Bei den Schwimm-Weltmeisterschaften in Singapur komplettierte Lukas Märtens seine Gold-Sammlung: Nach Olympiasieg und EM-Titel wurde der Magdeburger dort auch Weltmeister über 400 Meter Freistil. In diesem Jahr brach er außerdem auf dieser Strecke den 16 Jahre alten Weltrekord von Paul Biedermann – mit der Zeit von 3:39,96 Minuten. Im Interview erklärt der 23-Jährige, warum trotz aller Siege noch gar nicht alles glattlief, warum Deutschland weiter in Infrastruktur investieren muss und wieso ihm die TV-Präsenz bei der WM nicht gefiel.
WELT: Herr Märtens, Deutschland schloss die WM mit neun Schwimm-Medaillen ab. Wie ist das Ansehen inzwischen gewachsen?
Lukas Märtens: Die Konkurrenten haben inzwischen wieder ein Auge auf uns als Team. Das macht was mit den Gegnern und auch mit uns, wenn wir so weit oben im Medaillenspiegel stehen. Das waren wir lange nicht mehr. Darauf können wir stolz sein.
WELT: Sie haben erstmals zwei Medaillen bei einer WM geholt – Gold und Bronze. Dabei lief in diesem Jahr nicht alles glatt.
Märtens: Die Saison war nicht einfach mit den ganzen Ausfällen aufgrund von Krankheiten und zwei Nasen-Operationen. Der Start in die Saison war nicht leicht, zumal auch viele Termine mit Ehrungen und Auftritte nach dem Olympiasieg dazugekommen sind. Gleichzeitig waren genau diese Momente unglaublich schön und motivierend. Am Ende habe ich gelernt, mit solchen Hürden umzugehen und sie nicht als Bremse zu sehen. Die WM-Erfolge haben mir gezeigt, dass ich trotz aller Widrigkeiten auf höchstem Niveau bestehen kann. Ich hatte zwar vom Weltmeister-Titel geträumt, vor allem nach dem Weltrekord, aber dass es so geklappt hat, war überragend.
WELT: Sie gewannen die 400 Meter Freistil mit zwei Hundertstelsekunden vor dem Australier Samuel Short. Wie liefen die letzten 100 Meter ab?
Märtens: Es war tückisch, dass ich nach rechts atme und er links von mir schwamm. So sah ich nicht, wo er war. Ich habe alles gegeben und versuchte, weiter zu beschleunigen. Für die Zukunft könnte ich probieren, auch mal kurz nach links zu atmen, um zu gucken. Man ist in der Regel auf eine Seite konditioniert. Aber in dem Rennen habe ich daran nicht gedacht. Die letzten 20 Meter waren sauhart.
WELT: Beim Anschlag waren es Zentimeter. Haben lange Fingernägel geholfen?
Märtens: Die habe ich definitiv nicht geschnitten. Es wird langsam Zeit (lacht).
WELT: Fünf harte Jahre liegen hinter Ihnen: vier Weltmeisterschaften in Folge, zwei sind normal, plus Olympische Spiele. Wie haben Sie das durchgestanden?
Märtens: Ich habe versucht, nicht darüber nachzudenken, sondern habe einfach weitergemacht. Ich surfte auf der Welle ab dem Startschuss für mich bei der WM 2022. Danach ging es stetig bergauf und ich lieferte immer bei den 400 Metern Freistil ab. Dieses Jahr habe ich mich mit der 3:42er-Zeit fast etwas schlecht gefühlt, weil ich 2025 mehrmals schneller war. Am Ende zählt, dass ich Weltmeister wurde, und das gibt mir Rückenwind für das, was alles noch kommt.
WELT: Nächstes Jahr steht nur eine EM auf dem Plan. Ergibt sich dadurch die Gelegenheit, mal etwas mit Blick in Richtung Olympia 2028 auszuprobieren?
Märtens: In erster Linie hoffe ich, dass es einmal eine krankheitsarme Saison wird. Ganz verhindern kann man es nie, vor allem bei dem Pensum, das wir fahren. Aber ich werde versuchen, wieder konstanter Kilometer zu sammeln im Saisonverlauf. Ohne, dass ich mich ständig rausnehmen muss wie zuletzt. Ich mache das mittlerweile nach Gefühl: Wenn ich merke, dass mein Körper total am Ende ist und sich eine Krankheit anbahnt, dann bremse ich früher. Aber ich denke, dass mich das mittlerweile stärker macht.
WELT: Das heißt, Ihre Vorbereitung war noch nicht am Optimum und Sie schwammen trotzdem zu Gold und Weltrekord?
Märtens: Wenn ich die Krankheitsausfälle minimieren und den Körper weiter aufpeppen kann und keine Antibiotika mehr nehmen muss – wie in den vergangenen zwei Jahren immer wieder mal –, dann wäre ich superglücklich. Ein, zwei ruhige Jahre würden mir sicher guttun.
WELT: Bei der WM ließen Sie die 200 Meter Freistil weg, schwammen 400 und 800 Meter. Welche Konsequenz hat es für die nächste Planung?
Märtens: Die 400 Meter stehen natürlich, kein Thema. Wir prüfen die 200 Meter, aber dort gingen die Medaillen sehr schnell weg. Daher war die Entscheidung, die 800 Meter zu schwimmen, genau richtig. Vielleicht ein Modell für die Zukunft.
WELT: Ihre Schwester Leonie verpasste die WM wegen eines Handbruchs. Wie geht es ihr?
Märtens: Sie trainiert wieder, aber es gab Rückschläge, als die Wunde aufging oder Bakterien hineinkamen. Das ist eine relativ tückische Stelle, vor allem, da sie sich im Chlorwasser bewegen muss. Es tat mir unglaublich leid für sie, aber ich weiß, dass sie da gestärkt wieder rausgehen wird, weil sie einfach auch so eine Kämpferin ist, die sich nicht unterkriegen lässt. Das hat sie auch in den Genen, und da versuche ich sie mit allen Mitteln zu unterstützen.
WELT: Was war der Schlüssel zum Erfolg der Deutschen?
Märtens: Der Schlüssel war, dass die Bundesstützpunkte ausgebaut und aufgewertet wurden. Die Unterstützung wurde noch gezielter eingesetzt – ob nach Berlin oder nach Magdeburg. Dazu kommen Sportlerinnen wie Anna Elendt, die in die USA gegangen sind, weil sie dort bessere Möglichkeiten sahen. Es ist wichtig, dass sich in Deutschland infrastrukturell weiter etwas tut. Wir sind so ein junges Team – und schon so erfolgreich. Diese Ära hat Flo (Wellbrock; d. Red.) eingeleitet. Als er 2019 WM-Gold holte, saß ich noch vor dem Fernseher. Das war unfassbar. Jetzt können wir als DSV einen großen Schritt nach vorn machen.
WELT: Stichwort „Fernsehen“. Es gab Übertragungen durch das ZDF im Stream, aber – mit einer kurzen Ausnahme am letzten WM-Tag über die 1500 Meter Freistil – nicht im klassischen Fernsehen. Wie bewerten Sie das?
Märtens: Ich hoffe, dass wir bei den TV-Übertragungen wieder mehr in Erscheinung treten werden. Das war dieses Jahr noch nicht genug. Wenn ein Deutscher mit Medaillenchancen im Finale steht, sollte es doch möglich sein, dort einmal hinzuschalten. Ein 400-Meter-Rennen dauert keine vier Minuten. Da nehme ich auch den erhöhten Druck in Kauf, wenn ich weiß, dass ich im Live-TV zu sehen bin.
WELT: In Magdeburg soll ein Schwimmzentrum für Deutschland gebaut werden. Die Stadt hat zugestimmt, aber noch wird die Finanzierung mithilfe des Bundes geklärt. Wie wichtig ist dieses?
Märtens: In Magdeburg ist seit Jahren der Mittelpunkt des Schwimmens in Deutschland. Aktuell teilen wir uns die Halle mit den Hobbyschwimmern. Bisher hat es auch so irgendwie geklappt, aber wir könnten als Land mit einer Halle nur für die Topschwimmer vielleicht noch erfolgreicher sein. Diese würde von allen im DSV-Team für Trainingsmaßnahmen genutzt werden. Ich hoffe, dass ich das Zentrum noch zu aktiven Zeiten erleben werde. Zumindest wäre es für den Nachwuchs schön, wenn wir da schon mal ein Fundament aufbauen könnten – für die folgenden Stars im DSV.
WELT: Nach Olympia ohne Medaille hat sich Ihr Trainingskollege Florian Wellbrock mit viermal WM-Gold zurückgemeldet. Wie ist ihm das gelungen?
Märtens: Er war schon immer ein absolutes Leittier, führte unsere Gruppe an, lebte diesen sportlichen Ehrgeiz vor. Das hat sich nicht geändert. Natürlich hinterfragt man sich nach Olympia. Aber er hat gezeigt, dass es falsch ist, ihn abzuschreiben. Er hat es allen gezeigt, die aufgehört haben, an ihn zu glauben. Viermal Freiwasser-Gold ist ein Meilenstein. Ich gönne es ihm von Herzen, weil ich weiß, was er kann und wie viel er investiert.
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