivalisierenden Vereinen kennt, wenn etwa ein Schalker Nachwuchsspieler nach Dortmund wechselt oder sich ein Talent aus dem HSV-Nachwuchsleistungszentrum das St.-Pauli-Trikot überstreift. Dass sich der Ärger meist in Grenzen hält, liegt daran, dass die Aufbauarbeit nach einem festen Schlüssel finanziell entschädigt wird. Genau das wird nun für die Nationalmannschaften geprüft.
Maza will Spielzeit
Viele Nationalspieler machen bei ihren Pass-Stafetten ohnehin keinen Unterschied mehr zum Klubfußball. Die Entscheidung für oder gegen ein Land ist in Zeiten von schwindendem Patriotismus oft keine des Gefühls, sondern der Kalkulation. Sportliche Perspektive, wirtschaftliche Erwägungen und der Karriereplan diktieren, bei welcher Hymne die Hand aufs Herz gelegt wird.
Dies wurde gerade erst wieder deutlich, als Leverkusens Ibrahim Maza seine Entscheidung für die algerische Nationalmannschaft bekannt gab. „Deutschland hat großartige Spitzenspieler auf dieser Position. Es wäre sehr schwer für mich, dort zu spielen. Ich dachte, auf der Position des Spielmachers wäre es sehr schwierig, Spielzeit zu bekommen. Mein Ziel war es, an der Weltmeisterschaft teilzunehmen. Auf dieser Position, mit Spielern wie Musiala, Wirtz und anderen, dachte ich, dass ich – rein sportlich betrachtet – bessere Chancen hätte, mit Algerien bei der Weltmeisterschaft zu spielen“, sagte der gebürtige Berliner. Spielzeit sammeln, bessere Chancen auf Einsätze – so sprechen normalerweise Bundesligaspieler, die sich für zwei Jahre zu einem Zweitligisten ausleihen.
Das Ganze funktioniert aber auch andersherum. Manche Spieler entscheiden sich bewusst für Deutschland aus sportlichen Gründen: Oder glaubt wirklich noch irgendjemand, dass Mesut Özil aus Verbundenheit und Überzeugung im Deutschland-Trikot auflief?
Rettig, Rink und die Suche nach der deutschen Oma
Das grundsätzliche Thema ist in Deutschland nicht neu. Andere Verbände haben das Scouting in Einwanderungsländern seit Jahren institutionalisiert. Die Türken waren die ersten, die 1998 mit Erdal Keser einen Europakoordinator installierten, der fortan mit dem roten Fähnchen durch die Lande zog, um türkischstämmige Talente für die Auswahl der Heimat ihrer Eltern oder Großeltern zu gewinnen.
Auch Rettig war schon mal in ähnlicher Mission unterwegs. In seinen ersten Funktionärsjahren bei Bayer Leverkusen reiste er häufig nach Südamerika, um dort Talente zu sichten, in deren Stammbäumen idealerweise gleich noch eine deutsche Ur-Oma ausfindig zu machen und ihnen einen Pass mit dem Adler zu besorgen, um die Reglemtierung der Nicht-EU-Ausländer-Regel zu umgehen. Davon profitierte wie im Fall von Paulo Rink auch die deutsche Nationalmannschaft.
Gut möglich, dass damals die Brasilianer schimpften. Oder auch die Südafrikaner, als das „Torkrokodil“ Sean Dundee im deutschen Sturm auf Torejagd ging. Letztlich ist es auch einerlei, welcher Verband die Diskussion anstößt. Klar ist: Sie zu führen, ist richtig und längst überfällig.
Wer nun anmerkt, dass vor allem die Vereine für die Ausbildung der Talente verantwortlich sind, irrt und sollte wissen, wo und von wem deren Trainer ausgebildet wurden, oder sich an den DFB-Stützpunkten anschauen, wie häufig der hoffnungsvolle Fußball-Nachwuchs dort im Rahmen von Kreis- Bezirks- oder Landesauswahlen zu Sichtungen und Lehrgängen zusammengezogen wird.
Mag sein, dass der Ruf nach Kompensation auch wirtschaftlicher Motivation folgt. Der größte Schaden für Verbände wie den DFB ist jedoch ein anderer. Schließlich haben Spieler, die sich am Ende für einen anderen Verband entscheiden, jahrelang einen Kaderplatz besetzt, der einem anderen Talent verwehrt blieb.
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