Die Saison ist noch lang, sehr lang. Für allzu kühne Träume ist da noch kein Platz. Beim FC Schalke 04 pfeifen sie darauf. Nach Jahren des Leidens feiern sie den Moment. Und der führt den Klub vorerst auf Rang zwei der 2. Fußball-Bundesliga.
Ruhe kann der FC Schalke 04 nicht. Der FC Schalke 04 kann nur extrem. Nach Jahren des existenziellen Leidens, nach Jahren mit internen und externen Demütigungen, läuft es in dieser Saison richtig gut. Vielleicht schon zu gut? Unter der Woche trennte sich der Klub von Kaderplaner Ben Manga. Schalke hatte wieder eine Schlagzeile. Eine, die für Wirbel sorgte. Wirbel ist das Lebenselixier für die Königsblauen.
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Der Puls des Vereins rast. Wäre Schalke ein Tier, Schalke wäre eine Etruskerspitzmaus. Das Herz des zwei Gramm schweren Säugetiers schlägt 25 Mal pro Sekunde (!). Schalke rast ebenfalls. An diesem Freitagabend knapp an der Tabellenspitze der 2. Fußball-Bundesliga vorbei. Die Gelsenkirchener besiegten Greuther Fürth mit 1:0 (0:0) und sind vorerst Zweiter. 77 Minuten hatten sie euphorisch gelitten und flippten dann völlig aus. Neuzugang Finn Porath drosch den Ball volley aus spitzem Winkel ins Tor. Das war ein Spektakel des Willens.
"Dafür habe ich jahrelang alles hinten angestellt"
Und Porath sog die plötzlich etruskurspitzmausig anschwellende Ekstase in sich auf. "Ich hab' Gänsehaut gehabt, als die Fans gerufen haben - wie geil ist das", sagte Porath, der den 23. Schuss der Schalker verwandelte, bei Sky: "Dafür habe ich jahrelang alles hinten angestellt, für diese Momente. Ohne Kiel (Anmerk. d. Red.: Er kam von Bundesliga-Absteiger Holstein) schlecht zu reden: Wenn diese Fans dabei sind, das ist unglaublich. Ich bin drei Wochen hier, ich merke, dass alles in eine Richtung geht." Nach vorne, nach oben. Nach ganz oben? Zurück in die Bundesliga? Matchwinner Porath fühlt das: "Ich bin mit Kiel aufgestiegen, da war auch ein Spirit da. Am Ende glaube ich, dass wir am Anfang der Saison sind. Es sind noch so viele Schritte zu gehen." Und natürlich träumen sie davon, auf den Rängen, wo sie jahrelang gelitten haben.
Jetzt sehen sie eine Mannschaft, die sich zerreißt. Über den Platz fliegen die Grätschen, danach die Hände. Als Aufforderung für die Fans, noch mehr zu geben. Den Druck hochzuhalten. Den Puls rasen zu lassen. Nach sieben Minuten schlugen die Extreme aber wieder zu. Schalke hatte sich schon zwei Chancen erarbeitet, dann knallte Ron Schallenberg in seinen Mitspieler Timo Becker. Der Abwehrmann war gerade rechtzeitig fit geworden. Er krümmte sich am Boden. Das sah nicht gut aus, er hielt sich das Knie. Zwei Minuten später musste er runter. Er weinte.
"Das schaut nicht gut aus"
Er habe "keine guten Nachrichten", sagte Schalke-Trainer Miron Muslic später. "Es besteht der Verdacht auf eine Innenbandverletzung. Und wenn ich mir die Bilder anschaue: Das schaut nicht gut aus." Der 28-Jährige droht lange auszufallen. Rauf und runter, Schalkes Gefühlswelt rast. Immer. Soufiane El-Faouzi flitzt los, der kleine Schnickser, der aus Aachen kam. Er dreht auf, läuft einfach durch zwei Fürther hindurch und hämmert den Ball aus spitzestem Winkel knapp über die Latte. Hätte er mal in die Mitte gespielt, wo Moussa Sylla war. Fand zumindest Moussa Sylla. Der verletzte Timo Becker war in diesem Moment Vergangenheit. Schalke raste.
In der 75. Minute hätte Sylla besser in die Mitte gespielt. Hätte Bryan Lasme dort gefunden. Und dieses Mal war die Meinung durchaus mehrheitsfähig im Stadion. Der eingewechselte "Fußballgott" war frei, Sylla aber wählte, klassischer Stürmer, selbst den Abschluss. Von der linken Seite aus geriet sein Schuss aber viel zu unplatziert. Haareraufen im Stadion. Das Ding musste doch endlich mal rein. Die Schalker, die durch den Kampf und nicht spielerischen Glanz in die Saison gefunden hatten, hatten die Minuten zwischen El-Faouzis Dribbling und Syllas Schuss klar dominiert. Die Mannschaft war extrem aggressiv im Pressing, klar im Spiel nach vorne. Die Gäste zeigten nur ganz selten, kurz vor der Pause auf, dass sie gewillt waren, etwas für das Spiel zu tun. Aber die Schalker brachten den Ball nicht unter. Sie hatten einen xG-Wert von 2,24. Das belegt die hohen Erwartungen, mit denen ein Tor hätte fallen sollen.
Am Ende muss Schalke zittern
Es fiel. Zwei Minuten später. Der tief geschickte Kapitän Kenen Karaman schoss erst aus gut sechs Metern mit dem rechten Außenrist auf die lange Ecke. Torwart Pelle Boevink parierte zur Seite, woraufhin Porath aus vollem Lauf mit der rechten Fußspitze aus spitzem Winkel traf und sich danach fassungslos vor Glück vor der Kurve aufpumpte. Der Puls am Anschlag. Überall. Trainer Muslic ballte immer wieder die Faust, lächelte das Glück in sich hinein. "Das war der stärkste Auftritt in den vergangenen Wochen", befand er. "Wir hatten nicht nur einen klaren Plan, die richtige Struktur und Organisation, sondern auch Dominanz in allen Phasen des Spiels. Wir waren sehr unangenehm und sehr gut vorbereitet im eigenen Ballbesitz." Der Sieg war übrigens der erste vor eigenem Publikum gegen Fürth seit 1951. Zur Wahrheit gehört indes auch, dass zwischen damals und jetzt lediglich vier Spiele lagen.
Und musste am Ende doch noch zittern. In der 96. Minute entschärfte Torwart Loris Karius einen tückischen Aufsetzer von Omar Sillah. Im Gegenzug traf Karaman zum 2:0, doch Abseits. Dann wieder Fürth: Philipp Ziereis nickte nach einer Freistoßflanke aus gut acht Metern nur hauchdünn am rechten Pfosten vorbei. "Was in den letzten sieben, acht Minuten passiert, passiert in jeder Liga auf der Welt, wenn es nur 1:0 steht", fand Muslic. "Der Gegner geht All-in und trotzdem haben wir die Null gehalten." Abpfiff. Die Arena tobt, der Puls rast. Ruhe? Keine Ruhe. Schalke eben.
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