Sie war eine der Protagonistinnen des vielleicht emotionalsten, auf jeden Fall überraschendsten deutschen Gold-Coups bei den Olympischen Winterspielen 2022 von Peking. Sie überzeugte auch in den folgenden Weltcup-Saisons, avancierte zu einer festen Größe und etablierte sich in der eigentlich von anderen Nationen dominierten Langlauf-Weltspitze. Sie wäre folglich die größte deutsche Hoffnungsträgerin auf den schmalen Brettern bei den Winterspielen in Mailand und Cortina d‘Ampezzo (6. bis 22. Februar). Die Rede ist von Victoria Carl. Sie wäre die größte deutsche Medaillenhoffnung – wenn, ja wenn die Dinge im Frühjahr nicht eine Wendung genommen hätten.

Denn während Peking 2022 märchenhaft war, steckt die Thüringerin seit einem halben Jahr in ihrem persönlichen Alptraum fest. Einer, dessen Ausgang ungewiss, aber sehr bald zu erwarten ist. Und einer, bei dem ein Happy End mehr als fraglich scheint. Denn Carl wurde positiv auf eine verbotene Substanz getestet. Was eindeutig klingt, ist es nicht. Der Fall scheint anders als andere. Und der komplette Deutsche Skiverband (DSV) steht hinter seiner Athletin. Allerdings: Das ändert an der Tatsache des positiven Dopingtests und an den Regeln nichts. Wegen der kleinen Chance auf einen guten Ausgang aber hält sich Carl seit Monaten ganz allein fit und hat sich nun auch erstmals geäußert.

„Ich hatte mich zuletzt aus den sozialen Medien zurückgezogen, um meine mentale Gesundheit zu schützen“, schrieb Carl auf Instagram. „Heute fühle ich mich aber stark genug, euch an meinem Leben teilhaben zu lassen. Es gibt Tage, da will ich aufgeben. Und es gibt Tage, an denen die Sonne etwas heller scheint. Ich bin durch schwierige Zeiten gegangen und habe noch schwierige Zeiten vor mir.“ Zu der positiven Dopingprobe als solches äußerte sie sich nicht.

Andreas Schlütter, bis in jüngster Vergangenheit sportlicher Leiter Skilanglauf im DSV, jetzt unter anderem Sprecher des Vorstands, sagte kürzlich dazu: „Ich hoffe auf eine faire und auf eine transparente Entscheidung. Wir wissen, wie die Sache zustande gekommen ist.“

Und darum geht es: Die 30-Jährige war in einer Dopingprobe von Ende März dieses Jahres positiv auf das Mittel Clenbuterol getestet worden. Laut der Sportlerin und des DSV soll der Wirkstoff aus einem Hustensaft stammen, der Carl nach dem Ende der Weltcup-Saison bei den Militärweltspielen durch einen Truppenarzt der Bundeswehr medizinisch verordnet und verabreicht worden war. Im Juni war dies bekannt geworden.

Eine Auszeichnung als Zeichen

Seitdem herrscht Ungewissheit. Carl, die 2022 in Peking gemeinsam mit Katharina Hennig Gold im Teamsprint und Silber mit der Staffel gewonnen hatte, droht das Aus für Olympia. Sollte eine Schuld oder Teilschuld erkannt werden, kann eine mehrjährige Sperre verhängt werden – auch eine fahrlässige Einnahme kann eine Sperre zur Folge haben. Ursprünglich war ein Urteil für September oder Oktober erwartet worden. Langlauf-Bundestrainer Peter Schlickenrieder sprach zuletzt davon, dass es nun Mitte November so weit sein soll.

„Sie scheinen den Fall akribisch zu prüfen. Ich glaube, es zieht sich so lange, weil es kein einfacher Fall ist“, sagte er mit einem kleinen Funken Resthoffnung. Ähnlich äußerte sich Schlütter. „Es sind sehr viele Fragen gestellt worden von unterschiedlichen Institutionen. Das gibt mir ein bisschen das Gefühl, man prüft die Sache wirklich. Die Experten, die uns begleiten, bestätigen uns, dass man diesen Fall anders betrachten muss.“

Darf Carl bei den Winterspielen nicht starten, fehlt dem deutschen Langlauf-Team ihre zuletzt beste Athletin und jene, die abseits der Staffel und des Teamsprints die besten Chancen auf einen Podestplatz hat. In der Saison 2023/2024 feierte die Thüringerin, die mit drei Jahren zum ersten Mal auf Skiern stand, in Trondheim (Norwegen) ihren ersten und lange ersehnten Weltcupsieg. Im vergangenen Winter führte sie als Schlussläuferin die deutsche Staffel zu WM-Bronze und beeindruckte vor allem als Zweite des Gesamtweltcups.

Als Wertschätzung für diese Leistung und auch als Beweis dafür, dass der Verband hinter ihr steht, wurde Carl Ende Oktober mit dem „Goldenem Ski“ geehrt, der höchsten Auszeichnung des Verbandes für die besten Athleten der vergangenen Saison. „Wir haben sie bewusst für ihre Leistung geehrt“, bestätigte Schlütter.

„Ich glaube: Jedem ist klar, dass bei ihr keine Doping-Absicht dahintersteckt“, sagt auch Schlickenrieder. Er hofft auf eine milde Strafe für seine Athletin, sagt aber auch: „Fehler anderer oder Unwissenheit schützen nicht vor Strafen. Daher rechnen wir schon sehr deutlich damit, dass sie Olympia verpassen wird. Am Ende des Tages gibt es Fakten, über die niemand hinwegspringen kann. Das ist tragisch für Victoria. Da platzt ein Kindheitstraum, so wie es ausschaut.“

Eine Suspendierung hat Folgen

Das Warten, die Ungewissheit, das wahrscheinliche Platzen des Olympia-Traums und der Versuch, sich dennoch weiterhin fit zu halten – die gesamte Situation beschreibt Schlickenrieder für Carl als „eine Katastrophe und mental extrem schwierig“. Zumal die 30-Jährige auf sich alleine gestellt ist. Denn wegen der vorläufigen Suspendierung, die in solchen Fällen Standard ist, darf sie nicht mit ihrer Trainingsgruppe oder der Nationalmannschaft trainieren. Carl zieht meistens alleine ihre Runden.

„Sie versucht, sich fit zu halten, aber der Vicky geht es mit der Situation nicht gut, das muss man ganz klar sagen“, berichtete Schlütter bei der Einkleidung der Sportler für die Weltcup-Saison: „Das macht auch mit der Mannschaft was. Das geht nicht spurlos an einem vorbei.“ Im Rahmen des Erlaubten erhält sie aber Unterstützung, ist im regelmäßigen Austausch mit Schlickenrieder, einem Sportpsychologen und den Teamkolleginnen.

Schwierig ist neben dem mentalen Aspekt auch die Trainingssteuerung und -kontrolle. Denn auf welches Ziel trainiert sie? Dass einzige, was hundertprozentig sicher ist: Beim Weltcupstart Ende November in Ruka (Finnland) wird sie nicht dabei sein. „Im Moment“, sagt Schlickenrieder, „kannst du wahrscheinlich als sicheres großes Ziel nur die Olympischen Winterspiele 2030 festlegen. Und da, sage ich der Vicky, da werden wir Olympiasieger. Da gehst du dann als große Langläuferin von deiner Bühne.“ Aber bis zu den Spielen 2030 in Frankreich ist es noch weit. „Ich befürchte“, sagt er, „es wird noch eine schmerzhafte Phase für Vicky werden.“

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