Laut dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) zeichnet sich in der Branche das sechste Verlustjahr in Folge ab. Steigende Preise verschrecken die Gäste. Immer mehr Gastronomen geben auf. ntv.de fragt den Gastro-Ökonomen Michael Ottenbacher, wie sich dieser Teufelskreis durchbrechen lässt. Ottenbacher, Professor für Hotel- und Restaurantmanagement an der Hochschule Heilbronn, ist überzeugt, dass sich in der Gastronomie immer noch Geld verdienen lässt. Damit die Branche aus der Krise kommt, sind seiner Meinung nach Hilfen aus der Politik ebenso nötig wie bessere Analysen und mehr Anpassungsfähigkeit aufseiten der Gastronomen - möglicherweise auch eine andere Küche.

ntv.de: Die Gastronomiebranche kommt nicht auf die Beine. Haben Sie mit einer derart schwierigen Entwicklung nach dem Tiefpunkt in der Corona-Pandemie gerechnet?

Michael Ottenbacher: Nein, ich hatte gehofft, dass es aufwärts geht. Die Branche hatte sich von der Pandemie ja eigentlich schnell erholt. Die Konsumenten hatten ein starkes Bedürfnis, endlich wieder essen zu gehen und sich verwöhnen zu lassen.

Warum ist es so schwierig für Gastronomen geworden?

Viele hatten große Probleme mit ihren Mitarbeitern. Während der Schließungen von Restaurants und Cafés in der Coronazeit waren ihre Angestellten in andere Industriezweige abgewandert. Und es gab keinen Nachwuchs. Deshalb konnten viele die Nachfrage nicht bedienen. Dann kam die Preisexplosion bei Energie und Lebensmitteln dazu, sowie höhere Personalkosten. Die Gewinnmarge ist heute bei den meisten Betrieben sehr klein.

Vor zwei Jahren sagten Sie in einem Interview, dass wir kein großflächiges Sterben von Spitzenrestaurants erleben werden. Würden Sie das heute so wiederholen?

Nein, vor allem in der Sternegastronomie werden weiterhin Betriebe schließen müssen, weil immer weniger Konsumenten bereit sind, so viel Geld für Essen auszugeben und es gleichzeitig zu viele Spitzenrestaurants gibt. Das zeigen die Statistiken. Es wird an Speisegängen, dem Aperitif oder Espresso gespart. Wir haben viele tolle Restaurants in Deutschland, aber es fehlen Gäste aus dem In- und Ausland und wir sind leider kein Genießerland.

Das klingt so, als wären die Konsumenten schuld an der Krise. Gibt es nicht auch eine Reihe hausgemachter Probleme?

Richtig, Unternehmer und Unternehmerinnen müssen auf die veränderten Bedürfnisse ihrer Kunden eingehen und ihr Angebot entsprechend anpassen. Das gilt in der Gastronomie genauso wie in der Autobranche. Dass viele Gastronomen darauf nicht reagieren, ist ein Problem.

Wie sollten sie denn reagieren?

Sie könnten teure Gerichte weglassen. Oder ein preisgünstigeres Angebot anbieten. Gerade in der Sternegastronomie ärgern sich Gäste bei den Preisen, wenn sie nur ein sechs- oder siebengängiges Menü bestellen können. Man sollte auch ein Drei- oder Vier-Gänge-Menü anbieten oder die Möglichkeit schaffen, à la Carte zu bestellen. Vielen Gästen geht es dabei nicht nur um den Preis, sondern Sie möchten einfach nicht so viel essen.

In anderen Branchen, die zu kämpfen haben, werden unter Hochdruck neue Lieferketten aufgebaut oder in neue Produktionsstandorte investiert. Wo bleiben in der Gastronomie die neuen Ideen und Strategien?

Es gibt durchaus kreative Gastronomen wie Tim Raue, der nicht nur mit seinem Zweisterne-Restaurant tätig ist, sondern auch andere Gastronomiebetriebe führt. Es gibt auch noch einige andere innovative Köpfe in der Gastro. Aber Sie haben recht, manche Gastronomen sind nicht innovativ genug und probieren einfach keine neuen Dinge aus.

Warum?

Möglicherweise aus Angst. Ich denke, es ist sehr wichtig, viel zu reisen, andere Städte und Länder zu besuchen und sich neue Ideen zu holen. Man kann auch sehr viel von den Marktführern und Mitbewerbern lernen. Man sollte überlegen, was sich vielleicht auf das eigene Restaurant übertragen lässt.

Sie unterrichten Hotel- und Restaurantmanagement. Was raten Sie denn Ihren Studenten noch?

Auch ein guter Businessplan ist wichtig. Man kann nicht einfach sagen: "Ich mache jetzt ein Restaurant auf und koche, was ich möchte." Sie müssen vorher die Lage und Nachfrage analysieren. Der Standort ist für ein Restaurant sehr wichtig. Sie können eine mittelmäßige Küche haben, aber mit der richtigen Lage können Sie sich vor Gästen nicht retten. Eine höhere Miete für die Immobilie kann sich lohnen, weil mehr Menschen kommen. Bei einer schlechten Lage brauchen sie ein außergewöhnliches Konzept, das zieht. Man darf auch nicht das machen, was alle anderen schon machen. Burger- und Dönerläden gibt es inzwischen viel zu viel.

Dönerbude oder Sterneküche, womit kann man denn heute gut Geld verdienen?

Normalerweise ist eine Dönerbude oder ein Imbiss finanziell lukrativer. Je hochwertiger die Küche, desto schwieriger ist es, damit Geld zu verdienen. Wenn man erst einmal drei Sterne hat, funktioniert es, weil ein Menü mit Getränken und Aperitif pro Person schnell mal 500 Euro kostet. Mit weniger Sternen wird es ungleich schwerer, weil man nicht so hohe Preise verlangen kann und die Nachfrage nach so einem Restaurant auch nicht so groß ist. Das alltägliche Essengehen muss erschwinglich sein.

Und wie schlägt sich das Mittelfeld?

Aktuell ist die klassische Gasthaus- oder Wirtshausküche sehr populär und finanziell attraktiv, also das Modell Gasthaus mit Rostbraten oder Wurstsalat. Diesen Gastronomen wird gerade richtig die Bude eingerannt. Es gibt eine riesige Nachfrage nach gut zubereiteter, bezahlbarer Hausmannskost. Auch Brauereien mit so einer Küche laufen sehr gut. Das Gute: Das funktioniert auf dem Land ebenso wie in der Stadt. Wenn ich ein Restaurant eröffnen würde, würde ich in diesen Bereich investieren.

Von welchen Preisen sprechen wir hier?

Ein Hauptgang kostet da so zwischen 14 und 35 Euro.

Hohe Personalkosten, steigende Lebensmittelpreise und teure Energie treffen diese Gastronomen doch auch empfindlich. Warum funktioniert dieses Konzept besser?

Ein Sternerestaurant kann einen Tisch abends nur einmal belegen. Wenn Sie ein Wirtshaus betreiben, können Sie denselben Tisch abends zwei- bis viermal besetzen. Dadurch erzielen Sie einen ganz anderen Gesamtumsatz. Teilweise werden auch Gäste an einen Tisch hinzugesetzt. Die Menge macht's – trotz höherer Warenkosten sind diese Betriebe viel rentabler.

Anfang nächsten Jahres soll die Mehrwertsteuer für Speisen von 19 auf 7 Prozent gesenkt werden. Hilft das den Restaurantbetreibern?

Ich glaube, die Entlastung wird für Gastronomen sehr positiv sein. Sie wird jedoch nicht allen helfen. Wenn das Konzept nicht stimmt, hilft auch eine reduzierte Mehrwertsteuer nicht. Langfristig sollten Restaurantbetreiber nicht damit planen. Eine neue Regierung kann in einigen Jahren wieder alles ändern.

Die Gewerkschaft NGG bezweifelt, dass die Mehrwertsteuerermäßigung in Form von günstigeren Preisen an die Gäste weitergegeben wird. Was erwarten Sie?

Die Gewerkschaft sollte sich zunächst einmal darüber freuen, dass die Politik die Branche unterstützt und somit Arbeitsplätze erhält. Gute Mitarbeiter sind teuer. Um diese zu halten, muss man übertariflich zahlen. Dafür wird Geld gebraucht. Das gilt auch für Investitionen in die Wettbewerbsfähigkeit, wie zum Beispiel in die Digitalisierung. Die Preise werden also wahrscheinlich leicht sinken, aber nicht so stark, wie viele erwarten. Wenn ich Gastronom wäre, würde ich meinen Gästen aber auf jeden Fall zeigen, dass ich die Botschaft "Das ist zu teuer" verstanden habe. Die Gastronomen müssen offensiver über das Thema Kosten sprechen. Da sind die Waren, Personal, Versicherungen, Reparaturen, Miete, Energie und noch einiges mehr … ein Restaurant zu führen, ist mit hohen Kosten verbunden.

Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband Dehoga argumentiert, dass der Branche finanziell geholfen werden müsse - auch weil es hier um Lebensqualität gehe. Warum sollte die Politik die Branche deshalb fördern?

Ein Grund ist beispielsweise, dass es möglicherweise Existenzen auf dem Land rettet. Außerdem haben die meisten Länder im europäischen Kontext deutlich geringere Mehrwertsteuersätze auf Speisen als unsere 19 Prozent. Insofern wäre eine Absenkung nur gerecht.

Gibt es nicht auch andere Möglichkeiten, um Existenzen in der Branche zu sichern?

Die Politik müsste den Bürokratiewahn abbauen. Denn auch das treibt die Preise. Die Bürokratie, die Nachweispflicht, Dokumentation und die Statistikerfassung haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Das kostet viel Zeit und viel Geld. Außerdem muss die Gastronomie in Digitalisierung investieren, um wettbewerbsfähiger zu werden. Das ist zwar teuer, bringt aber langfristig auch Kostenvorteile.

Inwiefern?

Die Nutzung digitaler Technologien und Kanäle zur Kundengewinnung und -bindung wird immer wichtiger. Heutzutage sind soziale Medien und gute Bewertungen für den Erfolg entscheidend. Sie müssen auf Kommentare Ihrer Gäste reagieren. Viele Gastronomiebetriebe haben nicht einmal ein digitales Warenwirtschafts- oder Reservierungssystem. Gerade die kleinen Betriebe hinken bei der Digitalisierung hinterher.

Gibt es nach diesen schwierigen Jahren noch genug Nachwuchs?

Glücklicherweise hat sich die Lage in den vergangenen ein bis zwei Jahren wieder verbessert. Nach der Pandemie wollte niemand mehr eine Kochausbildung oder eine Ausbildung in der Gastronomie machen. Inzwischen möchten wieder viele junge Menschen eine Ausbildung beginnen. Ihre Ansprüche sind jedoch andere. Die Jugend von heute will mehr Gehalt und weniger Stunden arbeiten, mehr Work-Life-Balance, was nicht ganz zur Realität passt. Junge Unternehmensgründer brauchen in den ersten Jahren nach der Gründung eines Betriebs sehr viel Motivation und Arbeitseifer. Dafür fehlt es aber manchen an Ehrgeiz. Viele junge Menschen bevorzugen Sicherheit vor Entrepreneurship und arbeiten deshalb lieber für Großbetriebe in der Gastronomie.

Wie wird die Gastronomie dann in zehn Jahren aussehen?

Ich glaube, das Konzept der Systemgastronomie wird zunehmen. Es wird mehr Geschäftsmodelle mit vielen Filialen geben, die vollständig digitalisiert sind. Solche Restaurants benötigen deutlich weniger Mitarbeiter im Service und in der Küche. Auch Küchenroboter, die standardisierte Produkte zubereiten, werden sicherlich zunehmen.

Mit Michael Ottenbacher sprach Diana Dittmer

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