Die entscheidenden Tage begannen an einem Ort, der mit großen Enttäuschungen verbunden ist. Vor zwei Jahren schrieb Hansi Flick als Bundestrainer in Wolfsburg noch Autogramme und versuchte, Optimismus zu verbreiten. Dann verlor seine deutsche Nationalmannschaft 1:4 im Test gegen Japan – und lediglich einen Tag später entließ der Deutschen Fußball-Bund (DFB) den Bundestrainer. Ein Tiefpunkt.

Montagvormittag nun kehrte die Auswahl zurück in die niedersächsische Stadt, in der Verbandssponsor VW seinen Sitz hat. Flicks Nachfolger Julian Nagelsmann bereitet seine Mannschaft hier auf die letzten Spiele in der WM-Qualifikation vor, der DFB-Tross checkte im Hotel Ritz-Carlton ein. Freitag (20.45 Uhr, RTL) tritt Nagelsmanns Team in Luxemburg beim Tabellenletzten der Gruppe A an, am darauffolgenden Montag in Leipzig gegen die Slowakei (20.45 Uhr, ZDF).

Im Hinspiel in der Slowakei blamierte sich Deutschland mit einem 0:2, in Leipzig fällt die Entscheidung über Platz eins. Die deutsche Mannschaft spielt in den Partien bereits im WM-Trikot, dessen Design an die 1990er-Jahre angelehnt ist.

Deutschland geht als Tabellenführer in die letzten Partien der Ausscheidungsrunde. Mit zwei Siegen würde sich die DFB-Auswahl den Spitzenrang sichern und wäre direkt für die WM-Endrunde 2026 in den USA, Kanada und Mexiko qualifiziert. Verpasst Nagelsmanns Mannschaft Platz eins, wäre ein Umweg über zwei Play-off-Partien im März 2026 notwendig. „Mit zwei Siegen möchten wir die WM-Qualifikation perfekt machen“, betonte der Bundestrainer.

Für Montagnachmittag war ein öffentliches Training der Mannschaft vor rund 4000 Fans geplant. Die (kostenfreien) Karten für die Einheit waren recht schnell vergeben. Vor dem Training hielt Nagelsmann im Wolfsburger Stadion eine Pressekonferenz ab. Er bekam insbesondere Fragen zu seiner Kaderzusammenstellung zu hören. Und rechtfertige die Zusammenstellung seines Aufgebots für die Qualifikationsspiele. An dieser hatte es in den vergangenen Tagen Kritik von Experten und aus der Bundesliga gegeben.

Leroy Sané wieder im Kader von Julian Nagelsmann

Für die letzten Partien des Jahres hat der 38-Jährige den zuletzt nicht berücksichtigten Leroy Sané (70 Länderspiele, 14 Tore) in sein Aufgebot zurückgeholt. Der Offensivprofi war im Sommer von FC Bayern zu Galatasaray Istanbul gewechselt. Ein Neuling in Nagelsmanns Kader ist der erst 19 Jahre alte Said El Mala vom 1. FC Köln.

Dass Nagelsmann auf Mittelfeldspieler Angelo Stiller verzichtet, hat dessen Verein VfB Stuttgart überrascht. Stiller selbst wollte sich nicht äußern. „Haben wir intern besprochen. Das muss reichen“, sagte er bei RTL. Auch die VfB-Spieler Maximilian Mittelstädt und Deniz Undav gehören erneut nicht im Kader. Zudem verzichtet Nagelsmann auf Borussia Dortmunds Offensivprofi Maximilian Beier, nominierte aber Leipzigs 19-jähriges Top-Talent Assan Ouédraogo nach, weil der Mainzer Nadiem Amiri verletzt ausfällt.

„Wir machen keine Nominierung aus Jux und Dollerei“, sagte der Trainer Montagmittag: „Wir haben ein gutes Gleichgewicht. Jede Position ist doppelt besetzt. Das Gefüge muss passen.“ Er habe einen sehr guten Austausch mit Stiller und dessen Klubtrainer Sebastian Hoeneß gehabt. „Ich bin in keinster Weise böse auf die Stimmen nach dem Spiel. Die Tür ist auf keinen Fall zu“, so Nagelsmann.

Er hätte sich eher Sorgen gemacht, wenn der VfB gesagt hätte, die Nicht-Nomierung Stillers sei verdient. Felix Nmecha vom BVB und Alexandar Pavlovic vom FC Bayern lägen derzeit etwas vor Stiller und seien daher nominiert. Pavlovic spiele für die aktuell stabilste Klubmannschaft Europas, so Nagelsmann. Ein großes Lob an seinen ehemaligen Klub aus München.

Das sei eben die Krux an Nominierungen: „Wenn Spieler A nominiert wird, muss Spieler B meist zu Hause bleiben. Es hätten mehr Spieler die Nominierung verdient als die, die wir dabeihaben.“

Nagelsmann sendete eine deutliche Botschaft an Sané: „Er weiß, dass es nicht mehr unzählige Chancen gibt, sich auf Nationalmannschaftsebene zu beweisen, zumindest unter meiner Führung.“ Er sagte zudem: „Es ist auch profilgeschuldet. Wenn wir auf der Position sechs, sieben Spieler zur Auswahl hätten, hätte er es deutlich schwerer.“

Nach einem weiterhin sehr guten Austausch und transparenter Kommunikation sei Sané bewusst, „was gefragt ist. Er ist ein Spieler, der grundsätzlich alles kann. Er muss nur alles bringen. Und da kann ihm keiner helfen, außer er selbst. Das kann ich auch so offen sagen, weil ich es ihm auch so offen gesagt habe.“ Sanés Quoten und Leistungen waren zuletzt besser, „sowohl in der Süper Lig, als auch in der Champions League. Aber er hat da schon noch Schritte zu gehen, dass es noch besser wird – hier und im Verein.“

Ob Nagelsmann Nico Schlotterbeck einsetzen kann, ist noch offen. „Das ist über Nacht schon dick geworden, sieht nicht ganz optimal aus“, sagte der Bundestrainer über die Fußverletzung des Innenverteidigers von Borussia Dortmund. Man müsse abwarten, wie es nun weiter verlaufe.

Schlotterbeck hatte sich die Verletzung beim 1:1 auswärts in der Bundesliga gegen den Hamburger SV zugezogen. HSV-Profi Jordan Torunarigha hatte ihn mit gestrecktem Bein am Knöchel erwischt.

Nagelsmann will in den kommenden Tagen generell Optionen für die WM ausloten. Und weil ihm die Langzeitverletzten Marc-André ter Stegen, Antonio Rüdiger, Kai Havertz, Niclas Füllkrug sowie Jamal Musiala weiter fehlen, waren Kaderplätze zum Probieren frei. Dennoch muss sich der Bundestrainer in diesen Tagen mit der Frage aus der Branche beschäftigen: Kommen manche Nominierungen wie bei El Mala zu früh?

Sein Kapitän Joshua Kimmich konstatierte, dass es heutzutage mit der Karriere im Nationaltrikot schneller geht, als zu seiner Debützeit vor rund zehn Jahren. Torwartlegende Oliver Kahn und Rekordnationalspieler Lothar Matthäus, der 1980 im Alter von 19 Jahren Europameister wurde, warnten vor einer zu frühen Einladung.

Eine frühe Nominierung bietet auch Gefahren. Nnamdi Collins (21) von Eintracht Frankfurt war von Nagelsmann zum Qualifikations-Auftakt in der Slowakei von der U21 gleich in die Startelf befördert worden und fiel beim 0:2 in Bratislava durch. Bei der WM 2022 war Youssoufa Moukoko als 17-Jähriger der Teenie-Star. Als Karrieremotor diente die frühe Berufung dem ehemaligen Dortmunder nicht. Der Stürmer spielt mittlerweile beim FC Kopenhagen.

„Ich bin kein Freund von frühem Hypen und Hochpushen“, sagte Nagelsmann jetzt in Wolfsburg zur Personalie El Mala und dem generellen Umgang mit jungen Spielern. Doch nur vom Scouting her einen Spieler zu bewerten, das sei eben schwierig. „Vom Profil ist er einer, von dem wir nicht viele haben“, betont der Bundestrainer. Nagelsmann sagte auch: „Es ist sehr, sehr früh, einen Spieler mit den Bundesliga-Minuten einzuladen.“

Nagelsmann hat El Mala auch nominiert, um zu schauen, wie sich die potenziellen Herausforderer im Kreis der Etablierten präsentieren. Die Mischung macht es. Junge Spieler sollten unter ihm nicht ängstlich oder gar devot agieren, müssen sich aber dem Teamgefüge anpassen. Der Bundestrainer sieht genau hin und fällt klare Urteile. Den jungen Spielern wie jetzt El Mala müsse bewusst sein, dass sie mit der ersten Nominierung nicht gleich gestandener A-Nationalspieler seien. „Ein Spieler muss klar verstehen, was seine Aufgabe ist“, betonte der Bundestrainer.

Beim Kölner El Mala sei es so, dass er „die Chance“ habe, „sich im Training zu zeigen“. Er müsse „spüren“, wie sich die Youngster „bewegen“ und ob sie „für das Turnier infrage kommen“, sagte Nagelsmann.

Er richtete den Blick auch schon auch auf das neue Jahr. Spieler wie Lennart Karl vom FC Bayern, der aktuell erstmals für die U21 spielt, Assan Ouédraogo von RB Leipzig oder Nicolò Tresoldi vom FC Brügge seien für die WM in sieben Monaten „in der Verlosung“ und könnten in den Turnierkader „reinrutschen.“ Nagelsmann erwartet, dass der 17-jährige Karl bei der U21 eine prägende Rolle einnehme.

Der Fokus des Bundestrainers liegt nun erst mal auf den Trainingseinheiten, Videoanalysen und Gesprächen mit den Spielern. Das gemeinsame Verteidigen und die Balance zwischen Defensive und Offensive werden in den kommenden Tagen in Wolfsburg im Mittelpunkt stehen.

Julien Wolff ist Sportredakteur. Er berichtet für WELT seit vielen Jahren aus München über den FC Bayern und die Nationalmannschaft sowie über Fitness-Themen. Seit diesem Montag ist er in Wolfsburg. Eine Nominierung von Julian Nagelsmann war dafür nicht notwendig – Wolff schreibt am Rande der Trainingseinheiten der deutschen Nationalelf, statt auf dem Spielfeld zu agieren.

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