Manchmal sind es die kleinen Dinge, welche die großen Erfolge und ihre Hintergründe besonders sichtbar machen. Nach dem Abpfiff im Pariser Stadion Parc des Princes am Dienstagabend rief Kapitän Manuel Neuer sofort alle seine Mitspieler zu sich. Der Kapitän und Torwart des FC Bayern formte mit ihnen noch auf dem Rasen einen engen Kreis, Vincent Kompany lief sofort dazu. Gemeinsam brüllten sie vor Freude, sprangen und sangen, feierten den Sieg. Und zeigten, welche Einheit der belgische Trainer hier geformt hat.
Das 2:1 (2:0) in der Vorrunde der Champions League bei Paris St. Germain war mehr als ein Sieg. Es war eine Machtdemonstration. Eine bestandene Reifeprüfung. Und ein Signal an die Konkurrenz. Neuer hatte es vor dem Spiel deutlich gemacht: Diese Partie ist eine Chance, den internationalen Gegnern zu beweisen, dass im Kampf um den Pokal in der Königsklasse in dieser Saison mit den Bayern zu rechnen ist. Es war ein Statement-Sieg mit Ausrufezeichen.
Die Münchner gewannen in Unterzahl beim Titelverteidiger, über 45 Minuten waren sie zu zehnt. Sie spielten eine der besten Halbzeiten, seit Kompany Trainer ist und ließen in den ersten 45 Minuten gar nicht erst zu, dass Paris das Spiel kontrolliert. Außenstürmer Michael Olise verteidigte mit, Verteidiger Josip Stanisic war auch mal ganz vorn zu finden.
In der Bundesliga haben die Bayern bereits sieben Punkte Vorsprung auf den Tabellendritten Borussia Dortmund, fünf auf den Zweiten RB Leipzig. Auch in Europa sind sie die Nummer eins. Das zeigte sich in Paris. Und belegt die Tabelle der Königsklasse, welche der deutsche Fußball-Rekordmeister nun punktgleich mit dem FC Arsenal anführen.
14 Tore in vier Spielen in der Champions League
Wie gut sind die Bayern wirklich? Diese Frage beschäftigte Fans und Experten vor der Partie. Reicht ihre nationale Dominanz auch für große Siege international? Die Münchner gaben – wie vor einigen Wochen gegen den FC Chelsea – auf dem Rasen eine eindeutige Antwort: Aktuell sehr stark, stabil und anpassungsfähig.
Die Partie zwischen den Topklubs in Paris war eine eindeutige Angelegenheit. Die Bayern agierten sehr reif und erwachsen und sendeten so eine eindeutige Botschaft an die Topklubs Europas. „Wir müssen akzeptieren, dass der Gegner besser war“, sagte Paris-Trainer Luis Enrique. In der Bundesliga kommen die Bayern nach neun Spielen bereits auf 33 Tore, in der Champions League nach vier Partien auf 14 Treffer. Die französische Zeitung „Le Figaro“ schreibt: „Die Bayern sind der Chef.“
Kompanys großes Werk ist derzeit wirklich beeindruckend: In Paris gelang wettbewerbsübergreifend der 16. Münchner Sieg in Folge. „Die erste Halbzeit war die beste, die ich in meiner Zeit bei Bayern erlebt habe“, sagte Mittelfeldchef Joshua Kimmich, für den es sein 100. Spiel in der Königsklasse war. „Es war viel Mann gegen Mann, das war nicht ohne. Wir waren richtig griffig, waren körperlich sehr präsent. Einem solchen Gegner auf so einem hohen Level mit so einer Art von Fußball so weh zu tun – das hat sich sehr, sehr gut angefühlt. Momentan sind wir natürlich ein europäisches Topteam.“
Kimmich betonte allerdings auch, es sei „viel zu früh, um darüber zu sprechen, ob wir einer der Favoriten auf den Titel sind.“ Es seien schon viele Mannschaften im November sehr gut in Form gewesen: „Am Ende ist aber entscheidend, wie man im März, April, Mai in Form ist. Wir hoffen natürlich, dass wir die aktuelle Form halten können.“ Das Finale der Champions League steigt am 30. Mai in Budapest.
Nach diesem so besonderen Sieg in Frankreichs Hauptstadt richtete Kompany in der Kabine besondere Worte an seine Mannschaft. „Er hat gesagt, dass wir jetzt jedem gezeigt haben, dass wir nicht nur schön gewinnen können“, berichtete Außenverteidiger Stanisic. „Sondern auch Spiele gewinnen können, in denen wir mehr als 45 Minuten einfach nur verteidigen müssen, obwohl das nicht unsere Kernkompetenz ist. Wir stehen dafür, attraktiven Fußball spielen und viele Tore schießen zu wollen. Heute haben wir das andere gebraucht und ich denke, wir haben das gut hinbekommen.“
Und Innenverteidiger Jonathan Tah sagte: „Die erste Halbzeit war brillant von uns. In der zweiten Halbzeit war: gemeinsam leiden. Wir mussten einmal durch die Hölle gehen. Das haben wir gemacht. Es war nicht einfach, aber wir haben das geschafft.“
Kompany hatte seine Mannschaft schon vorab auf ein Szenario vorbereitet, das eintrat – das Spiel in Unterzahl. Torwart Neuer verriet bei Amazon Prime: „Mit zehn Mann ist es natürlich nicht so leicht und das war dann in der zweiten Halbzeit ein Kampf. Aber wir machen es im Training oft genug, dass wir Überzahl gegen Unterzahl spielen, zehn gegen acht. Dann wollen wir richtig gut verteidigen und das haben wir heute bewiesen, dass wir das können.“
Grund für die Unterzahl war eine Aktion von Luis Díaz. Erst erzielte der im Sommer vom FC Liverpool verpflichtete Kolumbianer beide Tore (4./32. Spielminute) und bewies, dass er die Mannschaft verstärkt. Dann sah er nach einem Foul an Achraf Hakimi die Rote Karte, kurz vor Ende der ersten Halbzeit. Mats Hummels, der als Abwehrspieler mit Neuer 2014 in Brasilien die Weltmeisterschaft gewann, nannte die Aktion in seiner Rolle als Amazon-Experte „eine südamerikanische Doppelgrätsche“ und betonte, dass der Platzverweis berechtigt war.
Vorstand Max Eberl schützt Luis Díaz
„Er ist nach dem Spiel in der Kabine gestanden und hat mit allen abgeklatscht“, berichtete Sportvorstand Max Eberl über Díaz. „Das zeigt unser Mannschaftsgefüge: Er ist der Mannschaft dankbar, aber andersrum ist auch die Mannschaft ihm dankbar für die zwei Tore.“ Und Kimmich sagte: „Er war vor allem in der Halbzeit niedergeschlagen, weil er wusste, dass es für uns schwierig werden würde. Nach dem Spiel hat er sich dann extrem gefreut – wir uns natürlich auch. Ich hoffe jetzt, dass er nicht allzu lange gesperrt wird und dann schnell wieder dabei ist.“
Nach dem Platzverweis war es mitunter eine „Abwehrschlacht“, wie Eberl treffend feststellte. Für Paris traf der eingewechselten Portugiese João Neves (74.) zum 1:2. Weitere Treffer verhinderten die Bayern. Einer ihrer Besten war Dayot Upamecano. Aussetzer wie früher gibt es bei ihm nicht mehr, der Innenverteidiger ist souveräner Abwehrchef.
Die Bayern wollen seinen bis Sommer 2026 gültigen Vertrag verlängern, bemühen sich seit Längerem darum. Doch der 27-jährige Nationalspieler Frankreichs zögert. Vereinspräsident Herbert Hainer betonte auf der Jahreshauptversammlung am vergangenen Sonntag, wie sehr er sich über die jüngsten Vertragsverlängerungen von Kompany, Kimmich und den aktuell verletzten Jamal Musiala und Alphonso Davies gefreut habe. Und sagte: „Lieber Dayot Upamecano, gern zur Nachahmung empfohlen!“
Im Pariser Mannschaftshotel hielt Jan-Christian Dreesen, der Vorstandschef des Klubs, in der Nacht zu Mittwoch eine Bankettrede. Vor ihm saßen Upamecano, dessen Teamkollegen, die Trainer und Ehrengäste. „Es hat sich angefühlt wie ein Semifinale oder ein Finale“, sagte Dreesen. „Die erste Halbzeit mit dem 2:0 – wir hätten auch drei oder vier Tore schießen können – und der Roten Karte. Dann diese zweite Halbzeit, wo jeder für den anderen eingestanden ist. Wir haben gezeigt, dass wir nicht nur zaubern und Tore schießen können, sondern dass wir eben auch verteidigen können.“
Trainer Kompany sprach von einem Abend der „Arbeit und Emotionen“ im Parc Princes. „Aber der Champions-League-Sieger ist nicht jetzt entschieden“, betonte der Baumeister einer Mannschaft, die zur Sieg-Maschine geworden ist.
Es war ein großer Abend für den mit 39 Jahren noch jungen Trainer und seine Spieler. Ein Abend, der diese Mannschaft weit tragen kann. „Die Art und Weise, wie wir als Gruppe agieren – da ist richtig was am Entstehen“, sagte Eberl.
Julien Wolff ist Sportredakteur im Sportkompetenzcenter. Er berichtet für WELT seit vielen Jahren aus München über den FC Bayern und die Nationalmannschaft sowie über Fitness-Themen.
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