Wer auf die Tabelle der Ligaphase der Champions League schaut, könnte erschrecken: Ganz unten, auf Platz 36, hinter europäischen Fußball-Zwergen wie Kairat Almaty oder Pafos, steht Ajax Amsterdam. Auch vergangene Woche kassierte der viermalige Sieger der Königsklasse oder des Landesmeister-Pokals wieder eine Pleite, verlor 0:3 gegen Galatasaray Istanbul. Die vierte Niederlage im vierten Spiel, 1:14 Tore. Ein Desaster.

Als „Lachnummer Europas“ bezeichnete die niederländische Zeitung „De Telegraaf“ das Team und attestierte: „Ajax tiefer im Sumpf“. Laut dem Blatt „de Volkskrant“ wecke Ajax „überhaupt keine Lust mehr, Fußball zu schauen“.

Ex-Spielmacher Wesley Sneijder kann dem nur beipflichten. „Es stehen einfach Spieler auf dem Platz, die Ajax nicht würdig sind“, sagte der 41-Jährige bereits nach dem 1:5 bei Chelsea in der Champions League. Und der Blick auf die Liga-Tabelle ist nicht viel besser. Platz vier, elf Punkte hinter Spitzenreiter PSV Eindhoven, ist für die Ansprüche des Rekordmeisters Hollands (36 Titel) zu wenig.

Der Verein von Johan Cruyff († 68), „Voetbal totaal“ und der berühmten Ajax-Schule steckt in der Krise – mal wieder. Vor ziemlich genau zwei Jahren schrieb die „Sport Bild“ schon einmal vom „Ajax-Chaos“. Damals war das Team sogar Letzter der Liga. Die Probleme blieben.

Entlassung von Ajax-Trainer Heitinga war nur eine Frage der Zeit

„Man weiß, dass sie es in dieser Saison nicht hinbekommen“, urteilt Ex-Trainer Martin Jol. Von 2009 bis 2010 coachte er den Verein unter anderem zum Pokalsieg. „Der Trainer-Job bei Ajax ist der schwierigste in den Niederlanden. Denn die Fans, mit vier Millionen die meisten im Land, sind sehr kritisch. Die Erwartungshaltung ist groß. Man will nicht nur erfolgreich, sondern auch schön spielen. Aber Ajax ist so anfällig, wie vielleicht noch nie in seiner Historie“, sagte der 69-Jährige.

Die Entlassung von Trainer John Heitinga war nur eine Frage der Zeit und wurde nach der Galatasaray-­Pleite Realität. Nach nur vier Monaten im Amt. Der ehemalige Ajax-Verteidiger kam mit der Empfehlung, als Assistent von Liverpools Meistertrainer Arne Slot gearbeitet zu haben. Doch seine erste Station als Profi-Chefcoach wurde zum Fiasko. Bezeichnend: Nach seiner Zeit als Interimstrainer 2023 entschied man sich noch gegen ihn.

„Johnny, verpiss dich“, riefen die Fans beim 1:5 in London Ende Oktober, als er mit der Auswechslung von Kreativ-Mann Oscar Gloukh überraschte. „Es war nur von kurzer Dauer, aber das ist natürlich etwas, das man nicht hören will“, gab er damals zu.

Jetzt übernahm erst einmal Co-Trainer Fred Grim, verlor allerdings auch mit 1:2 bei Utrecht. Bald dürfte also der neunte Coach (inklusive Interimslösungen) seit 2022 und der letzten Meisterschaft unter Erfolgstrainer Erik ten Hag aufschlagen. Möglich, dass es ten Hag sogar selbst wird. Den in Leverkusen und bei Manchester United gescheiterten Coach sollen sich auch die Fans zurückwünschen. Schließlich erinnert er an glorreiche Zeiten, in denen Spieler aus der eigenen Akademie wie Matthijs de Ligt oder Frenkie de Jong groß rauskamen.

Denkbar ist nun auch Paul Simonis. Nach übereinstimmenden niederländischen Medienberichten sowie einer Meldung von Sky hat Ajax Kontakt zu dem 40 Jahre alten Niederländer aufgenommen. Simonis war erst am Sonntag beim VfL Wolfsburg freigestellt worden.

Dass man bei der Trainerwahl auch richtigliegen kann, zeigte im Vorjahr Francesco Farioli (inzwischen Porto). Unter ihm lag Ajax im Frühjahr mit neun Punkten Vorsprung an der Tabellenspitze. Weil das Team das Polster auf den späteren Meister PSV in fünf Wochen verspielte und sich Klub und Trainer über Kader und Taktik zankten, ging Farioli freiwillig wieder.

Ajax fehlt eine anerkannte Führungsperson. Zuletzt kamen und gingen nicht nur Trainer. Manager, Geschäftsführer und Aufsichtsräte wechselten ständig und stolperten teilweise über Ermittlungen zu Unregelmäßigkeiten ihrer Arbeit. Darunter auch Ex-Bundesliga-Manager Sven Mislintat, der 2023 mitten in einem 100-Millionen-Umbruch den Klub verließ, nachdem ihm wirtschaftliche Verstrickungen zu Spielerberatern vorgeworfen wurden. An der fehlenden Struktur kann auch Louis van Gaal, der als externer Berater tätig ist, nichts ändern.

Viele im Klub sehnen sich zurück nach den Zeiten unter dem Erfolgstrio aus ten Hag, CEO Edwin van der Sar und Sportdirektor Marc Overmars. Unter ihnen gelang 2019 sogar der Einzug ins Champions-League-Halbfinale. Doch erst musste 2022 Overmars wegen grenzüberschreitender Nachrichten an Klub-Mitarbeiterinnen gehen („Inakzeptables Verhalten“, wie der Beschuldigte selbst zugab). Dann ging ten Hag zu Manchester United. Und van der Sar trat 2023 aus Erschöpfung zurück.

„Seit Marc Overmars als Technischer Direktor nicht mehr bei Ajax tätig ist, läuft es nicht mehr“, sagte Jol. Der Ex-Coach des HSV (2008 bis 2009) diagnostiziert, dass der Klub „nicht mehr zur Homogenität im Team gefunden hat, die Amsterdam seit Jahren und Jahrzehnten auszeichnete. Es ist nicht mehr gelungen, ein starkes Team aufzubauen. Auch, weil die Jugendausbildung nicht mehr so gut ist“.

Standen einst bis zu neun Eigengewächse in der Profi-Startelf, ist es aktuell pro Mannschaftsteil meist nur eins. Passend dazu: „Jong Ajax“, das Zweit-Team mit Top-Talenten aus der Jugend, ist Vorletzter der 2. Liga.

Der Text wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, „Bild“, „Sport Bild“) erstellt und zuerst in der „Sport Bild“ veröffentlicht.

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