Die Tennistour legte gerade eine Pause ein, da rückte ein junger Schweizer ins Rampenlicht: Mika Brunold (21) wagte mit seinem Coming-out einen Schritt, der weit über Sportresultate hinausgeht. „Ich habe viel darüber nachgedacht, wie ich darüber sprechen soll“, schrieb er auf Instagram. „Und auch wenn es nicht immer leicht war für mich, war es nie eine Option, es zu verbergen oder so zu tun, als sei ich jemand, der ich nicht bin. Deshalb habe ich das Gefühl, dass es nun Zeit ist, offen zu sein und mit euch zu teilen: Ich bin schwul.“

Während im Frauentennis offen lesbische Spielerinnen längst selbstverständlich sind, wirkt das Männertennis wie ein Sport, der in alten Vorstellungen gefangen bleibt. Brunold ist erst der zweite ATP-Einzelspieler nach dem Brasilianer João Lucas Reis da Silva, der diesen Schritt gewagt hat. Reis da Silva hatte im Dezember 2024 gemeinsame Fotos mit seinem Partner veröffentlicht und geschrieben: „Ich liebe dich sehr.“

Brunold formulierte seine Botschaft bemerkenswert differenziert: „Schwul zu sein, bedeutet nicht nur, dass man jemanden desselben Geschlechts liebt. Sondern auch, sich mit Dingen auseinanderzusetzen, über die sich die meisten Menschen nie Gedanken machen müssen: der Angst, nicht akzeptiert zu werden, dem Druck, zu schweigen, und dem Gefühl, anders zu sein. Aber ich bin gewachsen. Ich bin stolz auf den Menschen, der ich heute bin.“

Unterstützung beim Coming-out holte er sich bei der Agentur Keep Cool, die auch Jonny Fischer vom Schweizer Comedyduo Divertimento managt. Fischer erlebte sein Coming-out einst als Befreiung und unterstützte Brunold. „Mika war an jenem Samstag bei uns zu Hause“, erzählt er. „Sein Management, das ja auch meines ist, war dort. Mein Mann auch. Ich begleite Mika seit rund drei Jahren. Letztes Jahr sagte er mir, er habe neben seinem Jahresziel im Tennis auch sein privates: sich 2025 zu outen. Jetzt hat er es geschafft.“

„Homosexualität gilt als Schwäche“

Die öffentlichen Reaktionen auf Brunolds Instagram-Post waren durchweg positiv. Er bekam bis dato über 56.000 Likes, aus der Schweizer Tennisszene gratulierten unter anderen Viktorija Golubic, Jil Teichmann, Leandro Riedi und Heinz Günthardt. Grand-Slam-Siegerinnen wie Kim Clijsters und Sloane Stephens reagierten mit Herz-Emojis. Auffällig war aber auch: Kein einziger männlicher Topspieler reagierte öffentlich. Dieses Schweigen ist ein Statement in einem Sport, der sich gern fortschrittlich gibt.

Bei den US Open wird seit 2022 ein „Pride Day“ gefeiert, Pionierin Billie Jean King wird weltweit bejubelt – doch im Männertennis bleibt Homosexualität ein Tabuthema, ähnlich wie im Männerfußball. Warum diese Diskrepanz? Adrian Knecht, der Co-Präsident von Cross Pink, dem Schweizer Dachverband der schwulen und bisexuellen Männer, sagt: „Das hat damit zu tun, dass unsere Gesellschaft immer noch stark männlich geprägt ist. Die gängigen Männlichkeitsbilder von Leistung und Stärke stehen im Widerspruch zum Stereotyp von Homosexualität, die als weniger männlich, als weich und sanft angesehen wird. Kurz: Männliche Homosexualität gilt als Schwäche. Das alles sind Attribute, mit denen man sich im Spitzensport nicht verbinden will.“

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Diese Stereotypen hätten mit der Realität nichts zu tun, betont Knecht. „Mika Brunold ist ein tougher Sportler, sonst wäre er im Tennis nie so weit gekommen. Aber diese Stereotypen wirken in unserer Gesellschaft immer noch. Für Frauen ist es weniger problematisch, von der Heteronorm abzuweichen. Denn im Gegenzug wird einer lesbischen Spitzensportlerin Männlichkeit zugesprochen. Und da Leistung traditionell männlich konnotiert ist, wird das leichter akzeptiert. Lesbische Athletinnen sind weniger eine Bedrohung für das traditionelle Männlichkeitsbild als ein schwuler Spitzensportler.“

Auch Diskriminierungsstudien zeigten diese Muster, so Knecht: „Männliche Homosexualität gilt als Schwäche, während weibliche Homosexualität sexualisiert wird. Ein heterosexueller Mann findet lesbische Frauen oft attraktiv, ein schwuler Mann hingegen wird abgewertet. Homosexuelle Männer sind besonders von körperlicher Gewalt und sozialem Ausschluss betroffen, während lesbische Frauen eher sexualisiert oder dumm angemacht werden.“

Öffentliche Personen müssten sich entscheiden, ob sie ihre Homosexualität geheim halten oder offen leben wollen, sagt Knecht. „In einer idealen Welt müsste niemand ein Coming-out machen. Aber davon sind wir immer noch weit entfernt.“

Auf die Interviewanfrage dieser Redaktion verwies Brunold auf sein Management. Dieses antwortete, momentan gebe er keine weiteren Statements ab. Er wolle seinen Fokus nun wieder auf seine sportliche Karriere richten. Auch Knecht hofft, dass die Aufmerksamkeit bald wieder seinem Tennis gilt: „Ich wünsche ihm, dass seine Homosexualität nur einer von vielen Aspekten ist, wie man ihn wahrnimmt.“

Sportliches Talent wurde Brunold in die Wiege gelegt. Sein Großvater Otto Demarmels ist eine FC-Basel-Legende: Der Mittelfeldmotor begeisterte das Publikum zwischen 1967 und 1982 und gewann sechs Meistertitel. Brunolds Eltern zählten im Tennis zur nationalen Spitze. Vater Armando besiegte sogar einmal den jungen Roger Federer.

„Wichtig als Vorbilder“

Dieser Tage bereitet sich Mika Brunold bei Swiss Tennis in Biel auf die neue Saison vor. In den zurückliegenden Jahren machte er kontinuierlich Fortschritte. Im Herbst erreichte er Rang 289, seine beste Platzierung. Aktuell ist er die Nummer 310 und sechstbester Schweizer auf der ATP-Tour. Nachdem ihn einige Monate Ex-Profi Henri Laaksonen betreut hatte, sucht er nun einen neuen Coach. Derzeit arbeitet Trainer Phillip Wallbank mit ihm.

Dass Brunold homosexuell ist, war in Biel ein offenes Geheimnis. Sein Coming-out habe im nationalen Leistungszentrum keine hohen Wellen geschlagen, sagt Alessandro Greco, Chef Leistungssport bei Swiss Tennis: „Mika ist ein guter Junge, er ist immer freundlich und kommt mit allen gut aus. Auch menschlich ist er bei uns eine Bereicherung. Wenn er nun von jemandem angefeindet werden würde, würden wir natürlich eingreifen. Aber ich kann mir das nicht vorstellen. Sportlich fehlt ihm noch ein kleiner Schritt, um die Qualifikation für die Grand Slams spielen zu können. Wenn ihm sein öffentliches Coming-out hilft, lockerer zu sein und den nötigen Schub gibt, umso besser.“

Brunold möchte, dass sein Coming-out auf der Tennistour etwas auslöst. „Ich teile das, um für mich selbst einen Schritt zu gehen. Und auch, weil ich finde, dass darüber im Sport noch zu wenig gesprochen wird“, schrieb er. Für Knecht kann er mit seinem Beispiel einiges bewirken: „Personen des öffentlichen Interesses, ob das TV-Moderatoren, Politiker oder Sportler sind, sind wichtig als Vorbilder. Sie können junge Leute bestärken, die mit sich kämpfen. Das erleichtert auch anderen den Weg, vielleicht auch im lokalen Tennisklub, wo man noch nicht so offen ist wie auf der Weltbühne.“

Wie die Reaktionen auf der Tour ausfallen, wird Brunold erfahren, wenn er im Januar wieder zu internationalen Turnieren reist. Der Amerikaner Taylor Fritz sagte 2022 dem Portal „Clay“, er finde es seltsam, dass es in den Top 100 noch keinen offen homosexuellen Spieler gebe: „Ich selbst, meine Freunde und andere Spieler auf der Tour hätten damit keinerlei Probleme – es wäre völlig normal.“

Brian Vahaly, heute Präsident des US-Tennisverbands, sagte kürzlich in einem Interview mit dem Portal der ATP: „Ich habe die Tour nie als offen homophob erlebt. Aber es war völlig normal, homophobe Sprache zu benutzen – das gehörte zur Kultur, so hat man Kameradschaft aufgebaut und sich über andere lustig gemacht. Bewusst oder unbewusst hinterlässt das etwas. Als schwuler Mann fühlt man sich da unwohl.“

Seit Vahalys Rücktritt 2006 hat sich gesellschaftlich viel verändert. Mika Brunold ist zu wünschen, dass er sich nun freier fühlt – und dass sich diese Freiheit auch sportlich niederschlägt. Beim Brasilianer Reis da Silva war das der Fall: Er halbierte innerhalb eines Jahres seine Platzierung von 401 auf 204 und schnuppert nun an Grand-Slam-Teilnahmen.

Dieser Text erschien zuerst im Schweizer „Tagesanzeiger“, wie WELT Mitglied der „Leading European Newspaper Alliance“ (LENA).

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