In Minute fünf der Nachspielzeit wurde Mainz zum Tollhaus. Jae-sung Lee hatte die Flanke von Kaishu Sano mit dem Kopf ins lange Eck bugsiert, da explodierte die Kulisse. Die Fans schrien sich die Freude über den Last-Minute-Sieg gegen die AC Florenz hinaus, der Torschütze drehte jubelnd ab – und an der Seitenlinie löste sich Bo Henriksen aus dem Jubelknäuel, den der Betreuerstab gebildet hatte. Er rannte auf den Platz. Kurz darauf feierten alle Rot-Weißen vor der Fankurve. Große Emotionen.

„Ja, das ist einer dieser magischen Abende. Was soll ich sagen? Wir sind glücklich“, sagte Henriksen nach dem Kraftakt vom Donnerstag. Auch im dritten Spiel der Conference League, einem eher untergeordneten und deshalb teilweise unbeliebten europäischen Wettbewerb, siegten die Mainzer erneut – doch diesmal war es eine besondere Willensleistung. Sie drehten die Partie, in der sie mitunter große Probleme hatten. „Aber wir haben nie aufgehört zu glauben. Wir haben unser Herz gezeigt. Und wenn das möglich ist, dann ist alles möglich“, sprudelte es aus dem Dänen heraus. Aus jedem Wort sprach Erleichterung.

Die hatte weniger mit der Conference League zu tun. Den Rheinhessen ist die Teilnahme an den Play-offs kaum noch zu nehmen. Die Chancen stehen sogar gut, sich direkt für das Achtelfinale zu qualifizieren. Dazu würde schon ein Sieg aus den noch ausstehenden drei Spielen reichen. Doch die fast schon überbordenden Gefühle hatten andere Ursachen.

Der komplette Klub atmet auf

Die Partie gegen die Fiorentina werde „in die Geschichte eingehen“, behauptete Nadiem Amiri. Zum einen, weil Mainz noch nie einen so renommierten Gegner auf internationalem Parkett bezwungen hat. Zum anderen aber, „weil wir endlich wieder ein Erfolgserlebnis haben – endlich wieder dieses Gefühl erleben konnten, wie diese ganzen Steine von uns abgefallen sind“, so der Kapitän der Nullfünfer. Das war „Balsam für die Seele“, sagte sein Kollege Benedict Hollerbach, der das zwischenzeitliche 1:1 erzielt hatte – sein allererstes Tor für die Mainzer überhaupt.

Der komplette Klub atmet auf, denn seit Donnerstag ist die Hoffnung, auch in der Bundesliga endlich die Trendwende zu schaffen, wieder deutlich größer geworden. „Dieses Gefühl und diese Power müssen wir am Sonntag mit nach Frankfurt nehmen“, forderte Amiri. Dort steht ein wichtiges, allerdings auch schwieriges Spiel an (19.30 Uhr/live DAZN).

Bislang scheint es ein Rätsel, warum dem Team von Henriksen auf nationaler Ebene nicht das gelingt, was es international schafft. Nur eines der neun Bundesligaspiele konnte gewonnen werden. In den letzten fünf Partien gab es vier Niederlagen am Stück. Und im Heimspiel gegen Werder Bremen am vergangenen Samstag, das der Trainer als „wichtigstes Spiel der Saison“ klassifiziert hatte, wurde der sicher geglaubte Sieg in der 86. Minute, als man das 1:1 kassierte, noch verspielt. Die Mainzer, die am vorletzten Mittwoch auch aus dem DFB-Pokal ausgeschieden waren, wirkten fast schon hoffnungslos.

Krise, Kritik, Vorurteile – und Rückendeckung

Dagegen schien auch der Trainer machtlos zu sein. Ausgerechnet Henriksen, der den Klub revitalisiert hatte, der die Mannschaft in seiner ersten Saison doch noch zum Klassenverbleib und sie in der Spielzeit 2024/25 in die Conference League geführt hatte. Das war für die Mainzer ein bemerkenswerter Erfolg. Hatte sich der Motivator, der vor den Spielen gerne die Fans aufpeitscht, verbraucht? Hatten die Kritiker, die aus Henriksens emotionaler Art immer schon den Rückschluss zogen, seine fachliche Befähigung falle dagegen ziemlich ab, am Ende doch recht?

Der Verein entgegnete diesen Vorurteilen, die den 50-Jährigen immer schon begleitet hatten, mit einem klaren: Nein. „Bei uns herrscht absolute Ruhe, und es gibt auch gar keinen Grund für Unruhe. Ich habe großes Vertrauen, weil die Mentalität der Mannschaft und die Einstellung stimmt“, sagte Christian Heidel vor einer Woche, als die Krise auf den Kulminationspunkt zuzusteuern schien. Das war mehr als ein Lippenbekenntnis. Denn der Sportvorstand hat gutes Gespür, wann ein Trainer zum Problem werden kann.

Einen solchen Eindruck hatte Heidel zuletzt genau vor zwei Jahren. Bo Svensson, der lange eine ähnliche Erfolgsgeschichte wie nach ihm Henriksen geschrieben hatte, ging zum 2. November 2023 – weil die Mannschaft aus neun Spielen nur drei Punkte geholt hatte. In den Jahren zuvor hatte der dänische Landsmann von Henriksen die Mainzer aus einer schier aussichtslosen Situation vor dem Abstieg gerettet und sie dann zweimal hintereinander auf einen einstelligen Tabellenplatz geführt. Doch plötzlich drang Svensson nicht mehr durch. Heidel führte mit ihm ein intensives Gespräch – an dessen Ende stand der freiwillige Rückzug des Trainers.

„Das Wichtigste sind Mut und diese Erlebnisse“

Mit der aktuellen, erneut schwierigen Situation sei das Szenario aber nicht vergleichbar. „Bo Henriksen ist keineswegs ausgebrannt, so wie das damals der Fall war“, erklärte Heidel. Damit war die Trainerdebatte wieder beendet – selbst wenn Zweifel geblieben sein mögen.

Doch die wurden durch den Kraftakt vom Donnerstag, so scheint es, verscheucht. „Das Wichtigste im Leben sind der Mut und diese Erlebnisse, diese Siege“, sagte Henriksen, der noch lange nach dem Schlusspfiff aufgewühlt war. Seine Mannschaft hätte in den vergangenen Wochen immer wieder alles probiert, um die Negativserie zu durchbrechen. Er hätte die Spieler nach den vielen Rückschlägen immer wieder aufgefordert, sich nicht in Fatalismus zu flüchten. „Deshalb war es so ja wichtig, dass wir uns gegen Florenz endlich belohnt haben. Das haben wir gebraucht, um auch weiter an uns zu glauben“, erklärte er.

Bo Henriksen ist überzeugt, dem FSV Mainz 05 noch viel geben zu können. „Wenn ich das nicht wäre, wäre ich schon längst nicht mehr hier“, sagte er. Er will er den Tabellenvorletzten aus dem Keller führen.

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