Kürzlich sollte Nathalie Armbruster eine Frage mit Blick auf die kommende Wintersportsaison beantworten. Eigentlich nichts Ungewöhnliches, doch die Situation geriet zu einem jener Momente, die hart sind für die 19-Jährige. „Da kommt ein kleiner Riss in mein Herz, und es tut kurz weh“, sagt sie und wiederholt die Frage, die ihr gestellt wurde: „Du packst deinen Koffer für Olympia, was nimmst du mit?“ Das Problem an der Sache: Armbruster hat zwar in der vergangenen Saison den Gesamtweltcup gewonnen, war eine beliebte und begehrte Athletin, betreibt aber die einzige Sportart, bei der Frauen der Zutritt zu Olympischen Winterspielen weiterhin verwehrt ist – sie ist Nordische Kombiniererin.

Seit Jahren ringen Athletinnen in dieser Sportart um Anerkennung und die Aufnahme ins olympische Programm. Bei den Spielen vom 6. bis 22. Februar in Mailand und Cortina d'Ampezzo werden einzig in der Nordischen Kombination nur die Männer um Gold kämpfen. „Im 21. Jahrhundert absolut nicht nachvollziehbar“, sagt Armbruster. „Eine frauenverachtende und auch nordische-kombinationsverachtende Entscheidung.“

Der Kampf um Anerkennung hat längst die Sportart als Ganzes erfasst – es geht um nichts Geringeres als das olympische Überleben und damit die Existenz einer Sportart, die bei den Männern seit der Premiere 1924 zum Programm gehört und die eigentlich als Königsdisziplin des Winters gilt. Am Ende der am 27. November in Finnland beginnenden Saison wird sich entscheiden: Werden die Kombiniererinnen aufgenommen ins olympische Programm oder wird womöglich die ganze Sportart gestrichen?

„Diese Ungewissheit macht Angst“

Für die Athletinnen und Athleten eine schwierige Situation, die sich schon lange zieht. „Das schwebt wie ein Damoklesschwert über uns“, sagt Johannes Rydzek, zweimaliger Olympiasieger und Athletensprecher seiner Sportart im Ski-Weltverband Fis. Eigentlich, so hieß es in der vergangenen Saison, sollte die Entscheidung bereits im Frühjahr 2025 fallen. Doch das Internationale Olympische Komitee (IOC) änderte diesen Plan. Auch im Dezember, wenn das IOC bei seiner Sitzung die Sportarten für das Programm der Winterspiele 2030 in den französischen Alpen festlegen wird, geht es nicht um die Nordische Kombination – diese Entscheidung soll erst nach den Olympischen Winterspielen 2026 fallen.

Da das IOC die Gleichstellung der Geschlechter fordert und auch die Wettbewerbe der Männer kritisch gesehen werden, ist nur eines so gut wie gewiss: Entweder, die Kombiniererinnen werden 2030 in Frankreich starten dürfen oder die Kombination verliert auch bei den Männern ihren olympischen Status. Beide oder keiner.

Damit geht es also um die Chancen, Träume und Ziele, um das sportliche Leben von Armbruster und ihren Mitstreiterinnen, deren männlichen Kollegen und der Jugend. Eine Streichung aus dem olympischen Programm hätte weitreichende und nicht absehbare Folgen, beträfe die finanzielle und strukturelle Förderung, den Wettkampfkalender und Weiteres. „Wir wissen nicht, inwiefern die Fis dann noch Weltcups organisieren kann, uns unsere Behörden dann noch unterstützen werden, wie es weitergeht", sagt Armbruster. „Diese Ungewissheit macht Angst.“

Blick zurück: Tradition und Wintersporthelden

Im Fokus steht also nicht nur der Fortschritt der Frauen-Wettbewerbe, sondern auch die Performance der Männer, speziell bei den Winterspielen. „Das Thema ist immer präsent“, sagt Team-Weltmeister Julian Schmid. „Wir sind es natürlich auch den Jugendlichen und Kindern schuldig zu kämpfen.“ 100 Jahre Tradition stehen auf dem Spiel – in einer Sportart, die durch die so unterschiedlichen Anforderungen, die einerseits das Skispringen und andererseits der Langlauf mit sich bringt, von den Athleten viel verlangt.

Ein Balanceakt, der hierzulande viele Wintersporthelden hervorgebracht hat: Ulrich Wehling, der 1972, 1976 und 1980 Olympiagold gewann, Georg Thoma, Franz Keller, den heutigen Bundestrainer Eric Frenzel – um nur einige zu nennen. Frenzels Vorgänger auf dem Posten des Cheftrainers, Hermann Weinbuch, gewann einst als Sportler WM-Gold und prägte dann als Trainer eine Ära: Unter ihm feierten die deutschen Kombinierer bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften 57 Medaillen.

Bisher letzter deutscher Olympiasieger: Vinzenz Geiger, der 2022 in Peking mit einem spektakulären Schlussantritt Gold gewann und zudem mit der Mannschaft – damals noch mit Frenzel – Silber holte. Die Frauen schauten vor dem Fernseher zu und hofften damals noch, 2026 dabei zu sein.

Der späte Aufstieg der Frauen in der Kombination

Ihre Historie in dieser Sportart ist noch jung: 2014 organisierte die Fis erste Wettbewerbe, im Winter 2017/18 wurde der Continental-Cup eingeführt, seit 2020 haben die Frauen eine Weltcup-Serie und seit 2021 sind sie Teil der Nordischen Ski-WM. Wichtige Schritte waren auch die Wettbewerbe für den weiblichen Nachwuchs, der seit 2019 bei der Junioren-WM und seit 2020 bei den Olympischen Jugend-Winterspiele antritt. Dass die Aufnahme in das olympische Programm für 2022 verweigert wurde, war damals weniger eine Überraschung als die Ablehnung für 2026 – beschlossen im Sommer 2022. Die Entwicklung war anfangs zwar schleppend verlaufen, hatte dann aber Fahrt aufgenommen, sodass die Hoffnungen groß waren. Vor allem: Die Aufnahme ins olympische Programm ist für die Entwicklung einer Sportart elementar. Sie geht einher mit deutlich besseren Fördermöglichkeiten und der Ermöglichung großer Ziele – das wirkt wie ein Boost.

So geschehen einst bei den Skispringerinnen, die 2009 erstmals um WM-Medaillen kämpften und 2014 schließlich in Sotschi ihre Olympia-Premiere gaben. Zwar kämpfen die Springerinnen weiter um mehr Chancengleichheit und zum Beispiel um eine Vierschanzentournee, aber belächelt werden sie längst nicht mehr. Das Niveau an der Spitze und die Leistungsdichte sind längst beeindruckend, Zuschauerzahlen deutlich gestiegen, der Weltcup-Kalender gefüllt und die Möglichkeiten vielfältiger – bis hin zum Skifliegen. Bei den Winterspielen in Italien haben die Frauen zudem endlich eine zweite Goldchance und springen nach der Normal- auch von der Großschanze. Ohne die olympische Anerkennung hätte die Entwicklung so nie stattgefunden.

Für die Spiele muss gleichwohl ein bestimmtes Niveau erreicht, müssen bestimmte Parameter erfüllt sein. Aber genauso bereit, wie die Springerinnen für 2014 waren, wähnten sich die Kombiniererinnen und all jene, die sie unterstützen – die männlichen Kollegen und der Ski-Weltverband –, als es im Sommer 2022 um die Teilnahme in Mailand und Cortina 2026 ging. Das IOC sah das anders. Bemängelt wurden unter anderem fehlende Leistungsdichte, geringes Zuschauerinteresse und eine zu kleine Vielfalt der vertretenen Nationen.

Ohne olympische Anerkennung ist es schwer

Das IOC wollte die Ablehnung aber ausdrücklich auch als „Signal an die Männer“ verstanden wissen. Kritikpunkte waren das weltweite Zuschauerinteresse und dass es bei den bis dahin letzten drei Winterspielen nur vier Nationen auf das Podest schafften. Dass die TV-Quoten unter anderem in Deutschland hoch sind, hilft da wenig. Der Auftrag für die gesamte Sportart war klar: mehr Universalität, mehr Zuschauerzuspruch. Ohne eine olympische Perspektive für die Frauen eine Riesenaufgabe. „Für alle Nationen wird es schwer werden, die Nordische Kombination der Frauen in den nächsten Jahren aufrechtzuerhalten“, sagte Frenzel damals. Doch es gelang. Weil die Fis und die nationalen Verbände hinter den Frauen stehen. Und weil kaum eine von ihnen ins Speziallager zum Springen oder Laufen wechselte. „Allergrößten Respekt, wie sich die Sportart entwickelt hat bei dieser Ungewissheit, die für die Frauen ja noch größer ist als für uns“, sagt Rydzek. „Ich hoffe, dass genau das vom IOC auch berücksichtigt wird. Die Frauen haben es verdient, dabei zu sein.“

Die Sorge, aber auch die Hoffnung ist bei allen Beteiligten groß. Bundestrainer Frenzel zeigte sich kurz vor dem Saisonstart in Finnland zuversichtlich. Die Entwicklung gehe in die richtige Richtung, sagt der fünfmalige Gesamtweltcupsieger. „Die Hausaufgaben, die uns das IOC mitgegeben hat, wurden mit viel Engagement umgesetzt.“ Und Schmid ergänzt: „Wir haben uns in den letzten Jahren sehr entwickelt, die Rennen sind viel spannender geworden.“ Im kommenden Februar wird die Nordische Kombination zudem erstmals das Skifliegen integrieren – bei einem Weltcup am Kulm in Österreich. Es gibt neue Formate, engere Abstände, zudem ganz praktisch im Training Unterstützung für kleinere Nationen – und die Anzahl der Athletinnen und Nationen steigt seit Jahren. Bei der WM im Februar in Trondheim zum Beispiel waren Sportlerinnen aus zwölf Nationen am Start.

„Dazu im Vergleich“, sagt Horst Hüttel, Sportlicher Leiter im Deutschen Skiverband (DSV), „waren bei der alpinen Abfahrt der Frauen bei der WM 14 Nationen dabei. Und das ist eine Sportart, die über Jahrzehnte gewachsen ist. Das heißt doch, dass die Kombiniererinnen einiges erreicht haben.“ Hüttel hebt zudem den Youth Cup im Sommer in Oberstdorf hervor – mit geschlechterübergreifend 140 Teilnehmern aus 18 Nationen.

„Ich denke“, sagt Armbruster, „rein auf sportlicher Basis gibt es keine Grundlage mehr, die Damen nicht aufzunehmen.“ Die 19-Jährige, die im Sommer ihr Abitur gemacht hat, kann aktuell nichts weiter tun, als sich auf ihren Sport zu konzentrieren, abzuwarten und zu hoffen. Leicht ist das nicht. „Zwangsläufig beschäftigt mich das sehr. Denn davon hängt unsere sportliche Zukunft ab. Davon hängt ab, welches Leben ich führen kann“, sagt sie. Am schwierigsten wird das im Februar werden, wenn die Olympischen Spiele beginnen. „Zu Hause vor dem Fernseher zu sitzen, den Männern zuzuschauen und zu wissen: Wäre alles normal gelaufen, wäre ich vor Ort und könnte mir meinen Kindheitsraum erfüllen. Das wird schmerzhaft.“

Melanie Haack ist Sport-Redakteurin. Für WELT berichtet sie seit 2011 über olympischen Sport, extreme Ausdauer-Abenteuer sowie über Fitness & Gesundheit. Hier finden Sie alle ihre Artikel.

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