Nach einem tollen Start in die Saison ist Eintracht Frankfurt zuletzt ins Straucheln geraten. In der Bundesliga steht der Champions League-Teilnehmer nur im tristen Mittelfeld. Sport-Vorstand Markus Krösche (45) bezieht vor dem Heimspiel am Sonntag (19.30 Uhr, DAZN und im WELT-Liveticker) Stellung zur sportlichen Krise.

Frage: Herr Krösche, durch das 0:0 in Neapel ist Eintracht in der Champions League im Soll. In der Liga hinkt der Verein den Ansprüchen hinterher, oder?

Markus Krösche: Punktetechnisch schon, das muss ich sagen. Wir haben durch Union (3:4/d. Red.) und Heidenheim (1:1/d. Red.) fünf Punkte zu wenig.

Frage: Wie wichtig ist in diesem Zusammenhang jetzt das Heimspiel gegen Mainz?

Krösche: Es ist natürlich nicht saisonentscheidend, aber wichtig. Wir spielen zu Hause, da ist es natürlich unser Ziel, das Spiel zu gewinnen.

Frage: Um dann in der Länderspielpause ein bisschen die Wunden zu lecken?

Krösche: Wir wussten genau, was in dieser Saison auf uns zukommt. Und nach der Champions-League-Auslosung sowieso. Denn gegen solche Gegner führt jeder kleiner Fehler zu einer Torchance und jeder größerer zu einem Gegentor. Natürlich fühlt es sich nicht gut an, wenn man das dann wirklich erlebt. Aber das gehört zur Entwicklung einer jungen Mannschaft dazu.

Frage: Das Umfeld ist dagegen sehr kritisch. Erwarten Sie da mehr Verständnis?

Krösche: Wir kennen doch unser Umfeld, das ist normal (schmunzelt). Und die Erwartungshaltung steigt immer ein bisschen mit dem Erfolg. Aber wir müssen wissen, wo wir herkommen und es richtig einordnen.

Frage: Bei den Spielern sind die Ansprüche allerdings auch gestiegen. Unser Eindruck: Damit waren sie teilweise überfordert.

Krösche: Ich finde es gut, wenn die Spieler einen hohen Anspruch an sich selbst haben, weil das dazu führt, dass wir erfolgreich sind. Klar waren sie nach den Negativ-Ergebnissen auch unzufrieden. Entscheidend ist aber, dass sie sich zum Beispiel gegen Dortmund und Neapel wieder auf die Dinge konzentriert haben, die im Fußball die Basis sind.

Frage: Heißt?

Krösche: Natürlich wollen Spieler und wir als Team Tore schießen, zaubern und zocken. Und dass wir in der Lage sind, gut Fußball zu spielen, wissen wir. Trotzdem geht es um die Basis im Spiel gegen den Ball. Darum, Zweikämpfe zu gewinnen und eine gute Struktur und Aggressivität zu haben als Mannschaft.

Frage: Vor Saisonbeginn war das Ziel, mit einer Viererkette zu spielen, um einen attraktiven und dominanten Ballbesitz-Fußball umzusetzen. Doch Trainer Dino Toppmöller setzt aktuell auf die defensivere Fünferkette. Hat er recht?

Krösche: Ein Trainer muss auf das reagieren, was er sieht. Und wenn du zu viele Gegentore bekommst, musst du von deinem Idealbild abweichen. Das ist reiner Pragmatismus und richtig. Natürlich ist es unser Ziel, mit der Viererkette zu spielen, um einen Offensivspieler mehr auf dem Platz zu haben. Aber es ging Dino darum, wieder Stabilität reinzubekommen. Und das ist gelungen.

Frage: Elye Wahi, Michy Batshuayi, Jonathan Burkardt – aktuell genügt nur Letzterer den Ansprüchen im Sturm, oder?

Krösche: Es könnte grundsätzlich ein bisschen besser sein, das stimmt. Jonny macht es sehr gut, und die anderen müssen, wenn sie reinkommen, dem Trainer zeigen, dass sie uns helfen können. Aber gerade Elye... Der Junge tut mir fast leid. Als Stürmer braucht er ein Erfolgserlebnis, dann bekommt er ein anderes Selbstverständnis, eine neue Leichtigkeit. Ich wünsche ihm einfach, dass er ein Tor erzielt.

Frage: Holen Sie im Winter einen neuen Stürmer? Sie sind bekanntlich an William Osula dran.

Krösche: Es macht keinen Sinn, über Namen zu sprechen. Und auch nicht, jetzt zu spekulieren, ob wir was machen oder nicht. Lasst uns die Spiele bis zum Winter machen, dann kann ich Ihnen eine Antwort geben.

Frage: Wer wird der nächste Mega-Verkauf von Eintracht? Can Uzun oder Nathaniel Brown?

Krösche: Jetzt ist der falsche Zeitpunkt, darüber nachzudenken, wer uns wann verlassen könnte. Sie sind beide jung und sollen noch ein bisschen bei uns bleiben. Can hat sich super entwickelt im Vergleich zum letzten Jahr. Schade, dass er jetzt verletzt ist. Und Nene (Brown, Anm. d. Red.) ist einfach außergewöhnlich. Er hat eine herausragende Entwicklung genommen, gerade was das Verteidigen auf hohem Level angeht. Wenn man sieht, wie er in der Champions League gegen Top-Gegner spielt.

Frage: Haben Sie so einen Raketen-Aufstieg wie bei Brown schon mal erlebt?

Krösche: Kai Havertz hatte damals in Leverkusen ein ähnliches Tempo. Er wurde mit 17 Profi und hat dann relativ schnell Champions League gespielt. Letztlich ist es bei jungen Spielern so: Wenn sie zuhören und lernen wollen und wenn sie ein gewisses Grundpotenzial haben, ist es nicht ungewöhnlich, dass sie so einen Weg gehen.

Frage: Marc Cucurella – auch Linksverteidiger – wechselte 2022 für 65 Millionen Euro Ablöse zu Chelsea. Ist diese Summe auch für Brown vorstellbar?

Krösche: Ja! Weil er drei außergewöhnliche Fähigkeiten hat, die du nicht lernen kannst: Er ist schlau und spielintelligent, hat eine tolle Technik und ist sehr schnell. Und all das ist nötig, um eine große Karriere vor sich zu haben.

Frage: Welcher Eintracht-Spieler muss Ihrer Meinung nach zur WM?

Krösche: Alle vier, also: Brown, Burkardt, Robin Koch und auch Nnamdi Collins.

Frage: Warum?

Krösche: Nnamdi ist 1,92 Meter, läuft 36 km/h, hat eine sehr gute Zweikampfführung, kann sowohl Innenverteidiger, in einer Dreier-Kette wie auch Außenverteidiger spielen. Er ist also extrem flexibel, und er ist jung. So viele Spieler dieser Art haben wir in der Liga auf dieser Position nicht. Nene ist für mich momentan der beste Linksverteidiger, Jonny einer der besten Stürmer. Auch Robin ist ein Top-Verteidiger, was er zuletzt wieder gezeigt hat. Und er ist eine echte Persönlichkeit.

Frage: Collins kommt überraschend, denn Bundestrainer Julian Nagelsmann hat ihn nach dessen missglückten Debüt nicht mehr nominiert.

Krösche: Stimmt, aber er hat diese Grundfähigkeiten, und Qualität setzt sich durch. Ich denke, er wird Julian am Ende durch Leistung überzeugen.

Frage: Rechnen Sie damit, dass Bayern München in der Liga jedes Spiel gewinnt?

Krösche: Sie sind jetzt im zweiten Jahr mit Vincent Kompany, der schon in Burnley bewiesen hat, dass er ein sehr guter Trainer ist. Er hat die beste Mannschaft der Liga, mit Harry Kane einen unglaublichen Stürmer, sie funktionieren als Mannschaft sehr gut, sind eine Einheit mit und gegen den Ball. Deshalb traue ich ihnen zu, dass sie jedes Spiel gewinnen können.

Frage: Auch die Champions League?

Krösche: Wenn sie so spielen wie in der ersten Hälfte gegen Paris St. Germain oder wie gegen Chelsea, dann sind sie definitiv ein Titel-Kandidat.

Frage: Täuscht der Eindruck, oder sind die deutschen Schiedsrichter so schlecht wie noch nie?

Krösche: Ich finde, wir müssen ein bisschen vorsichtig sein. Dieses Von-oben-herab, dieses Pauschalisieren, dieses Populistische finde ich nicht richtig. Wir müssen anders miteinander umgehen. Schiedsrichter sind Menschen, und Menschen machen Fehler. Wie Spieler, wie Verantwortliche in den Klubs. Und trotzdem: Sie müssen sich verbessern. Beim Thema Entscheidungsfindung, bei der VAR-Nutzung und beim Thema Persönlichkeit und Kommunikation. Wir müssen sehen, dass wir da auf ein anderes Niveau kommen.

Frage: Was meinen Sie mit Persönlichkeit?

Krösche: Dass sie die Partien souverän leiten und sich nicht von der Hektik anstecken lassen. Wir müssen daran arbeiten, dass sie auch in schwierigen Situationen eine gewisse Souveränität und ein gutes Miteinander mit den Spielern haben. Du bist als Schiedsrichter eine Führungsfigur, so musst du auch auftreten.

Frage: Haben Sie Lösungsvorschläge?

Krösche: Es ist letztlich nichts anderes als das, was wir besprechen, wenn es um unsere Spieler-Ausbildung geht. Wir müssen als deutscher Fußball dafür sorgen, dass der Nachwuchs besser geschult wird, dass sie von der Pike auf dabei sind, dass sie also deutlich früher und intensiver ausgebildet werden.

Frage: Das klingt nach Profitum.

Krösche: Ja, und ich bin auch für den Profi-Schiedsrichter! Wenn du nebenbei einem anderen Beruf nachgehst, kannst du dich nicht voll fokussieren. Das Spiel wird immer schneller und intensiver, dazu die vielen Vor- und Nachbereitungen, die körperliche Anforderung mit der gleichzeitigen Wahrnehmung von Situationen... Das funktioniert nur, wenn du das professionell machst. Wir reden über Professionalisierung, wenn es darum geht, das Produkt Bundesliga zu verbessern.

Das Interview wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, „Bild“, „Sport Bild“) erstellt und zuerst in der „Bild am Sonntag“ veröffentlicht.

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