In Frankreich ist am Morgen der Protesttag gegen drohende Einsparungen gestartet - mit Streiks, Blockaden und ersten Festnahmen. Landesweit wird mit hunderttausenden Teilnehmern bei Demonstrationen gerechnet.
In ganz Frankreich haben Gewerkschaften an diesem Donnerstag zum Protest aufgerufen. Bereits am Morgen gab es laut Medienberichten Blockaden, etwa an Busdepots oder auch vor Schulgebäuden.
Angaben des geschäftsführenden Innenministers Bruno Retailleau zufolge rückte die Polizei mehrfach aus, um die Blockaden aufzulösen. Medien berichteten, dass es landesweit schon mehrere Dutzend Festnahmen gegeben habe. Die Pariser Polizei bestätigte bisher sieben.
"Schneckentempo" im Berufsverkehr
Wie die Nachrichtenagentur AFP berichtete, folgten in ganz Frankreich Tausende Beschäftigte dem Aufruf, ihre Arbeit niederzulegen. Der Streikaufruf des Gewerkschaftsbündnisses gilt für zahlreiche Branchen, darunter auch der öffentliche Nahverkehr. Metro-Linien, Busse, Straßenbahnen sind empfindlich gestört, weil Fahrerinnen und Fahrer an den Protesten teilnehmen.
Operation "Schneckentempo" heißen Aktionen, die den Berufsverkehr verlangsamen sollen. Auch in Toulon sorgen sie für Behinderungen im Straßenverkehr. "Wir wollen aber nichts blockieren", betont eine Gewerkschafterin. Ein Hinweis auf die Protestbewegung "Bloquons Tout", die sich vorgenommen hat, ganz Frankreich lahmzulegen.
Die aktuellen Proteste folgen gut eine Woche auf den ersten Protesttag der neuen Bewegung. Der Aufruf unter dem Motto "Lasst uns alles blockieren" hatte sich vor allem im Netz verbreitet. Wer dahinter steht, ist nicht klar.
Bei den Protesten am 10. September kam es teils zu Zusammenstößen mit der Polizei. Landesweit gab es rund 200 Festnahmen.
An zahlreichen Schulen fällt Unterricht aus
Auch Lehrerinnen und Lehrer beteiligen sich am Streik. An vielen Schulen fielen Unterrichtsstunden aus, allein in Paris blieben demnach 90 Grundschulen geschlossen. An mehreren Gymnasien demonstrieren auch Schülerinnen und Schüler.
Und die Apothekerinnen und Apotheker gehen gegen ein Gesetz auf die Straße, nach dem der Staat ihnen weniger Geld für Generika erstattet. "Wir sind bereit, über ein neues Modell zu sprechen. Aber das, was die Politik jetzt umsetzen will, geht überhaupt nicht", kritisiert ein Apotheken-Inhaber.
Hunderttausende Teilnehmende erwartet
Neben den Streiks sind in ganz Frankreich etwa 250 Kundgebungen und Demonstrationen angemeldet worden. Behörden rechnen mit Hunderttausenden Teilnehmenden. Es kursieren Zahlen zwischen 700.000 und 900.000 Menschen, die sich an den verschiedenen Aktionen beteiligen könnten.
Teils hatten Behörden im Vorfeld vor möglichen Ausschreitungen gewarnt. Der Pariser Polizeipräfekt rief Ladeninhaber auf, ihre Geschäfte zu schließen. Die geschäftsführende Regierung riet Beschäftigten, wenn möglich von zu Hause aus zu arbeiten. Auch Innenminister Retailleau hatte am Morgen nochmals vor möglichen gewalttätigen Übergriffen gewarnt: "Wir rechnen mit Tausenden Personen, vielleicht sogar mehr als 8.000, die gefährlich werden könnten. Die Unruhe stiften wollen - und den friedlichen Demonstranten diesen Tag stehlen wollen."
Etwa 80.000 Sicherheitskräfte sind an diesem Protesttag in ganz Frankreich im Einsatz. Sophie Binet, Generalsekretärin der Gewerkschaft CGT, hält das für übertrieben. "Die Demonstrationen werden friedlich und fröhlich ablaufen - und werden auch abgesichert sein", zeigt sie sich überzeugt, fügt aber auch hinzu: "Klar, vielleicht wird es am Anfang einige Leute geben, die Probleme machen. Aber dafür brauchen wir keine 80.000 Polizisten. Der allergrößte Teil der Menschen, die demonstrieren, tut das friedlich. Das Problem ist, dass der Innenminister Öl ins Feuer gießt."
Ex-Regierungschef mit Vertrauensfrage gescheitert
Anlass für die Proteste sind die Sparpläne der inzwischen zurückgetretenen Regierung unter Premierminister François Bayrou. 44 Milliarden Euro hatte Bayrou im Staatshaushalt des kommenden Jahres einsparen wollen. Frankreich ist hochverschuldet und muss seine Finanzen in den Griff bekommen. Im vergangenen Jahr erreichte das Haushaltsdefizit fast das Doppelte des EU-Limits von drei Prozent der Wirtschaftsleistung.
Um sich des Rückhalts für seine Sparpläne zu versichern, stellte Bayrou im Parlament die Vertrauensfrage - und scheiterte. Daraufhin musste die französische Regierung geschlossen zurücktreten. Inzwischen gibt es einen Nachfolger auf dem Posten des Premiers: Sébastien Lecornu, zuvor Verteidigungsminister. Er ist der mittlerweile fünfte Regierungschef innerhalb von nicht ganz zwei Jahren.
Findet neuer Premier Kompromiss beim Sparkurs?
Doch mit dem Wechsel des Premiers sind die Sparpläne noch nicht vom Tisch. Zwar sicherte Lecornu zu, keine zwei Feiertage zu streichen, wie es Bayrou vorgesehen hatte. Doch es bleiben weitere Punkte des umstrittenen Sparkurses, die in der französischen Bevölkerung auf Widerstand stoßen. Ein höheres Rentenalter etwa oder Kürzungen bei Sozialleistungen.
Nun liegt es an Lecornu, einen Kompromiss in Sachen Haushalt zu finden. Am Mittwoch kam er mit Vertretern der linksgrünen und der rechtspopulistischen Opposition zusammen. Doch noch steht eine politische Einigung offenbar in weiter Ferne.
Mit Informationen von Wolfgang Landmesser, WDR, zzt. Paris
Wolfgang Landmesser, ARD Paris, tagesschau, 18.09.2025 12:37 UhrHaftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke