Die Bahn steht in Deutschland vor einem Scheideweg. Das Schienennetz war lange Zeit unterfinanziert und ist marode. Die Züge sind unpünktlich – wenn sie denn überhaupt am Bahnsteig einfahren. Pendler und Reisende sind frustriert.

Eine kurzfristige Besserung ist nicht in Sicht. Es ist das Ergebnis jahrelanger Managementfehler bei der Deutschen Bahn und einer fehlenden Bahnstrategie in Deutschland. „Vor diesem Hintergrund ist es dem Bund bisher nicht gelungen, die Krise der DB AG zu beenden oder zu begrenzen“, mahnt der Bundesrechnungshof im September.

Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) will das ändern und stellt am Montag seine neue Bahnstrategie vor. Der Name: „Agenda für zufriedene Kunden auf der Schiene“. Teil dieser war bereits ein Wechsel im Chefsessel der DB: Der Vorstandsvorsitzende Richard Lutz muss gehen. Seine Nachfolgerin bei der Deutschen Bahn soll die derzeitige DB-Regio-Chefin Evelyn Palla werden, wie WELT aus Unternehmerkreisen erfuhr. Auch dafür wird es offenbar am Montag die offizielle Bestätigung geben.

Was ist von der Strategie zu erwarten und wie kann die Bahn in Deutschland die Wende schaffen? Branchenvertreter und Politiker nennen insgesamt fünf Punkte, auf die es jetzt bei der Bahn ankommt:

1. Der Bund als starker DB-Eigentümer

Mit der Bahnreform wurde 1994 aus dem Staatskonzern eine Aktiengesellschaft. Der Bund blieb zwar weiterhin einziger Eigentümer, zog sich aus der aktiven Steuerung jedoch immer weiter zurück. Das soll sich ändern. So fordert der Bundesrechnungshof in seinem jüngsten Bericht: „Der Bund sollte über seine Einflussmöglichkeiten auf eine konsequente wirtschaftliche und betriebliche Sanierung des Konzerns hinwirken.“

Dazu gehöre die Einforderung von belastbaren Planungen und Prognosen durch das Bundesverkehrsministerium bei der Deutschen Bahn. „Nur wenn diese vorhanden sind, kann der Bund realistisch einschätzen, was er für die eingesetzten beziehungsweise geplanten Bundesmittel in dreistelliger Milliardenhöhe erwarten kann.“ Bei Verfehlungen soll es Konsequenzen geben.

Der Bundesrechnungshof fordert auch, dass die Vergütung der Vorstände und Aufsichtsratsmitglieder hinterfragt wird. Bahnchef Lutz erhielt zuletzt ein Gehalt von 2,1 Millionen Euro – und das trotz schlechter Pünktlichkeitswerte. Auch der verkehrspolitische Sprecher der Linkspartei, Luigi Pantisano, spricht sich für eine stärkere politische Steuerung aus, um „das Missmanagement im Konzern konsequent“ zu beenden.

Dass mehr Eingriffe durch den Bund nötig sind, zeigen die immer neuen Hiobsbotschaften aus dem DB-Konzern. Pünktlichkeitswerte unter 60 Prozent und eine Korridorsanierung, die immer weiter nach hinten verschoben wird – mit weitreichenden Folgen für die Bahnfahrer. Eigentlich sollten die wichtigsten Bahnstrecken nach den Sanierungen zehn Jahre baufrei sein, mittlerweile spricht der Konzern nur noch von fünf Jahren. Und nun plant die DB womöglich ab 2028 Dutzende zusätzliche monatelange Vollsperrungen, wie die „Süddeutsche Zeitung“ aus einer internen Präsentation der DB InfraGo zitiert.

2. Verlässliche und ausreichende Finanzierung

Deutschland ist eine Auto-Nation. Das bekam die Bahn jahrzehntelang zu spüren. Zu wenig Geld war da, um das Streckennetz gezielt auszubauen, geschweige denn instand zu halten. Mit dem Sondervermögen für Infrastruktur soll sich das ändern. Bis 2029 werden mehr als 100 Milliarden Euro in die Schiene investiert, so der Plan. Eine gewaltige Summe, doch der Bedarf übersteigt die geplanten Investitionen. Davor warnte bereits der scheidende DB-Chef Lutz – und sorgte für weiteren Ärger mit Verkehrsminister Schnieder.

Auch aus der Opposition gibt es immer wieder Stimmen, die der Regierung bei der Verteilung der Mittel einen „Verschiebebahnhof“ vorwerfen. Tarek Al-Wazir, Grünen-Politiker und Vorsitzender des Verkehrsausschusses, meint: „Die Investitionen für die Schiene steigen unter dem Strich nur geringfügig, der Großteil des Sondervermögens versickert im Kernhaushalt.“ Neubauprojekte würden auf der Kippe stehen.

Al-Wazir fordert daher einen neuen Infrastrukturfonds, der Verlässlichkeit und Planungssicherheit bieten soll. Auch die Denkfabrik und Lobby-Organisation Agora Verkehrswende schließt sich dem an und warnt: Das Sondervermögen werde die Kosten nicht abdecken.

3. Frischer Wind im Bahn-Management

Das Personal bei der Deutschen Bahn steht auf dem Prüfstand. An der Spitze fehlt ein Kopf – der bisherigen DB-Regio-Chefin Evelyn Palla jetzt offenbar gefunden ist. Sie hat von allen Vorstandskollegen in der Tat noch die besten Ergebnisse zu verbuchen.

Neben einem neuen CEO soll es weitere Änderungen im Vorstand geben. Verkehrsexperte Christian Böttger fordert von Minister Schnieder ein „kurzfristig neues Management-Team für die DB AG“. Immerhin hat die Bundesregierung im Koalitionsvertrag deutlich festgelegt: „Sowohl beim DB-Konzern als auch bei der InfraGo soll eine Neuaufstellung von Aufsichtsrat und Vorstand erfolgen.“

Für die zehn Sitze im Aufsichtsrat soll es mehr fachliche sowie technische Kompetenz und mehr Einfluss durch den Bund geben. Und auch der Posten des DB-Finanzvorstands ist vakant, seitdem Levin Holle nach der Bundestagswahl ins Kanzleramt wechselte.

4. Entflechtung der DB InfraGo vom Mutterkonzern

Mit der Gründung der DB InfraGo wollte Ex-Verkehrsminister Volker Wissing (früher FDP) die Infrastruktur vom kriselnden DB-Konzern loslösen. Sie soll gemeinwohlorientiert geleitet werden – ist also nicht ausschließlich auf Gewinn ausgerichtet.

Das hat laut Kritikern bisher nicht geklappt. „Nur, wenn das Unternehmen der Meinung ist, mit diesem Infrastrukturprojekt könne man Geld verdienen, soll es auch tatsächlich geplant und gebaut werden. Das ist der völlig falsche Ansatz“, warnt etwa Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene. Schieneninfrastruktur sei kein Renditeobjekt, sondern Teil der staatlichen Daseinsvorsorge.

„Der Bund entscheidet nach volkswirtschaftlichen Kriterien bei den Bundesfernstraßen, Bundeswasserstraßen und Bundesschienenwegen“, erklärt Flege weiter. „Nur bei Schieneninfrastruktur gibt es noch zusätzlich eine betriebswirtschaftliche Eigenrationalität on top.“

Der Lobbyverband „Die Güterbahnen“ fordert daher die Kündigung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages. Dann würden die Einnahmen der DB InfraGo dort verbleiben und nicht mehr an den DB-Konzern fließen.

Um die Schiene wieder auf Vordermann zu bringen, empfiehlt die Bundesvereinigung mittelständischer Bauunternehmen (BVMB) zudem die „Einrichtung eines starken, zentralen Bauressorts im Vorstand der DB InfraGO AG“. Darin sollen sämtliche Planungs-, Bau-, Instandhaltungs- und Beschaffungsaktivitäten strategisch und operativ gebündelt werden.

5. Reform der Trassenpreise

Ein großes Problem für den Personen- und Güterverkehr sind die steigenden Trassenpreise. Sie sind eine Art Schienenmaut, die für jeden Zug anfällt, der in Deutschland fährt. Die hohen Preise bedrohen jedoch die Wirtschaftlichkeit der Fahrten – ein Problem, das DB und andere private Anbieter teilen. In Zukunft könnten daher Fernverkehrsverbindungen gestrichen und Preise für Tickets teurer werden.

Die Bundesregierung hat das Problem erkannt und einen Gesetzentwurf zur Abmilderung des Trassenpreisanstiegs vorgelegt. Dieser muss nach Ansicht der Branchenexperten nachgebessert werden. So fordert der Lobbyverband „Die Güterbahnen“ ein System, das „grundlegend neugestaltet werden“ soll. Grünen-Politiker Al-Wazir schließt sich dem an. „Der vorliegende Gesetzesentwurf von Schwarz-Rot zur Trassenpreisdämpfung reicht nicht aus, die Trassenpreise dürfen nicht nur weniger steil ansteigen, sie müssen endlich wieder sinken.“

Oliver Wolff, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), mahnt vor weiteren Eigenkapitalerhöhungen bei der DB. „Denn die führen zu höheren Trassenpreisen und damit zu erheblichen Verlusten bei der Wettbewerbsfähigkeit der Schiene.“ Stattdessen solle der Bund die Trassenpreisförderung erhöhen. Für 2025 sind 275 Millionen Euro zur Reduzierung der Trassenpreise im Schienengüterverkehr und 105 Millionen Euro im Personenverkehr vorgesehen. Zu wenig, sagen die Experten.

Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und „Business Insider Deutschland“ erstellt.

Klemens Handke ist Wirtschaftsredakteur. Er schreibt über Verkehrspolitik und die Deutsche Bahn.

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