Bei ihrem berühmtesten Moment lag Anni Friesinger-Postma auf dem Eis. Im Ziel schlug die Eisschnellläuferin mit der Faust gegen den gefrorenen Untergrund. Sie dachte, dass sie durch ihren Sturz den Finaleinzug bei den Olympischen Spielen 2010 in Vancouver weggeworfen hätte. Mit Daniela Anschütz-Thoms und Stephanie Beckert hatte sie im Halbfinale gegen die USA klar in Führung gelegen, doch im Endspurt kam Friesinger-Postma ins Straucheln.

„In der vorletzten Kurve passierte es“, sagt sie. „Die Eisbahn war neu. Unten ist das Eis hart, aber obendrauf ist eine porösere Schicht. Mit meinem dynamischen Laufstil bin ich da eingebrochen.“

Als ihre Teamkolleginnen wegliefen, rief sie ihnen „Halt!“ nach. „Doch wegen des Lärms hörten sie mich nicht, schauten sich nicht um“, sagt Friesinger-Postma. „Auf den letzten Metern war ich verzweifelt und ausgelaugt, also stürzte ich.“

Auf dem Bauch rutschte sie übers Eis Richtung Ziellinie. Sie versuchte, das rechte Bein vorzustrecken. „Das war Erfahrung“, sagt Friesinger-Postma. „Es zählen die Kufenspitze und ein Transponder am Knöchel. Wäre ich mit der Hand zuerst durchs Ziel gekommen, hätte es eine Zeitstrafe gegeben. Daher versuchte ich, mich zu drehen. So weit habe ich gedacht.“

„Ich versuche aus allem etwas Positives zu ziehen“

Im Ziel wusste sie nicht, ob es gereicht hatte. „Die Unsicherheit war unfassbar“, erzählt sie. „Ich dachte, ich hätte es für meine Mannschaft versaut.“ Dann leuchtete auf der Anzeigetafel der erste Platz auf – um 23 Hundertstelsekunden. Die Kameras waren auf Friesinger­-Postma gerichtet, als sie wieder lächeln konnte. „Dieser befreiende Moment war wunderschön!“, sagt sie. „Eigentlich ist ein Sturz etwas Negatives, aber ich versuche aus allem etwas Positives zu ziehen – und hier war das: nicht aufgeben!“

Bei Friesinger-Postma gab es oft Drama – wegen Verletzungen und Konflikten. Doch mit ihrer emotionalen und offenen Art riss sie die Fans mit. Der volle Körpereinsatz zahlte sich damals aus: Das Olympia-Finale lief dann Katrin Mattscherodt, wie zuvor geplant, anstelle von Friesinger­-Postma, und Deutschland holte gegen Japan Gold.

Es war Friesinger­-Postmas dritter Olympiasieg, nach den 1500 Metern 2002 und dem Team 2006. Dazu sammelte sie noch 16 WM-Titel. Den ersten Olympia-Triumph nennt Friesinger­-Postma „den coolsten“ und „das schönste Gold – auf meiner Lieblingsdistanz.“

Wie immer war viel Drama dabei. „Ich hatte im Vorfeld alles gewonnen“, erzählt sie. „Dann kam der Disput mit Claudia Pechstein. Wir haben ordentlich gegeneinander ausgeteilt. Ich bin ein Typ, der da nicht zurückzieht. Wenn mich etwas stört, dann sage ich es.“

Los ging alles bei der Mehrkampf­-EM in Erfurt Anfang Januar 2002. Friesinger-Postma siegte vor Pechstein. „Ich war happy, und von ihr kam dieses Klagen und Beschweren“, sagt sie. „Als ich das öffentlich kritisierte, fand sie es nicht gut. Viele der anderen Sportler haben mich gefeiert, weil es mal jemand sagte. Und dann: Bamm! Kam die Gegenattacke. Es war von mir Ehrlichkeit zum falschen Zeitpunkt.“

„Sie macht öfter den Mund auf, ohne nachzudenken“

Pechstein störte sich daran, dass ihre Konkurrentin gesagt hatte, dass „sie ja nicht so krank gewesen sein“ könne, da sie die 5000 Meter am schnellsten gelaufen war. Das empfand die Berlinerin als Tiefschlag und warf Friesinger-Postma vor, zu viel Show zu machen und sagte: „Sie macht öfter den Mund auf, ohne nachzudenken.“

Bei Olympia 2002 im Februar gab es dann überall die Schlagzeilen vom „Zickenzoff“. „Das Ganze war nicht inszeniert“, sagt Friesinger-Postma. „Wir zwei mochten uns wirklich nicht. Mir zog das alles sehr viel Energie. Ich hätte es nicht unbedingt gebraucht.“

Zunächst lief es bei den Winterspielen nicht für Friesinger­-Postma: Platz vier hinter Olympiasiegerin Pechstein über die 3000 Meter und Platz fünf auf den 1000 Metern. „Das war bitter“, erinnert sie sich. „Der Druck wurde immer größer. Da war die Goldmedaille über die 1500 Meter in Weltrekordzeit (1:54,02 Minuten; d. Red.) auch ein Sieg über mich selbst und über alle Kritiker. Als Olympiasiegerin machst du dich unsterblich!“

Bei Olympia 2006 in Turin arbeiteten die beiden Rivalinnen dann im Team-Event professionell zusammen, schlugen im Finale Kanada. „Da haben wir uns arrangiert“, erzählt Friesinger-Postma. „Wir konnten uns schon zusammenreißen. Das kennt jeder aus dem Arbeitsleben. Aber eng waren wir nie. Aber das ist auch okay.“ Über die Jahre sahen sich die beiden mal bei Events wie der WM 2024 in Inzell. „Aber wir haben nichts miteinander zu tun“, sagt Friesinger-Postma. „Sie braucht es nicht, und ich auch nicht.“

Zehn Millionen TV-Zuschauer beim Eisschnelllauf

Die Rivalität hatte den positiven Nebeneffekt, dass bei den Duellen der beiden bis über zehn Millionen vor den Fernsehern zuschauten. Friesinger-Postma wurde zum Glamour-Girl des Eisschnelllaufs, mit hoch dotierten Werbeverträgen und Fotoshootings: „Ich war damals auf dem Cover des ,Time Magazine‘, darauf war ich stolz“, sagt sie. „Bei den Shootings durfte ich mal in andere Rollen schlüpfen, hatte mal mehr, mal weniger an. Ich habe das genossen.“

Der „Playboy“ fragte mehrmals wegen Nacktshootings an. „Ich habe nie alles gezeigt“, sagt Friesinger-Postma. „Das war mir wichtig. Deren Fotostrecken sind schön, aber mir war das ein Schritt zu viel, den ich nicht gehen wollte. Mein Körper ist mein Kapital, aber vor allem sportlich.“

2010 musste sie ihre Karriere beenden. Das oft lädierte rechte Knie machte nicht mehr mit, der Knorpel war kaputt. „Ich bin zwar supergelenkig, aber das geht dann stark auf die Gelenke“, erklärt die Olympiasiegerin. „Ich habe sehr kleine Kniescheiben und viel Muskulatur. Dadurch wirkte stets sehr viel Druck auf die Knorpel.“

2002 hatte sie dort die erste OP. „Ein Stück meiner Patellasehne war abgestorben“, erinnert sie sich. „Dr. Volker Smasal schnitt es raus, teilte die Patellasehne und vernähte es wieder. Er sagte danach, als ich wieder WM-Rennen gewann: ,Das ist der Wahnsinn!‘“ 2008 folgte die nächste Knie-OP. Im letzten Karrierejahr 2010 lief sie nicht mehr so geschmeidig: „Es piekste im Knie, weil dort lose Knorpelstücke drin waren. Ich musste immer wieder punktiert werden.“

Friesinger-Postma spielt Eishockey

Heute hat sie eine schwere Arthrose im Knie, kann aber Ski und Rad fahren. „Ich bin mit dem Gravelbike unterwegs, E-Bike gibt es bei mir noch nicht“, erzählt sie: „Ab und zu spiele ich Eishockey.“ Damit legte sie vor einigen Jahren in einer gemischten Mannschaft in Gmunden/Österreich los. Inzwischen spielt sie in einer Amateur-Hobbyliga Verteidigerin für die Inzell Lady Hawks. „Es ist eher Hausfrauen-Tempo“, sagt sie: „Schnell bin ich natürlich noch, kann auch gut rückwärtslaufen, was in der Verteidigung wichtig ist. Die Schüsse sind ganz ordentlich. Ich sammele auch Strafminuten, bin schon eine harte Spielerin und für keinen Zweikampf zu schade.“

Zum Eishockey kam sie durch ihre Töchter: Josephine (14) spielt in der U15, Elisabeth (11) in der U13 bei Red Bull Salzburg in der gemischten Nachwuchs-Bundesliga. Beide Verteidigerinnen sind Deutsche, aber „Eishockey-Österreicherinnen“, die für die Nationalmannschaften der Alpenrepublik auflaufen. „Sie laufen natürlich sehr gut auf dem Eis, haben eine sehr gute Kondition“, sagt die stolze Mutter, die mit ihrem Mann Ids, der ebenfalls Eisschnellläufer war, gute Gene weitergegeben hat.

Friesinger-Postma lebt in Salzburg und in Ferienzeiten in den Niederlanden, wo ihr Gatte in Dearsum einen Bauernhof betreibt. „Wir haben 700 Kühe“, sagt sie. In ihrer österreichischen Heimat betreibt die Olympiasiegerin einen Laden für Kinder- und Damenmode sowie Accessoires in der Münzgasse. Außerdem baut sie mit ihrem Mann in Salzburg ein Haus. „Natürlich in der Nähe vom Eisstadion“, sagt sie mit einem Lachen.

Der Artikel wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, SPORT BILD, BILD) verfasst und zuerst in SPORT BILD veröffentlicht.

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