Die 14. und letzte Frage an Lars Klingbeil (SPD) kam von der Moderatorin. Ob es einen Herbst der Reformen geben soll, wie ihn Kanzler Friedrich (CDU) angekündigt hatte, wollte sie von ihm wissen. „Er muss“, sagte der Finanzminister am Ende des Bürgerdialogs am Tag der offenen Tür auf der Bühne im Ministeriumsgarten.
Es wäre doch furchtbar, fügte Klingbeil hinzu, wenn die Bundesregierung nach vier Monaten sagen würde, jetzt haben wir genug gemacht, jetzt hören wir auf. Es müsse richtig etwas passieren, nicht nur im Herbst, sondern auch in den Monaten danach, es müsse Reformen geben, die „unser Land stärker machen“. Dazu gehörten auch Reformen der sozialen Sicherungssysteme.
In den 45 Minuten zuvor hatte Klingbeil mit seinen Antworten auf Bürgerfragen allerdings vor allem eines deutlich gemacht: Wie schwierig es wird, dass sich CDU, CSU einerseits und SPD andererseits tatsächlich auf grundsätzliche Veränderungen zur Stärkung des Landes werden einigen können.
Zwar betonte Klingbeil an einer Stelle, dass er diesen Bürgerdialog nicht zu einem „öffentlichen Showdown“ mit dem Kanzler machen wolle. Doch zumindest legte er die Basis für einen solchen. Etwa wenn er sagte: „Wir müssen gucken, dass wir nicht den Sozialstaat kaputt machen.“
Der Satz konnte nur als Gegenrede auf eine Aussage des Kanzlers vom Vortag verstanden werden. Merz hatte auf dem niedersächsischen CDU-Landesparteitag in Osnabrück gesagt: „Der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, ist mit dem, was wir volkswirtschaftlich leisten, nicht mehr finanzierbar.“ Er zielte dabei ausdrücklich auf das Bürgergeld ab.
Und Merz ging noch weiter: Er mache den Empfängern keine Vorwürfe, sondern eher der Politik, gerade wegen der Leistungen an Millionen sogenannter Aufstocker, die neben einem geringen Gehalt noch Zuschüsse bezögen. „Diejenigen, die für 530 Euro im Monat arbeiten, denen muss man doch mal die Frage stellen, warum können die nicht auch für 2000 Euro im Monat arbeiten?“ Man wolle das Bürgergeld so ändern, dass es sinnvoller sei, wieder in den regulären Arbeitsmarkt zurückzukehren, sagte der CDU-Vorsitzende.
Klingbeil warnte dagegen nicht nur davor, den Sozialstaat zu zerstören. Natürlich gebe es das Problem mit den 18.000 Totalverweigerern – die womöglich noch dazu schwarz arbeiteten. Dieser Missbrauch müsse Konsequenzen haben, dies müsse geahndet werden.
Aber man müsse auch mehr über die 800.000 Leute reden, die im Bürgergeld seien, weil das Geld nicht reiche, obwohl sie arbeiten gingen. Das sei ein gesellschaftlicher Skandal. „Ich möchte erst mal, und das ist als Sozialdemokrat mein Hauptanspruch, ich möchte, dass Leute, die fleißig sind, einen vernünftigen Lohn haben, dass sie Respekt für ihre Arbeit bekommen und davon gut leben können“, sagte der Finanzminister und Vizekanzler.
Seit Wochen schon bewegt sich Klingbeil auf diesem schmalen kommunikativen Grat: In Richtung der eigenen Partei positioniert er sich als Verteidiger des Sozialstaats und erweckt dabei gerne den Eindruck, dass jeder, der staatliche Leistungen hinterfragt, das gesamte Sozialsystem infrage stellt. In Richtung der Union signalisiert er dagegen Reformbereitschaft und Sparwillen – nicht dass am Ende jemand behaupten kann, am Unwillen der Sozialdemokraten scheitern Veränderungen.
Reparaturen am Sozialsystem
„Ich bin völlig bei Ihnen, wir müssen die Dinge verändern und wir müssen da jetzt richtig ran, damit wir dieses Land zukunftsfähig halten“, gab Klingbeil einem Fragesteller recht, dass es mit kleineren Reparaturarbeiten am Sozialsystem angesichts der ausufernden Kosten nicht getan sein kann. Gerade gehe es ihm vor allem um das Problem, wie die 30 Milliarden-Euro-Lücke im Bundeshaushalt für 2027 geschlossen werden kann. Er sei bereit, sich jeden vernünftigen Vorschlag anzuhören. „Ich führe die Debatte komplett ohne Schaum vor dem Mund.“
Aber wenn die Wirtschaft und damit die Steuereinnahmen nicht stark genug anspringen, wenn sich nicht genug Subventionen finden, an die beide Seiten ran wollten, dann sei für ihn aber auch klar, woher die fehlenden Mittel kommen müssten: „Es kann nicht sein, dass man bei denen, die wenig haben, sagt, ihr gebt jetzt noch ein bisschen was ab, und bei denen, die viel haben, sagt, ihr müsst nichts machen.“ Dass es gerecht zugehe in diesem Land, treibe auch vermögende Bürger und solche mit hohen Einkommen um. Er treffe immer mehr Leute, die ihm sagten, dass sie bereit wären, mehr zu machen.
Als Kronzeugen für die eigene Sache präsentierte er zudem zwei Kabinettskollegen, nämlich Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (parteilos) und die CDU-Wirtschaftsministerin Katherina Reiche: Der eine wolle eine Digitalsteuer einführen, die andere eine zusätzliche Abgabe im Rahmen der Kraftwerkstrategie. „Es gibt also durchaus Ideen auf der Unionsseite, was man machen kann“, sagte Klingbeil von der kleinen Bühnen im Ministergarten herunter.
Zu einer überraschenden, weil so gar nicht sozialdemokratisch klingenden Antwort, brachte ein zehnjähriger Junge den Finanzminister dann doch noch. Ob die Regierung nicht auch dafür sorgen müsse, dass Deutschland weniger Schulden habe, lautete die Frage. Jetzt müsse ein „richtiger Schluck aus der Pulle“ genommen werden, um das Land zu modernisieren, erwiderte Klingbeil. Doch dann „werden wir auch wieder rangehen und werden die Schulden abbezahlen, die wir jetzt machen.“ Das sei wichtig für die nächste Generation.
Bei der Union wird man den Finanzminister an diese Worte bei den anstehenden Haushaltsberatungen und der Diskussion über eine dauerhafte Lockerung der Schuldenbremse sicherlich gerne erinnern.
Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit „Business Insider Deutschland“.
Karsten Seibel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet unter anderem über Haushalts- und Steuerpolitik.
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