Football steht normalerweise für die vier M’s: Muskelberge, Milliardengeschäft, Machtspiele, Männerdomäne. Doch in der größten Sportliga der Welt sorgt seit diesem Jahr eine Frau für Aufsehen. Nicht als Cheerleaderin, nicht als Fan – sondern als Boss. Die 45-jährige Carlie Irsay-Gordon ist seit Mai Chefin der Indianapolis Colts. Das Team bestreitet an diesem Sonntag (15.30 Uhr, RTL) das Ligaspiel gegen die Atlanta Falcons im Berliner Olympiastadion. Nach sieben Siegen aus neun Partien liegen die Colts um Star-Running-Back Jonathan Taylor voll auf Play-off-Kurs und starten als klarer Favorit in das Duell.
Irsay-Gordons Vater Jim Irsay war nach langer Krankheit im Alter von 65 Jahren verstorben. Da die Colts, Super-Bowl-Champion von 1971 und 2007, Familiensache sind, führen Irsay-Gordon und ihre zwei Schwestern – Kalen Jackson und Casey Foyt – das Team seitdem gemeinsam als Miteigentümerinnen. Irsay-Gordon ist dabei die alleinige Geschäftsführerin.
Ihr Großvater Robert Irsay hatte die damals noch in Baltimore beheimateten Colts („Fohlen“) 1971 gekauft und 1984 nach Indianapolis umgesiedelt. Während andere Teambesitzer oben in der VIP-Loge Champagner trinken, steht Irsay-Gordon unten im Getümmel. Sie verfolgt das Spiel mit Headset an der Seitenlinie.
Warum? Sie will wissen, wer bei Niederlagen der Schuldige ist. Nicht aus Misstrauen, sondern aus Neugier und Verantwortung. Trainer? Spieler? Oder war einfach der Gegner zu gut? Daher hört sie jede Ansage des Trainers mit.
„Ich muss in der Lage sein zu sagen: Ist diese Person ein Idiot? Weiß er überhaupt, wovon er redet?“, erklärte sie: „Ist der Receiver die falsche Route gelaufen? Ist was vorher falsch gelaufen und war daher gar nicht die Schuld des Spielers? Dafür ist das Headset ein wichtiger Bestandteil. Es hilft uns zu erkennen, wo wir Anpassungen vornehmen müssen, welche Ressourcen wir benötigen und was wir verbessern müssen.“
In den vergangenen fünf Jahren haben die NFL-Teams über eine Milliarde Dollar für entlassene Trainer und Manager bezahlt. Die Colts müssen Ex-Trainer Frank Reich, der 2022 gefeuert wurde, seitdem neun Millionen Dollar pro Jahr überweisen. Erst nach der kommenden Saison wäre sein Vertrag ausgelaufen.
Geld, das von den milliardenschweren NFL-Eigentümern locker aus der Portokasse bezahlt wird. Irsay-Gordon hat da aber eine andere Herangehensweise. „Ich würde es jedem Eigentümer empfehlen, der Trainern und Managern Millionen und Abermillionen von Dollar zahlen muss, mal ein Headset aufzusetzen. Es hilft, potenziell weniger kostspielige Fehler zu machen“, sagte sie. Nicht nur die Fans, sondern auch die Trainer sind von ihrem Verhalten begeistert. Head Coach Shane Steichen spricht von einer „phänomenalen Zusammenarbeit“ und von einer „großartigen Anführerin“.
Carlie Irsay-Gordon begann bereits in jungen Jahren bei den Colts ganz unten – im Ticketverkauf
Die neue Eigentümerin verbringt reichlich Zeit im Trainingszentrum, um die Spieler auch abseits der Partien zu beobachten. Offensivkoordinator Jim Bob Cooter hebt hervor, dass ihre Präsenz in Meetings bereichernd wirke, sie höre zu, lerne mit und bringe eigene Impulse ein – ohne in Entscheidungen einzugreifen.
Der österreichische Colts-Profi Bernhard Raimann sagte zu „Bild am Sonntag“: „Es ist einzigartig zu sehen, wie sehr sie sich bemüht, alles zu lernen. In den vergangenen Jahren hat sie auch bei unseren Sitzungen zugehört und Fragen gestellt. Das war für mich am Anfang sehr, sehr komisch. Nach einem Meeting hat sie mich einmal gefragt, woran ich denke, wenn ich diesen Block setze. Für mich war es damals nervenaufreibend, mit ihr zu sprechen. Das zeigt, wie wichtig es ihr war, jede einzelne Person in dem Gebäude kennenzulernen und jedes Detail über Football zu lernen.“
Irsay-Gordon begann bereits in jungen Jahren bei den Colts ganz unten – im Ticketverkauf. Später arbeitete sie im Marketing und in der strategischen Planung. Sie wollte das Geschäft von der Basis verstehen, nicht vom Chefsessel aus. Bereits seit 2004 vertritt sie die Colts bei den Eigentümerversammlungen der NFL. 2008 erhielt sie den Titel Vice President – bereits damals war es ein seltener Aufstieg in der fast ausschließlich von Männern dominierten Liga.
Als ihr Vater Jim Irsay 2014 aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend ausfiel, übernahm Irsay-Gordon kommissarisch den Vorsitz. Da war sie längst keine „Tochter des Besitzers“ mehr, sondern die Frau, die Entscheidungen traf – und sie verantwortete. General Manager Chris Ballard scherzte über die Fragen seiner neuen Chefin: „Manchmal nerven sie mich, aber dann denke ich darüber nach – und sie hat recht.“
In Berlin soll der Grundstein für die Play-offs gelegt werden
Seit sie an der Seitenlinie steht, läuft es bei den Colts so gut wie lange nicht mehr. Aus den ersten neun Saisonspielen gab es nur zwei Niederlagen – Platz 1 in der AFC (eine der zwei Konferenzen). Vor wenigen Tagen sorgten die Colts dann noch einmal für Aufsehen. Am Rande der Trade-Deadline, dem Ende der Wechselperiode innerhalb einer Saison, schlug das Team aus Indianapolis zu. Der erst 25-jährige Superstar-Cornerback Sauce Gardner wurde von den New York Jets geholt. Im Gegenzug wanderten zwei Erstrundenpicks sowie Receiver AD Mitchell nach New York – ein satter Preis für einen Spieler. Mittendrin war erneut Irsay-Gordon.
In den Stunden zuvor soll sie eine Nachricht an ihren General Manager Ballard geschrieben haben: „Willst du das Problem nur notdürftig beheben oder langfristig lösen?“ Der Kaufbefehl für den Superstar war erteilt.
Mit einem Sieg heute in Berlin soll der weitere Grundstein für die Play-off-Teilnahme gelegt werden. Ihr großes Ziel ist aber die Teilnahme am Super Bowl in Santa Clara am 9. Februar. Erst dann wäre Irsay-Gordon vollends in die Fußstapfen ihres Vaters gestiegen. Bis dahin hört sie weiter mit – und führt die Colts nach vorn.
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