Er war „Mr. Red Bull“. Seit das Brauseimperium 2005 erstmals in der Formel 1 an den Start ging, war Dr. Helmut Marko als Motorsportchef dabei. Der 82-Jährige machte aus einem „Werbegag“ einen Spitzen-Rennstall, der acht Fahrer- und sechs Konstrukteurs-Weltmeisterschaften gewann. Nach dem Saisonfinale am vergangenen Sonntag, bei dem Red-Bull-Star Max Verstappen knapp den Titel verpasste, verkündete Marko seinen Rücktritt. Warum? Das verriet er beim Interview in seiner Heimat Graz.
Frage: Herr Marko, wie geht es Ihnen?
Helmut Marko: Gut, ich fühle mich erleichtert. 20 Jahre bin ich jetzt fast im Wochentakt per Langstrecke um die Welt an Rennstrecken gereist. Das muss ich jetzt nicht mehr. Und wenn, dann mache ich es aus freien Stücken. Der Druck ist weg. Ich muss nicht mehr ständig zum Hörer greifen und Informationen einholen, wie es um die Fahrer oder Probleme mit dem Auto steht.
Frage: Empfinden Sie auch Wehmut?
Marko: Nein. Zumindest noch nicht. Mal schauen, wie es sein wird, wenn die neue Saison losgeht. Ich werde das Geschehen natürlich verfolgen und bin schon in der Klärung, wie ich an die Sektoren-Zeiten kommen kann. (lacht) Aber Zweifel daran, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe, gibt es bei mir nicht.
Frage: Es gab auch Stimmen, die besagen, dass der Rücktritt nicht Ihre freie Entscheidung war, Sie nicht aus freien Stücken gegangen sind.
Marko: Das entspricht nicht der Wahrheit.
Frage: Sie wurden nicht aus dem Team gedrängt?
Marko: Nein. Es war einzig und allein meine Entscheidung.
Frage: Wie sind Sie zu dem Entschluss gekommen?
Marko: Der Gedanke ist im Saisonfinale gereift. Ein Titelgewinn nach der Aufholjagd von Max Verstappen in der WM – er hatte immerhin zwischenzeitlich 104 Punkte Rückstand – wäre für mich das historischste Ereignis in der Geschichte der Formel 1 gewesen und die Erfüllung meines letzten großen Traums im Motorsport. Ich wollte immer mit einem Fahrer fünfmal in Folge Weltmeister werden. Das hat bisher nur Michael Schumacher mit Ferrari geschafft. Das ist etwas ganz Besonderes.
Frage: Der Traum platzte, Verstappen wurde hinter McLarens Lando Norris nur Zweiter in der WM.
Marko: Die Geschichte hat sich wiederholt. Bereits mit Seb (Sebastian Vettel, die Redaktion) hatten wir zwischen 2010 und 2013 vier Titel am Stück gewonnen. Aber 2014 wurde er nur Fünfter und wechselte im Anschluss zu Ferrari. Dass sich dieses Jahr erneut die Chance bot, war eine große Überraschung. Ich erzähle Ihnen nichts Neues, wenn ich sage, dass unser Auto eigentlich nicht schnell genug war, um mit den McLarens mitzuhalten. Aber sie machten zu viele Fehler, sodass wir eine Chance hatten. Die Saison war eine Achterbahn der Gefühle – die leider mit einem Rückschlag geendet ist und der Erkenntnis, dass sich mein letzter großer Traum nicht mehr erfüllen wird.
Frage: Das war der Grund für Ihren Rücktritt?
Marko: Ja. Genauso wie die Aufholjagd von Max das perfekte Ende gewesen wäre, war es im Umkehrschluss richtig, jetzt aufzuhören. Die Einsicht kam am Tag nach dem Rennen.
Frage: Sie sind Verstappens Entdecker und Förderer. Wie hat er auf Ihren Rücktritt reagiert?
Marko: Leider konnte ich es ihm nicht persönlich sagen, weil er das geplante Abendessen aufgrund eines Problems mit seinem Flugzeug verpasst hat. Deswegen hat er es erst mit einem Tag Verspätung erfahren, als ich ihn angerufen habe. Wir waren natürlich beide ein wenig emotional und melancholisch, haben über die gemeinsame Zeit gesprochen. Wir konnten und können es noch immer nicht fassen, was wir alles erreicht haben. Von so viel hätten wir nie zu träumen gewagt. Aber Max' Weg ist noch nicht zu Ende. Er geht ihn jetzt nur ohne mich weiter. Dafür habe ich ihm viel Glück gewünscht.
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Frage: Hat sich Christian Horner bei Ihnen gemeldet? Sie führten den Rennstall 20 Jahre gemeinsam, bevor er im Sommer nach einem Machtkampf mit Ihnen entlassen wurde.
Marko: Nein. Ich habe von Christian seit seiner Entlassung im Juli nichts mehr gehört und denke auch nicht, dass sich das noch mal ändern wird. Es ist traurig, dass das so geendet ist. Aber manchmal soll es halt nicht sein.
Frage: Wie blicken Sie auf Ihre Zeit bei Red Bull zurück?
Marko: Das war eine Achterbahnfahrt. Ich erinnere mich noch, wie alles angefangen hat. Didi (Konzern-Gründer Dietrich Mateschitz, die Redaktion) und ich haben unseren Fahrer Christian Klien 2004 in das Cockpit von Jaguar eingekauft. In dem Prozess habe ich gemerkt, dass da mehr geht und Jaguar bereit war, das Team zu verkaufen. Ich rief Didi an und habe ihm nur gesagt: „Es ist so weit.“ Und der Boss antwortete nur: „Okay, probieren wir es.“
Frage: Der Rest ist Geschichte: Sie führten das Team zum Gewinn von acht Fahrer- und sechs Konstrukteurs-Titeln.
Marko: Wir wollten das Abenteuer Formel 1 anders angehen. Siege und Weltmeisterschaften waren damals in weiter Ferne. Unser Ansatz war ein anderer als der von Mercedes und Ferrari. Als wir 2005 erstmals an den Start gegangen sind, haben wir gesagt, dass es ein Erfolg wäre, wenn wir vielleicht mal ein Rennen gewinnen würden. Wichtiger war aber das Drumherum.
Frage: Wie meinen Sie das?
Marko: Unser Credo war immer „Die Dose ist der Star“. Alles war auf die maximale Präsenz für Red Bull ausgelegt. Wir haben damals sogar Druckerpressen aus Heidelberg um die Welt fliegen lassen, um bei den Grands Prix die Fahrerlager-Zeitung „Red Bulletin“ rauszubringen. Die war richtig gut! Ron Dennis hat sich mal persönlich angegriffen gefühlt, weil ihm der Humor bei einem Porträt über ihn fehlte. Der war richtig wütend, aber wir wussten, dass es ein gutes Produkt war. Wir haben abseits der Strecke neue Maßstäbe gesetzt.
Frage: Dann entwickelte sich Red Bull zu einem Top-Team ...
Marko: Ja. Irgendwann hatten wir das Maximum erreicht und den Entschluss gefasst, dass wir jetzt auf der Strecke nachziehen müssen. Unser Technikteam wurde immer besser und das Chassis auch. Wir kletterten in der Weltmeisterschaft langsam, aber stetig nach oben. Plötzlich verhandelte ich mit dem zweimaligen Weltmeister Fernando Alonso über einen Vertrag, aber er nahm uns nicht wirklich ernst. Didi entschied dann, dass wir keine Stars kaufen, sondern selbst welche entwickeln. Das ist die DNA von Red Bull.
Frage: Sebastian Vettel war der erste namhafte Fahrer, den Sie verpflichteten.
Marko: Sebastian war damals noch längst kein Star, aber er hatte immerhin schon ein Rennen gewonnen. Ihn zu verpflichten war eine meiner besten Karriereentscheidungen. Didi war großer Fan von ihm.
Frage: Wie viel vom damaligen Spirit steckt noch in dem Team von heute?
Marko: Der Kern und die DNA sind immer noch gleich. Aber der Spirit hat sich nach dem Tod von Didi im Oktober 2022 verändert. Er ist jetzt aber wieder da.
Frage: Wie sehen Sie Red Bull für die Zukunft aufgestellt?
Marko: Ich kann das Team guten Gewissens verlassen. Oliver Mintzlaff hat sich nach anfänglichen Startschwierigkeiten sehr gut eingefunden und mit Laurent Mekies und Alan Permane haben wir zwei sehr gute Teamchefs.
Das Interview wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, „Bild“, „Sport Bild“) erstellt und zuerst in der „Bild am Sonntag“ veröffentlicht.
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