Noa-Lynn van Leuven war im vergangenen Jahr die erste Transfrau bei der Darts-WM. Ihr Debüt verlor die Niederländerin gegen Landsmann Kevin Doets (1:3). Nun kehrt sie zurück in den Alexandra Palace, trifft in der ersten Runde auf den schottischen Ex-Weltmeister Peter Wright (Montag, ca. 16.30 Uhr/DAZN und Sport1).
Seit Jahren polarisiert van Leuven, die sich 2014 einer geschlechtsangleichenden Operation unterzog und 2022 ihre Transition zur Frau abschloss, wegen ihres Geschlechts. Die Niederländerinnen Aileen de Graaf und Anca Zijlstra sind ihretwegen aus der Nationalmannschaft zurückgetreten, die Engländerin Deta Hedman trat bei einem Turnier nicht gegen Sie an – jeweils weil sie in van Leuven einen biologischen Mann sehen.
Solche Kontroversen hinterlassen Spuren, gibt die 29-Jährige im Interview mit WELT zu. Und spricht ausführlich über Ihre mentalen Probleme, die Sie in den sozialen Medien eng dokumentiert.
WELT: Frau van Leuven, wie würden Sie Ihr Jahr 2025 zusammenfassen?
Noa-Lynn van Leuven: Das ist eine schwierige Frage. Es gab Höhen und Tiefen. Es war ein ziemlich hektisches Jahr. Meine Depression hat mich wirklich fertig gemacht. Es war hart. Es gab Tage, an denen ich einfach nicht aus dem Bett kam, und dann Tage wie der Amsterdam Pride (jährliches Festival für LGBT-Personen, die Redaktion). Ich war auf einigen schönen Veranstaltungen, die mich wieder richtig motiviert haben.
WELT: Nach der Q-School im Januar haben Sie eine Darts-Pause angekündigt. Was war der Grund?
Van Leuven: Ich glaube, letztes Jahr war einfach viel los. Es sind viele Dinge passiert in meinem Leben. Davon habe ich mich nie wirklich erholt. Ich musste ein paar Schritte zurücktreten. Ich habe aber nicht wirklich eine Pause gemacht, sondern bin nur etwas kürzergetreten. Ich habe die Entscheidung darüber getroffen, an welchen Turnieren ich teilnehmen wollte, und viel weniger gemacht als in den Jahren zuvor, um mehr Zeit für mich selbst zu haben.
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WELT: Sie haben schlussendlich die Frauen-Tour voll gespielt. Was war Ihr Antrieb, zu diesen Turnieren zu fahren?
Van Leuven: Ich liebe dieses Spiel einfach. Es begleitet mich schon mein ganzes Leben lang. Schon als ich ein kleines Kind war, habe ich Darts gespielt. Das ist etwas, das mich immer motiviert hat. Es ist etwas, das ich wirklich gerne mache, aber es kostet mich mental auch viel. Also habe ich einen Schritt zurück gemacht. Ich habe zwar auf der Frauen-Tour gespielt, aber eigentlich auch nur dort. Kaum Challenge-Tour-Turniere (Zweite Liga im Darts, die Redaktion), keine anderen Events des Weltverbandes WDF, keine niederländischen Ranglistenturniere außer den niederländischen Meisterschaften. Also habe ich viel weniger gemacht.
WELT: Vermissen Sie es, zu dieser Vielzahl an Turnieren zu reisen?
Van Leuven: Ich vermisse es so sehr. Ich kann es kaum erwarten, wieder loszulegen. Hoffentlich habe ich nächstes Jahr wieder die Energie dazu, mich wieder voll und ganz dem Dartsport zu widmen und eine bessere Spielerin zu werden.
WELT: Im Frühjahr haben Sie nach zwei Wochenenden mit Turnieren in Folge auf Instagram geschrieben, dass Ihnen die Freude an Darts fehlt. Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie zu den Turnieren gefahren sind?
Van Leuven: Es ist schwer zu beschreiben. Manchmal ist es ein Gefühl, als würde etwas fehlen, dieser kleine Funke. Normalerweise genieße ich es so sehr, Darts zu spielen. Damals hatte ich das Gefühl, spielen zu müssen, weil ich wieder die Weltmeisterschaft erreichen wollte. Es fühlte sich nach müssen statt wollen an. Zum Glück habe ich dieses Jahr mein Mindset geändert. Jetzt freue ich mich darauf, wieder zu spielen.
WELT: Wie kam dieser Wandel zustande?
Van Leuven: Wir alle haben solche Tage, an denen man das Gefühl hat, dass einfach nichts klappt. Aber solche Turniere gehören auch irgendwie zum Job. Man muss also seine Einstellung ändern, sich richtig konzentrieren. An manchen Tagen klappt das besser als an anderen. Ich glaube, ich habe einfach wieder genug Spaß am Spiel, um meine Einstellung ändern zu können.
WELT: Sie haben bereits gesagt, dass Depressionen Sie „fertig gemacht“ haben. Wie haben sich diese bei Ihnen gezeigt?
Van Leuven: Was meine Depressionen angeht, hatte ich den Tiefpunkt erreicht. Ich konnte nicht mehr aus dem Bett aufstehen, war zu nichts mehr fähig. An manchen Tagen hatte ich das Gefühl, dass ich gar nicht mehr da sein sollte. Das war eine schwere Zeit. Aber zum Glück hatte ich großartige Therapeuten und Menschen um mich herum, die mir dabei geholfen haben, da wieder herauszukommen. Es funktioniert irgendwie.
WELT: Wie groß war der Schritt für Sie, zur Therapie zu gehen?
Van Leuven: Ich kann zwar über manche Dinge offen sprechen, aber es ist nicht einfach. Vor allem nicht, wenn man die Person nicht kennt oder es sich um einen neuen Therapeuten handelt. Man muss den richtigen Therapeuten finden, sicher sein, dass man ihm vertrauen kann. Zum Glück hatte ich eine Therapeutin, die ich schon einmal aufgesucht hatte. Ich konnte zu ihr zurück. Nach einiger Zeit beschlossen wir aber, dass es Zeit war, etwas Neues auszuprobieren. Sie überwies mich an einen anderen Therapeuten. Die Verbindung war da, ich fühlte mich sicher und vertraute ihm genug, um offen über das zu sprechen, was in meinem Leben vor sich geht.
WELT: Sie haben auf Instagram öffentlich gemacht, dass Sie sich „alten, verdrängten Erinnerungen“ stellen musste.
Van Leuven: Ich habe mich nie wohl in meinem Körper gefühlt. Ich habe mich immer dafür geschämt. Seit dem Kindergarten wurde ich immer gemobbt. Meine Kindheit war nicht schön. Und ja, das hat Spuren hinterlassen. Jetzt muss ich mich mit diesen Erinnerungen auseinandersetzen, um wieder Vertrauen zu Menschen aufbauen zu können, mein Leben leben zu können und Menschen in mein Leben zu lassen.
WELT: Haben Sie dieses Vertrauen in andere Menschen verloren?
Van Leuven: Ja. Irgendwann war ich überzeugt, dass die meisten Menschen einfach schlecht sind. Nach dem Motto: „Ich brauche sie nicht. Ich vertraue ihnen nicht. Alle wenden sich von mir ab.“ Ich weiß, dass nicht jeder ein schrecklicher Mensch ist. Aber in meinem Kopf war ich davon überzeugt, dass es so ist. Das lag auch an diesen Erinnerungen, an dem, was letztes Jahr passiert ist. Das alles summiert sich.
WELT: Im Darts-Zirkus gab es im vergangenen Jahr mehrere Kontroversen um Ihre Person. Haben diese auch eine Rolle gespielt?
Van Leuven: Ja, ich denke schon. Es bringt mich in die Zeit zurück, in der ich gemobbt wurde. Als mich niemand in seiner Clique haben wollte, als ich keine Freunde hatte. Menschen schreiben wirklich schlimme Sachen über mich. Würden Sie es mögen, wenn jemand schreckliche Dinge über Sie schreiben würde? Das weckt alte Erinnerungen, reißt alte Wunden auf.
WELT: Sie haben sich auch auf einem Motorrad gezeigt, in diesem Zusammenhang von Ihrer „Version der Therapie auf zwei Rädern“ gesprochen. Fahren Sie oft?
Van Leuven: Ich fahre seit acht oder neun Jahren Motorrad und seitdem ist es für mich eine Art Therapie. Es ist toll, mit dem Motorrad unterwegs zu sein und einfach nur zu genießen. Besonders bei einem Tag auf der Rennstrecke kann man alles vergessen und sich nur darauf konzentrieren, richtig schnell zu fahren und mit den Knien über den Asphalt zu schrammen.
WELT: Sie sind also ein Fan der Geschwindigkeit.
Van Leuven: Ich mag Adrenalin. Ich habe letztes Jahr ein neues Motorrad bekommen. Und als ich es bekam, habe ich mir gesagt: „Das werde ich nicht auf der Rennstrecke fahren, weil es noch neu ist. Ich will es nicht kaputt machen.“ Dann hatte es ungefähr 4000 Kilometer auf der Uhr. Ich dachte mir: „Ich will wieder auf die Rennstrecke. Also buche ich einfach einen Track Day.“ Sie haben mich in eine der schnellsten Gruppen gesteckt. Und ich dachte mir: „Klar, warum nicht.“
WELT: Sie teilen Ihre mentalen Probleme sehr offen in den sozialen Medien. Warum tun Sie das?
Van Leuven: Ich möchte nicht, dass sich jemand allein fühlt, wenn er oder sie dieselben Dinge durchmacht, die ich durchgemacht habe. Es macht mich glücklich, wenn ich diesen Menschen zeigen kann, dass die eigene Situation besser werden kann und es Möglichkeiten im Leben gibt. Manchmal bekomme ich Nachrichten von kleinen Transmädchen oder sogar von einer Mutter, die mir von ihrer Tochter berichtet hat und wie inspirierend es für sie war, mich im Fernsehen zu sehen und meine Geschichte zu lesen. Ich hoffe, dass ich helfen kann, selbst wenn es nur eine Person ist.
WELT: Sie sind jetzt seit einigen Jahren auf der Frauen-Tour unterwegs. Wie sieht es dort mittlerweile aus – bekommen Sie viel Unterstützung oder der gibt es viele, die nicht auf Ihrer Seite sind?
Van Leuven: Es gibt verschiedene Arten von Menschen. Einige sind gegen mich, andere sind für mich, wieder andere sagen: „Hey, mir ist das egal. Ich will einfach nur Darts spielen.“
WELT: Sie haben in diesem Jahr zwei Titel auf der Women's Series gewonnen. Wie viel bedeuten Ihnen diese Erfolge, gerade in einem schwierigen Jahr wie diesem?
Van Leuven: Sie bedeuten mir sehr viel. Sie haben mir gezeigt, dass ich immer noch in der Lage bin, großartige Darts zu werfen. Ich habe beide Titel an einem Tag gewonnen, in meinem Heimatland – das war unglaublich, ein tolles Gefühl. An den folgenden Wochenenden habe ich mich schlechter gefühlt. Aber ich konnte mich immer noch auf meine Form und die großartigen Leistungen der vergangenen Wochen verlassen. Ich habe gewusst, dass ich in der Lage bin, gute Darts zu werfen. Ich habe gewusst, dass ich gegen gute Gegner gewinnen kann.
WELT: Was bedeutet es Ihnen, zur WM in den Alexandra Palace zurückzukehren?
Van Leuven: Es ist unglaublich. Es ist einer der Orte, an denen man als Dartspieler sein will. Wenn man es als Dartspieler schaffen will, muss man bei der Weltmeisterschaft dabei sein. Es ist das größte Turnier, vor allem wegen des Preisgeldes und der erweiterten Teilnehmerzahl von jetzt 128 Spielern. Es ist einfach ein unglaubliches Gefühl. Ich bin auch sehr zufrieden mit meiner Auslosung. Als die Auslosung lief, dachte ich mir bei einigen Namen: „Oh nein, bitte nicht, bitte nicht.“ Und bei einigen dachte ich: „Oh ja, bitte.“
WELT: Gegen wen hätten Sie nicht gerne gespielt – Luke Littler?
Van Leuven: Es wäre ein schnelles Spiel gewesen (lacht). Nein ernsthaft, es gibt Spieler mit einem bestimmten Stil, gegen die ich nicht mein bestes Niveau zeigen kann. Etwa, wenn sie langsam spielen. Manchmal hat man einfach das Gefühl, dass man gegen diese Person nicht spielen möchte. Peter (Erstrundengegner Wright, d. Red.) war einer von denen, bei denen ich wusste, dass es Spaß machen wird.
WELT: Peter Wright ist nicht in der besten Form seines Lebens. Wie sehen Sie Ihre Chancen?
Van Leuven: Ich sehe Chancen, aber ich muss mein Spiel mitbringen. Peter ist vielleicht nicht in der besten Form seines Lebens. Aber im letzten Jahr hat er Luke Humphries geschlagen, hat zwei meiner Landsmänner aus dem Turnier genommen. Er ist bei Weltmeisterschaften immer gut drauf. Er kann immer aufdrehen. Man kann auf einen Peter Wright treffen, der einen Average von 75 Punkten spielt, aber man kann auch auf einen Peter Wright treffen, der einen Durchschnitt von 106 Punkten spielt. Hoffentlich kann ich richtig gut starten, den ersten Satz holen und ihn zweifeln lassen.
Luca Wiecek ist Sportredakteur für WELT. Er wird zwischen Weihnachten und Silvester in London sein und aus dem Alexandra Palace berichten.
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