Leroy Sané verließ im Sommer ablösefrei den FC Bayern und spielt nun für Galatasaray Istanbul. In der Türkei verlief der Start in den neuen Karriere-Abschnitt eher holprig. Der 29-Jährige hat mit schwankender Form und Kritik aus Fankreisen zu kämpfen. Zuletzt erzielte er aber zwei Tore in einem Spiel und blickt positiv in die Zukunft, auch in Bezug auf die deutsche Nationalmannschaft.

Frage: Herr Sané, egal, ob es um Ihre geplatzte Vertragsverlängerung bei Bayern, den Wechsel zu Galatasaray, Ihre Spielweise oder Nominierungen vom DFB geht: Jeder in Deutschland hat eine Meinung zu Ihnen. Woran liegt es, dass Sie so eine Reizfigur sind?

Leroy Sané: Ich denke, es ist eine Mischung aus vielen Faktoren: Ich bin ein Offensivspieler mit einem bestimmten Stil. Ich habe mein Potenzial sicher nicht immer konstant zeigen können. Dazu kommt: Ich habe einen Charakter, den viele nicht gut kennen, aber als Arroganz interpretieren. Dabei geht es da eher um Selbstbewusstsein. Im Sport kann jeder seine Meinung haben, das macht es ja spannend. Ich komme aber damit klar, mir ist aber vor allem die Meinung der Menschen, die nah an mir dran sind, wichtig. Manchmal ist es fast ein bisschen kurios zu sehen, welche Meinungen so über mich kursieren.

Frage: Sie spielen seit Sommer bei Galatasaray und haben schon eine Achterbahnfahrt hinter sich: gegen Liverpool in der Champions League über 90 Minuten auf der Bank, beim Derby gegen Besiktas ebenfalls zunächst draußen, dann gegen Basaksehir Doppeltorschütze und Matchwinner, nun in der Stammelf. Wie erleben Sie die Zeit seit Ihrem Wechsel vom FC Bayern?

Sané: Ich spiele schon eine Weile Fußball, da kennt man das, was ihr „Gefühlsachterbahn“ nennt. Ich hätte bei beiden Partien gerne gespielt. Wir haben aber noch einige weitere Derbys. Trainer Okan Buruk hat mich sehr gut abgeholt, wir sind in einem sehr engen Austausch. Er hat mich motiviert, weiter an mich zu glauben. Ich hatte nach guten Trainingseinheiten in der Länderspielpause ein positives Gefühl: Inzwischen rollt alles, ich habe mich eingewöhnt. Jetzt läuft es deutlich besser.

Frage: In der Champions League gewann Ihr Team gegen Liverpool, verlor aber auch 1:5 gegen Frankfurt. Stars wie Osimhen, Icardi, Gündogan oder Sie spielen für Gala. Was ist drin in der Königsklasse?

Sané: Wir können etwas Besonderes leisten, da wir eine starke Truppe haben. Wir haben ambitionierte Ziele im Kopf, wollen mindestens die Play-offs erreichen. Was darüber hinaus passiert: Schauen wir mal, was kommt …

Frage: Würden Sie gerne Ihren Ex-Kollegen vom ­­FC Bayern in der Champions League begegnen?

Sané: Ich würde mich sehr darauf freuen, gegen Bayern in der Champions League zu spielen. Das macht doch einen besonderen Reiz aus, ich durfte das mit Bayern gegen City erleben, genauso mit City gegen Schalke.

Frage: Die Bayern sind mit 15 Siegen in Serie in die Saison gestartet. Wie ist Ihr Blick auf Ihren Ex-Verein?

Sané: Ich verfolge die Spiele noch und bin über den Start sehr froh: Ich hoffe, dass sie weiter ihr Ding durchziehen. Ich bin mit den Jungs in Kontakt, mit meinen Kumpels Phonzy Davies, Jamal Musiala und Michael Olise, genauso aber mit Jo Kimmich, Leon Goretzka – die kenne ich ja noch deutlich länger als die Jung­spunde (lacht). Die Verbindung ist weiter sehr gut.

Frage: Wieso haben Sie am Ende doch nicht bei Bayern unterschrieben?

Sané: Je näher es Richtung Entscheidung ging, desto mehr Gedanken habe ich mir dazu gemacht. Ich wollte ein neues Kapitel. Das, was Gala erreichen möchte, ist sehr ambitioniert. Da war richtig Druck dahinter. Daher habe ich meine Zukunft bei Galatasaray gesehen.

Frage: Bayern wollte Ihnen weniger Gehalt zahlen als bisher, Galatasaray bot Ihnen mehr. Ging es für Sie um eine Form von Wertschätzung?

Sané: Die Vertragskonditionen alleine waren sicherlich nicht ausschlaggebend, spielten aber natürlich eine gewisse Rolle. Aber ich habe auch beim Wechsel zum FC Bayern 2020 während der Pandemie auf Geld verzichtet. Es ging für mich darum, was ich noch erleben will in meiner Kar­riere. Das Kapitel Galatasaray hat mich gereizt.

Frage: Ihr Wechsel kam für viele überraschend, auch weil die türkische Liga nicht den Stellenwert einer absoluten Top-Liga hat. Es gab Stimmen, Sie hätten sich „verwechselt“ und bei den Bayern verpokert. Was entgegnen Sie den Kritikern?

Sané: Jeder hat seine Meinung, das ist okay. Es war meine Entscheidung, ich fand die Ziele des Vereins reizvoll, es ist eine neue Herausforderung. Galatasaray ist weltweit bekannt, hat viele Fans. Und die Liga entspricht nicht ganz dem Ruf, den sie in Deutschland hat. Es ist eine gute Qualität vorhanden, das durfte zuletzt ja auch der VfB Stuttgart erfahren (verlor bei Fenerbahçe in der Europa League 0:1). Ich bin positiv überrascht von der körperlichen Härte und der Geschwindigkeit in der Liga. Man kann hier nicht so einfach durchmarschieren. Und letztlich spiele ich hier auch international – und zwar in der Cham­pions League. Wir messen uns regelmäßig mit den besten Teams Europas und gewinnen dort auch Spiele.

Frage: Julian Nagelsmann scheint davon nicht überzeugt zu sein: Sie wurden nach Ihrem Wechsel direkt aus dem DFB-Kader gestrichen.

Sané: Julian kennt mich lange, hat mich bei Bayern und der Nationalmannschaft trainiert. Wir hatten zwei gute Telefonate seit meinem Wechsel zu Galatasaray, sprechen die Dinge offen an. Julian hat mir die letzten Jahre viel Vertrauen geschenkt, stand immer hinter mir. Er wusste, dass es für mich eine neue Situation ist, ich erst einmal in den Rhythmus kommen muss. Es musste sich zurechtrütteln hier, das war immer offen kommuniziert: Daher war ich nicht sauer oder verärgert. Wir haben darüber gesprochen, was ich abliefern muss.

Frage: Und was genau ist das?

Sané: Ich soll meine Stärken ausspielen, meine Energie im Spiel entwickeln. Das fordert Julian von mir ein. Wenn ich das umsetze, weiß ich, dass ich wieder dabei sein kann. Julian wird mich da absolut fair beurteilen, das rechne ich ihm menschlich sehr hoch an. Ich bin Julian sehr dankbar, was er für mich getan hat.

Frage: Rechnen Sie damit, im November dabei zu sein – und ist es schwerer, als Spieler der SüperLig Teil der Auswahl zu sein?

Sané: Ich hoffe es, dass ich wieder dabei bin. Und zur türkischen Liga: In der erfolgreichen Nationalmannschaft Portugals sind regelmäßig Spieler, die in Saudi-Arabien unter Vertrag stehen. Es geht um die individuelle Leistung, wie gut ein Spieler wirklich ist. Dann können die Leistungen in der Nationalmannschaft bestätigt werden.

Frage: Hatten Sie aus Saudi-Arabien Angebote?

Sané: Es gab Interesse, ja. Aber ich habe aktuell noch andere Ziele.

Frage: Wie groß ist das Ziel WM 2026 in Ihrem Kopf?

Sané: Sehr, sehr groß. Es dürfte die letzte WM sein, an der ich teilnehmen kann. 2030 bin ich schließlich schon 34. Das ist das größte Event im Fußball. Da will ich dabei sein, das ist mein größtes persönliches Ziel. Für mich würde ein Traum in Erfüllung gehen, wenn ich dabei sein könnte.

Frage: Ein Youngster, der zwölf Jahre jünger als Sie ist, darf ebenfalls von der Teilnahme träumen: Lennart Karl. Wie haben Sie ihn in München wahrgenommen?

Sané: Karl der Große (lacht)! Sein linker Fuß ist unglaublich, das ist seine absolute Waffe. Das hat man schon im Training gesehen: Wenn er sich den Ball hingelegt hat, ist er im Winkel eingeschlagen. Das hat mich immer an Arjen Robben erinnert. Lenny ist ein super Junge, er ist 17, hat noch so viel vor sich. Seine Qualität ist enorm, aber er braucht Zeit und soll seine Erfahrungen sammeln. Ich hoffe, dass Lenny verletzungsfrei bleibt und die Zeit genießen kann. Dann stehen ihm alle Türen offen.

Der Text wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, SPORT BILD, BILD) erstellt und zuerst in SPORT BILD veröffentlicht.

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