Wir wollen hier nicht über Geschmack streiten. Das neue Trikot der Fußball-Nationalmannschaft ist da, manche werden es wunderschön, andere ganz fürchterlich finden, ganz so wie alle zwei Jahre, wenn vor den großen Turnieren das neue Outfit unserer Fußballer auf den Markt geworfen wird. Stets garniert von hochtrabendem PR-Sprech, der vor der Veröffentlichung durch 17 Abteilungen gelaufen ist und dem deutschen Fan das kostspielige Stück Stoff schmackhaft machen soll.

In diesem Fall dichteten sie beim DFB und Adidas über das neue Trikot (bitte halten Sie durch): „Das Heimjersey ist eine Hommage an die größten Erfolge und legendärsten Trikots Deutschlands bei Fußball-Weltmeisterschaften. Das neue Heimtrikot erscheint in traditionellem Weiß mit einem Rautenmuster in Schwarz, Rot und Gold, das von den ikonischen Designs der Weltmeister-Trikots inspiriert ist. Die Zickzack-Optik ist an das Modell aus dem Jahr 1994 angelehnt, als die USA das Turnier zum letzten Mal ausrichteten. In Kombination mit einer schwarzen Hose und weißen Stutzen, die das Rautenmuster erneut aufgreifen, entsteht ein zeitgemäßer Look, der die Wurzeln und das klassische Erscheinungsbild der deutschen Fußballnationalmannschaft würdigt.“

Angelehnt an die WM 1994 also. Das war natürlich ein Turnier mit Erinnerungswert. Diego Maradonas legendäre Karriere endete unrühmlich in einem Dopingfall, der Russe Oleg Salenko erzielte fünf Tore in einem Spiel, und der bezopfte Italiener Roberto Baggio sorgte mit seinem Fehlversuch im ersten Final-Elfmeterschießen der WM-Geschichte für großes Drama.

Fußball-WM bedeutete: Deutschland im Finale

Aber aus deutscher Sicht? Da gab es vor allem Stefan Effenberg, der sich mit einem ausgestrecktem Mittelfinger ein frühes Rückflugticket buchte und zumindest ein bisschen deutsche Sprachgeschichte schrieb – zwei Jahre später wurde der Begriff Stinkefinger in den Duden aufgenommen.

Und dann war da der 10. Juli, an dem bei mir eine Welt zusammenbrach.

1975 geboren, hatte ich zuvor bewusst drei Weltmeisterschaften erlebt. 1982, das Drama gegen die Italiener um Paolo Rossi auf dem Sofa in der Ferienwohnung in der Holsteinischen Schweiz dicht am Geist von Malente. 1986 gegen Maradona und Burruchaga, wieder auf einem Sofa, wenige Kilometer entfernt, meine Eltern hatten nun ein Ferienhaus. Und dann 1990 der Triumph von Rom mit der ganzen Klasse in der Schule während einer gemeinsamen Übernachtung. Kurzum: Fußball-WM bedeutete für mich, dass Deutschland im Finale steht.

Dann kam jener Sonntag 1994. Keine Eltern mehr, keine Schulklasse, die Kumpels. 14.00 Uhr Treffen, erst zwei Stunden selber kicken, dann zu Christopher. Grill anschmeißen, Vorberichte, jetzt auch erstmals Final-Bierchen. 18.00 Uhr deutscher Zeit Anpfiff in New York, gegen Bulgarien, das noch nie so weit gekommen war. Was soll da bitteschön schiefgehen?

Das wird schon ...

Das Spiel ist mäßig, aber Matthäus trifft nach der Pause per Elfmeter, alles im Soll. Ehe binnen drei Minuten passiert, was eigentlich unmöglich ist. Erst gleicht Stoichkov aus, denn hält Letchkov die legendäre Haarinsel auf seiner Halbglatze in eine Flanke und schießt die Bulgaren in Führung. Gut zehn Minuten sind da noch zu spielen. Ich weiß noch genau, wie keiner der zehn jungen Männer im Raum in Panik verfiel. Das wird schon, wird es ja immer.

Wurde es nicht. Abpfiff, Deutschland raus im WM-Viertelfinale. Gegen einen Underdog. Wir waren alle wie betäubt, die Gesetze des Universums waren außer Kraft gesetzt. Wenn eine Bierflasche in diesem Moment an die Decke geschwebt wäre, es hätte wohl keinen gewundert. Fast wortlos verabschiedeten wir uns, jeder zog von dannen. Das erlebte schlug uns noch tagelang aufs Gemüt.

Damals konnte natürlich niemand ahnen, dass heutzutage ein erreichtes Viertelfinale nach zuletzt zwei Vorrunden-Debakeln schon ein Erfolg wäre. Und dennoch: Ich möchte an diese WM von 1994 nicht erinnert werden.

Sven Flohr ist Ressortleiter der WELT-Sportredaktion und hat den Fakt, dass Bulgarien seit 1998 an keiner Fußball-WM mehr teilgenommen hat, in diesem Text erst ganz am Ende unterbekommen.

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