Der erste Patzer der Saison konnte Manuel Neuer mit seinen 39 Jahren nicht aus der Ruhe bringen. Nach dem 0:1 gegen Union Berlin, bei dem ihm der Ball unter dem Körper durchgeflutscht war, blieb er nur kurz liegen. Der Torwart ging schnell einige Meter aus seinem Tor, vorbei an der Jubeltraube des Gegners. Ein Schluck aus der Trinkflasche, weiter. Äußerlich lässt er sich nie Unsicherheiten anmerken. Und an seinem Ausnahmestatus ändert der Wackler ohnehin nichts.

„Manuel Neuer ist ein hervorragender Kapitän und ein super Rückhalt für unsere Mannschaft“, erklärt Sportvorstand Max Eberl im Gespräch mit Sport Bild: „Er hat einen großen Anteil an unserer Entwicklung in den vergangenen Monaten und daran, wo wir im Moment stehen.“

Während sich die Nationalspieler auf die Länderspiele in Luxemburg (Freitag) und gegen die Slowakei (Montag) vorbereiten, hat Neuer Zeit zu regenerieren. Einer der Schlüssel zu seiner Ausnahmeform. Bei Bayern wünschen sich die Verantwortlichen, dass er seinen im Sommer auslaufenden Vertrag verlängert. Beim DFB wird trotz anderslautender Beteuerungen über ihn nachgedacht.

Hiervon hängt die Zukunft des Torhüters ab und so könnte ein DFB-Comeback an Fahrt aufnehmen.

Die Psycho-Spielchen beherrscht Neuer mit all seiner Erfahrung wie kaum ein anderer im Weltfußball. Beim bislang größten Sieg der Saison, dem 2:1 in Paris in der Champions League, war diese Qualität gefragt. Neuer hatte früh die Gelbe Karte wegen Zeitspiels gesehen. Und er holte in Unterzahl Sekunde um Sekunde heraus: Bei seinen Abstößen ließ sich der dreimalige Welttorhüter so viel Zeit, dass die PSG-Anhänger schier ausflippten und der eine oder andere Bayern-Offizielle nervös auf seinem Sitz im „Parc des Princes“ hin- und herrutschte.

Aber Neuer zeigte sich – wie am Samstag an der „Alten Försterei“ – völlig unbeeindruckt. Er wusste: Der unerfahrene Schiedsrichter Maurizio Mariani würde es nicht wagen, ihn mit einer zweiten Gelben Karte für Spielverzögerung vom Platz zu stellen. Nach dem Prestigesieg bekam Neuer die Auszeichnung für den „Man of the Match“, da er mehrfach hervorragend reagiert hatte. Gegenüber Mitspielern scherzte er in der Kabine, ob er den Pokal wohl für sein Zeitspiel überreicht bekommen hat.

Neuer hat viele Abläufe verändert

Der Torwart hat seit Jahren seine Rituale. Vor Anpfiff klatscht er Pfosten und Latte einmal ab, bei Gegentoren streckt er seinen „Reklamierarm“ nach oben. Aber Neuer hat in seinen Abläufen auch Dinge verändert. Er geht täglich zum Physiotherapeuten, ist vor jeder Trainingseinheit im Kraftraum. Damit aber nicht genug: Zweimal pro Woche hängt er nun Zusatzeinheiten dran, stemmt dann nach dem Training noch einmal 30 Minuten Hanteln.

Seiner Nummer zwei, Jonas Urbig, steht er in nichts nach. Der ehemalige Köln-Torwart ist sehr muskulös und definiert, die Torhüter trennen 17 Jahre, bei den Gewichten in der Kraftkammer aber nur wenige Gramm. Es gibt etliche Beobachter im Verein, die sagen, dass Urbig ein Teil von Neuers Erfolgsgeheimnis sei. Der als Kronprinz verpflichtete Torhüter trainiert stark – und spornt Neuer an.

Neuer genießt das Spiel in vollen Zügen. Vielleicht mehr, als ich es je gesehen habe. Im Juni 2011 führte ich das erste Interview mit Neuer. Wir saßen in einem Hotel in Wien zusammen. Damals scherzte er, angesprochen auf seine Bayerisch-Kenntnisse: „‚Koan‘ verstehe ich.“ Die legendären „Koan-Neuer“-Plakate waren nur wenige Wochen zuvor in der Südkurve präsentiert worden. Inzwischen ist der gebürtige Gelsenkirchener Bayer durch und durch, wohnt am Tegernsee.

Fitness entscheidet über die Fortsetzung der Karriere

Neuer wurde 2014 Weltmeister, zweimal Cham­pions-League-Sieger. Aber er hatte auch schwere Verletzungen, sein Beinbruch auf einer Ski-Tour kostete ihn beinahe die Karriere. Schon bei der Klub-WM in den USA fiel uns Reportern aber auf, wie fit Neuer aussah: braun gebrannt, seinen durchtrainierten Oberkörper konnten wir nach Spielen im Innenraum noch besser begutachten, da er dann nicht mehr sein Torwarttrikot, sondern nur noch ein enges Funktionsshirt trug.

Der Körper wird am Ende auch darüber entscheiden, ob er seine Karriere fortsetzt. Bei Bayern gehen die Beteiligten davon aus, wollen Neuer aber nicht unter Druck setzen. Der will auf jeden Fall bis Weihnachten warten, sehen, ob er durch diese Zeit ohne Blessuren kommt, wenn der Terminkalender weiter eng ist und die Temperaturen sinken.

„Ich bin total entspannt“, sagte er in Paris: „Ich lasse mir Zeit über den Winter. Und dann kann man immer sprechen.“ Damit sein Körper mitspielt, achtet Neuer penibel auf die Ernährung. Er versucht, sich glutenfrei zu ernähren. Isst er Fleisch oder Fisch, dann nur sehr ausgewählte Produkte. Thunfisch, der mit Schwermetallen wie Quecksilber belastet sein kann, kommt beispielsweise nicht auf seinen Teller.

Die Bayern würden mit Neuer gern um ein weiteres Jahr verlängern, Urbig könnte dann weiter hinter ihm aufgebaut werden. Der Glaube an die Unterschrift ist groß. „Es tut mir leid für die anderen, aber es gibt keinen Besseren“, sagt sein ehemaliger Förderer Felix Magath. Jetzt muss nur Neuers Körper mitspielen. Seine letzte Verletzung: ein Muskelfaserriss in der Wade, den er sich am 6. März 2025 zuzog. Für seine Fitness ist der Faktor Regeneration wichtig: Dass Neuer nicht mehr mit dem DFB auf Reisen ist und Spiele absolvieren muss, hilft ihm. Er kann in den Länderspielpausen trainieren oder auch mal komplett freimachen.

Für DFB-Comeback müssten zwei Voraussetzungen erfüllt werden

So wie im Oktober, als er zum Urlaub und Padelspielen mit seinen Schalker Ex-Kollegen Ivan Rakitić, Gerald Asamoah sowie seinem Trauzeugen Toni Tapalović in Kroatien unterwegs war. Allerdings ist ein DFB-Comeback nach wie vor möglich, auch wenn sich alle Beteiligten zuletzt sehr defensiv äußerten.

Innerhalb des Verbands soll es bereits Stimmen geben, die auf Nagelsmann einreden, ihn von einem Neuer-Comeback überzeugen wollen. Dafür müssten zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Marc-André ter Stegen bekommt nach seiner Rückkehr weder bei Barcelona noch bei einem anderen Klub Spielzeit. Und: Nagelsmann ist bereit, auf Neuer zuzugehen und ihn von der Rückkehr zu überzeugen.

Offiziell war Neuer im August 2024 zurückgetreten, auch wenn dies nicht ganz freiwillig passiert sein soll. Von Bayern-Patron Uli Hoeneß oder den anderen Klub-Bossen wird aktuell noch nicht für eine WM-Teilnahme Neuers getrommelt – aus Respekt vor dessen Entscheidung. Sollte ter Stegen aber im Winter nicht wechseln und weiter auf der Bank sitzen, könnten sich die Bayern-Verantwortlichen öffentlich für Neuer aussprechen.

Mit Rudi Völler soll es bereits ein Gespräch gegeben haben: Der DFB-Sportdirektor soll bei Neuer angefragt haben, ob er sich – für den Fall, dass ter Stegen nicht als Stammspieler zurückkehrt und die nötige Praxis sammelt – ein Comeback im Tor der Nationalmannschaft vorstellen könne. In einem wackligen DFB-Team könnte der beste Neuer seit Jahren ein elementar wichtiger Anker sein.

Der Artikel wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, SPORT BILD, BILD) verfasst und zuerst in SPORT BILD veröffentlicht.

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