Die nächste Champions League findet ohne Cristiano Ronaldo statt, jedenfalls die asiatische. „Dieses Kapitel ist vorbei“, postete der ikonische Fußballstar, nachdem sein Verein Al-Nassr diese Woche am letzten Spieltag der saudischen Pro League die Qualifikation für den wichtigsten Kontinentalwettbewerb verpasst hatte.
Ob nur die Episode dieser Saison endete oder mit seinem Vertrag bei Al-Nassr gleich die ganze Staffel in Saudi-Arabien, ist Interpretationssache und wird in den einschlägigen Fachkreisen ausgiebig diskutiert. Freilich muss nicht promovierter Ronaldologe sein, wer sich zu der These versteigt, dass es sich sowieso nur um Zwischenplots eines mittlerweile 23-jährigen Karriereepos handelt. Ronaldo, 40, ließ insofern keine Zweifel entstehen: „Die Geschichte? Wird weitergeschrieben“, fügte er hinzu.
Schon am Mittwoch lüftet sich wieder der Vorhang, wenn Portugal im Halbfinale der Nations League den Gastgeber Deutschland herausfordert (21.00 Uhr, im Sport-Ticker der WELT). Alles andere als ein Startelfeinsatz Ronaldos wäre trotz seines Alters eine Sensation. Der einzige Fußballprofi der Geschichte mit mehr als 200 Länderspieleinsätzen führt mit sechs Treffern die Torjägerliste der A-Division an, dessen vier beste Teams (außerdem noch Spanien und Frankreich) in München und Stuttgart den Champion ausspielen.
Mit Titeln hapert es neuerdings bei Cristiano Ronaldo
Die Nations League ist ein junger Wettbewerb, aber Ronaldo hat auch ihn schon gewonnen, gleich beim Debüt 2019. „Cristiano ist nicht ewig, es wird der Tag kommen, an dem ich nicht mehr dabei bin“, prophezeite er damals, während er bei der Siegesfeier in Porto den Zeremonienmeister gab: „Aber dafür fehlen noch viele, viele Jahre.“
Sechs Jahre später lässt sich präzisieren: Mindestens fehlt noch eines. Bis zur Weltmeisterschaft 2026 ist an nachlassenden Ehrgeiz oder gar einen Rücktritt nicht zu denken. Ausgerechnet den wichtigsten Pokal des Weltfußballs hat Ronaldo als einzige Trophäe noch nicht gewonnen. Andererseits ist es womöglich zu simpel gedacht, ihm eine Fixierung auf die nächste Endrunde zu unterstellen. Vielleicht geht es gar nicht nur um den einen letzten Tanz, sondern darum, immer weiter über das Parkett zu wirbeln, auch dann noch, wenn allen anderen schon das Zuschauen weh tut und jeder Knochen sowieso.
800 Tore in 1060 Pflichtspielen für seine Klubs Sporting Lissabon, Manchester United, Real Madrid, Juventus Turin und Al-Nassr. 136 Treffer in 219 Partien für Portugal. Tor ist Tor, egal wann, wo, wie und gegen wen: Das ist der Ronaldo way of life.
Seine beiden vollen Spielzeiten bei Al-Nassr beendete er wie gehabt als saudischer Torschützenkönig. Nur mit Titeln hapert es neuerdings. Seit einem italienischen Pokal 2021 mit Juventus wartet Ronaldo auf einen Kollektiverfolg. Al-Nassr, einer von vier direkt durch den staatlichen Sportfonds alimentierten Spitzenklubs, gewann mit ihm nichts. Und Portugal seit jener Nations League auch nicht mehr.
Zusammenhang? Sehr schwierige Frage. Nationaltrainer Roberto Martínez findet sie „ungerecht“. In der Heimat wird sie ohnehin meist nur verklausuliert gestellt, kleine Länder sind besonders loyal zu ihren Helden, und einen wie Ronaldo hatte Portugal noch nie. Aber die Frage wabert immer so mit, spätestens seit Martínez’ Vorgänger Fernando Santos im WM-Achtelfinale 2022 tatsächlich mal auf Ronaldo verzichtete und Portugal mit grandiosen Angriffszügen die Schweiz 6:1 demontierte. Drei Tore kamen damals von Ronaldo-Stellvertreter Gonçalo Ramos. Eine Runde später allerdings gab es mit Ramos statt Ronaldo ein torloses Ausscheiden gegen Marokko und das Ende für Santos. Es blieb also eine Debatte ohne einfache Wahrheit.
Martínez eilte dann der Ruf des Erneuerers voraus, so mancher rechnete mit dem Sargnagel auf Ronaldos ewiger Jugend in der „Seleção“. Weit gefehlt, der Trainer verblüffte mit unverbrüchlicher Nibelungen-Treue. Bei der Europameisterschaft voriges Jahr bestritt sein Methusalem die meisten Spielminuten aller portugiesischen Feldspieler. Nicht mal in einem bedeutungslosen Gruppenspiel gegen Georgien wurde er geschont – um, so der schwer widerlegbare Eindruck, der Obsession frönen zu können, auch bei seiner sechsten EM-Endrunde seit 2004 mindestens ein Tor zu schießen.
Es sollte ihm nicht gelingen. Im Achtelfinale gegen Slowenien vergab er sogar einen Strafstoß. Nach dem Weiterkommen im Elfmeterschießen und dem Ausscheiden in derselben Disziplin im Viertelfinale gegen Frankreich lautete die deprimierende K.o.-Runden-Bilanz: 240 Minuten Portugal, 240 Minuten Ronaldo, kein Treffer von niemandem.
Portugal ist selbst auf globalen Problempositionen glänzend bestens besetzt
Ob gerecht oder nicht, ob Martínez’ Schuld oder Ronaldos Beitrag: Seither lauert die Kritik erst recht hinter jeder Ecke. Die Unzufriedenheit über den mangelnden Turnierertrag der vergangenen Jahre ist latent in Portugal. Seit dem EM-Titel 2016 unter Santos wurde bei Welt- und Europameisterschaften kein Halbfinale mehr erreicht, dabei kommt mit jedem Kader immer noch mehr Talent zusammen. Selbst auf globalen Problempositionen wie bei den Außenverteidigern ist Portugal glänzend besetzt, unter anderem mit Nuno Mendes von Champions-League-Finalist Paris St. Germain.
Das zentrale Mittelfeld, auch ein neuralgischer Punkt vieler Konkurrenten, zählt neben den etablierten Bruno Fernandes oder Bernardo Silva auf die jungen Spielgestalter Vitinha und João Neves (beide ebenfalls PSG). Und im Sturmzentrum könnte Martínez statt Ronaldo oder Ramos (PSG) bedenkenlos auch Diogo Jota aufbieten, derweil Linksaußen Rafael Leão (AC Mailand) laut Medienberichten beim FC Bayern den Wirtz-Blues lindern soll.
„Wir spüren, dass wir eine der technisch besten Mannschaften der Welt haben und weit kommen sollten, sei es in der Nations League, sei es in den folgenden Turnieren“ – so formuliert selbst Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa die Erwartungshaltung der Portugiesen, und der gilt nicht als Marktschreier.
„Eine gewisse Negativität um die Seleção“, konstatierte derweil Ronaldo zwischen den Viertelfinalpartien gegen Dänemark, die nach schwachem Hinspiel (0:1) zu Hause nach Verlängerung gedreht wurden (5:2). Als angehender Middle-Ager erlaubt sich Ronaldo unverblümtere Meinungen, seine Pressekonferenzen haben an Unterhaltsamkeit zugelegt, und beinhalten gern auch den pädagogischen Touch eines Vaters von mittlerweile sechs Kindern. Wo er während der EM 2021 zum Ärger eines der Hauptsponsoren die Cola-Flaschen wegstellte („Trinkt Wasser!“), avancierte er im März zum Advokaten gegen Bildschirmobsession: „Wenn jemand eine Frage stellt und eine Antwort von mir haben will, muss er mir in die Augen schauen, nicht auf den Computer.“
Auch der „CR7“ aus Arabien blieb so in den Schlagzeilen, sein Markenwert ungebrochen, laut einer Studie der portugiesischen Privatuniversität Ipam ist er auf Rekordhoch von 850 Millionen Euro angelangt. Ronaldos Einfluss transzendiere längst den Sport, so die Verfasser. Und das weiß natürlich auch einer wie Präsident Gianni Infantino vom Weltverband Fifa.
Feilgeboten wie eine Saftpresse beim Teleshopping
Der Herrscher über den globalen Fußball versucht dieser Tage, Ronaldo irgendwie noch bei seinem neuen Gaga-Turnier Klub-WM unterzubringen. Lionel Messi, Ronaldos ewiger Rivale und das andere große Zugpferd, ist schon dabei, indem seinem Arbeitgeber Inter Miami eine Wildcard zugeschanzt wurde; vorgeblich die Belohnung dafür, die reguläre Saison der Major League Soccer 2024 angeführt zu haben (im Play-off schied Miami sofort aus).
Für Ronaldo bietet sich nun das erste von zwei Transferfenstern an, welche die Fifa für das Turnier erfunden hat. Die Regeln des vermeintlich so traditionsbehafteten Fußballs lassen sich manchmal doch erstaunlich schnell ändern; plötzlich ist es sogar erlaubt, für drei verschiedene Vereine pro Saison aufzulaufen. Konkret vom 1. bis 10. Juni (und dann noch mal vom 27. Juni bis zum 3. Juli für die K.o.-Phase) dürfen Klubs aus teilnehmenden Verbänden neue Profis einschreiben.
„Ronaldo könnte spielen“, berichtete Infantino vorige Woche während eines Promoauftritts bei einem amerikanischen Streamer im Ronaldo-Trikot: „Es laufen Diskussionen mit mehreren Vereinen“. Und noch mal für alle: „Falls irgendein Verein uns gerade zusieht und daran interessiert ist, Cristiano Ronaldo für die Klub-WM anzuheuern … wer weiß, wer weiß, wer weiß, es sind noch ein paar Wochen Zeit, das wäre doch lustig!“ Feilgeboten wie eine Saftpresse beim Teleshopping: Endet so einer der größten Spieler der Fußballgeschichte?
Ronaldo stand schon immer für seine Zeit. Sein Waschbrettbauch machte ihn zum Idol des Körper- und Fitnesskults. Seine Milliarde Follower zum Marktführer des Social-Media-Zeitalters. Diverse Dokus seiner Partnerin Georgina beleuchteten eine neue Dimension Luxustrash. Mit dem Wechsel zu Al-Nassr eröffnete er die Ägide der saudischen Petrodollars, die mittlerweile etliche Fußballstars finanzieren, über den Sender Dazn auch die Klub-WM und bald die megadimensionierte Länder-WM 2034. Nun entfaltete sich in dem bizarren Interview des Fifa-Chefs an ihm gewissermaßen auch die gesamte Infanti(li)sierung des Fußballs.
Ronaldos Zukunft, sie fängt gerade erst an. Ein ihn sponserndes Technologieunternehmen attestierte ihm kürzlich auf Basis seiner aggregierten Gesundheitsdaten ein biologisches Alter von 28,9 Jahren. „Das bedeutet ja, dass ich noch zehn Jahre weiter Fußball spiele“, lachte Ronaldo. Ein Scherz, natürlich. Oder etwa nicht?
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