Diogo Jota hatte nicht die Prominenz eines Ronaldo. Und doch berührt sein Tod die Menschen – weil sie ihre eigene Rolle hinterfragen in der Superheldenerzählung des Fußballs.  

Von großen Spielern bleibt meist eine besondere Szene im Gedächtnis haften. Cristiano Ronaldo, breitbeinig wie ein Cowboy stehend vor der Ausführung eines Freistoßes. Zinédine Zidane mit seinem Übersteiger, den Ball mit dem rechten Fuß umkreisend, aber mit dem linken spielend. Diego Maradona mit dem Rabona-Trick, bei dem er das Schussbein hinter das Standbein führte, um eine Flanke zu schlagen. Millionenfach kopiert seither, zu besichtigen an jedem Wochenende auf zahllosen Sportplätzen, von der Kreisliga A bis hinauf in die Bundesliga.

Solch eine Szene, solch einen signature move, gibt es von Diogo Jota nicht. Jota war ein sehr guter Fußballer, Mitglied der Meistermannschaft des Liverpool FC und des portugiesischen Nationalteams, doch keiner der ganz Großen seines Fachs. Und doch berührt sein Tod Menschen in aller Welt. Menschen, die zwar seinen Namen kennen, aber kein scharfes Bild von ihm vor Augen haben.

Der Fußball inszeniert seine Protagonisten als Superhelden

Das Schicksal von Diogo Jota, geboren am 4. Dezember 1996 in Porto, gestorben am 3. Juli 2025 auf einer Autobahn bei Cernadilla, Spanien, hat nicht nur die Fußballbranche innehalten lassen. Als die Unglücksnachricht um die Welt ging am Mittwochmittag, bedeutete dies einen Schock, abzulesen in den Social-Media-Kanälen, die geflutet wurden mit roten Herzen und Kommentaren voller Trauer und Fassungslosigkeit. 

Es ist ja auch schwer zusammenzubringen: Ein junger Mann, 28 Jahre alt, gestählt in tausend Fußballschlachten, verliert sein Leben. Das ist das Gegenteil dessen, was die Erzählung des Fußballs verspricht: Dass auf dem Rasen Helden geboren werden, überlebensgroß und unverwundbar, allem Irdischen enthoben.

Trauer in Liverpool: Anhänger des Klubs erinnern am Anfield-Stadion an Diogo Jota © Peter Byrne / Picture Alliance

Der Fußball trägt selbst schuld an diesem Zerrbild; er inszeniert seine Protagonisten auf oft surreale Weise. Wie oft schon hat man Cristiano Ronaldo in der Naheinstellung jubeln sehen, mit nacktem Oberkörper, einen Dankesgruß zum Himmel sendend? Kein Spieler hat das Bild vom ewig jungen Fußballer so genährt wie der unantastbare Ronaldo, 40 Jahre alt, zuletzt noch Torschütze gegen Deutschland in der Nations League. 

Und dann wird jemand wie Diogo Jota aus dem Leben gerissen. Von jetzt auf gleich. Zu Tode gekommen wegen eines geplatzten Autoreifens. Vater dreier Kinder, frisch verheiratet, einer von dem man sagte, dass er das Leben noch vor sich habe. 

Diogo Jotas Tod bringt eine schmerzhafte Selbsterkenntnis für Fußballfans

Eine Schicksalsgeschichte, die einen auch ohne Fußballkontext hätte erschaudern lassen. Aber der Fußball macht sie eindringlicher und zieht sie zudem auf eine zweite Ebene. 

Der Unfalltod von Diogo Jota lässt die Illusionsmaschine Fußball stottern, und dieses Stottern führt Fans dieses Sports zu einer schmerzhaften Selbsterkenntnis: Dass man nämlich gern und bereitwillig Teil dieser Illusionsmaschine war. Dass man glaubte, im Stadion etwas zu erleben, was zwar aufgeführt wird von echten Menschen, aber doch irgendwie übernatürlich ist, larger than life. Dass man sich hat verführen lassen von der Superheldenerzählung des Fußballs, obwohl man sich doch für einen kritischen Kopf hält.

Diogo Jotas Ehefrau "Ja, für immer", verspricht sie. Elf Tage später stirbt ihr geliebter Mann

An diesem Wochenende wird Diogo Jota mit Schweigeminuten gedacht werden bei der EM der Frauen in der Schweiz und bei der Klub-WM der Männer in den USA; womöglich spielen einige Teams mit Trauerflor. Spätestens ab nächster Woche aber wird die Illusionsmaschine wieder auf Hochtouren laufen. Der Fußball wird Diogo Jota vergessen haben. 

Spielerinnen und Spieler werden wieder ins Bild gesetzt wie griechischen Götter in der Antike. Es wird sich gut anfühlen – für die, die da unten auf dem Rasen posieren. Und erst recht für die, die auf den Tribünen oder am Fernseher dabei zuschauen.   

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke