Den Gletschern des Himalayas entspringt der Indus, einer der mächtigsten Flüsse der Welt. Seit Urzeiten ist er die Lebensader der Zivilisationen, die sich im Nordwesten des indischen Subkontinents entwickelt haben. Heute leben rund 270 Millionen Menschen von seinem Wasser, vornehmlich in Indien und Pakistan.

Nun liegen die beiden Atommächte im Clinch – und der Indus wird zur Waffe. Neu-Delhi macht den Nachbarn für einen verheerenden Terroranschlag in Kaschmir verantwortlich. Der seit Jahrzehnten schwelende Konflikt droht zu eskalieren: Indien greift zu drastischen Massnahmen.
Kriegsrhetorik auf beiden Seiten
Die Regierung von Narendra Modi hat die Ausreise aller pakistanischen Staatsangehörigen angeordnet – und das Abkommen ausgesetzt, das die gemeinsame Nutzung des Indus' regelt. Pakistan annullierte seinerseits Visa für indische Bürgerinnen und Bürger. Zudem soll die Grenze geschlossen und der Handel ausgesetzt werden.

Welche Bedeutung der Indus-Vertrag hat, zeigt Islamabads Reaktion: Jeder Versuch, den Wasserlauf zu stoppen oder umzuleiten, werde als Akt des Krieges betrachtet «und mit dem gesamten Spektrum der nationalen Macht beantwortet werden», teilte das Büro des pakistanischen Premierministers Shehbaz Sharif mit.
Der Indus-Vertrag hat bislang drei Kriege und sehr viele Krisen zwischen den beiden Ländern überlebt.
Südasien-Experten Christian Wagner spricht von einer besorgniserregenden Entwicklung. Scharfmacher auf indischer Seite verlangten seit Jahren, den Wasservertrag aufzulösen. Doch auch schon seine Aussetzung sei ein sehr starkes Zeichen, sagt Wagner. «Denn der Vertrag hat bislang drei Kriege und sehr viele Krisen zwischen den beiden Ländern überlebt.»

Das Blutbad in der «Mini-Schweiz» von Kaschmir droht eine Eskalationsspirale in Gang zu setzen, die die Region in eine tiefe Krise stürzen könnte. Ihren Kurs gegenüber Pakistan habe die Regierung Modi aber schon seit Jahren verschärft, so der Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin: «Neu-Delhi hat die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zum Nachbarland deutlich reduziert.»
Indien «entkoppelt» sich von Pakistan
Damit hatte Indien laut Wagner auch auf Terroranschläge im Land reagiert. So wirft es dem pakistanischen Geheimdienst vor, islamistische Terrorgruppen in der Kaschmir-Region zu unterstützen. Eine Einschätzung, die auch von westlichen Nachrichtendiensten geteilt wird.

Wagner schliesst: «Indien versucht zunehmend, seine Beziehungen von Pakistan zu entkoppeln.» Mit der Aussetzung des Indus-Wasservertrags werde nun auch das letzte Format infrage gestellt, in dem ein Dialog zwischen den beiden Ländern stattfinde.
Für Pakistan wäre es verheerend, wenn tatsächlich weniger Wasser über den Indus ins Land fliessen sollte. «Für die Landwirtschaft und grosse Teile der Bevölkerung hätte das dramatische Folgen», schätzt der Kenner der Region. «Schliesslich geht es hier um ihre Lebensgrundlage.»
1947 gingen die Staaten Pakistan und Indien aus den Trümmern des britischen Kolonialreichs hervor. Der Wasservertrag entstand in den 1950er-Jahren unter Vermittlung der Weltbank. Als historisch gilt das Abkommen auch, weil es bis heute überdauert – und eine einsame Erfolgsgeschichte im bilateralen Verhältnis ist. Sollte diese enden, könnte sie sich in ihr Gegenteil verkehren.
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