Für Katherina Reiche steht fest: Die Energiewende ist zu teuer. Ein "Realitätscheck" soll zeigen, wo gespart werden kann. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien? Die senken die Strompreise, sagt ein Experte. Ihm zufolge benötigt der deutsche Strommarkt jedoch ein anderes "Betriebsystem".
Für Katherina Reiche steht fest: Die Energiewende ist zu teuer. Ein "Realitätscheck" soll zeigen, wo gespart werden kann. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien? Das befürchten Kritiker der neuen Wirtschaftsministerin nach drei Monaten Schwarz-Rot. Auch Bernd Weber hält den deutschen Weg für relativ teuer. Anders als Reiche kann der Chef der Denkfabrik Epico aber keine "völlig überzogenen" Ausbauziele erkennen, im Gegenteil: "Erneuerbare sind per se günstig, erhöhen das Angebot und sorgen dafür, dass die Großhandelspreise zurückgehen - speziell für die Industrie", sagt er im "Klima-Labor" von ntv. Doch in einem Punkt gibt er Katherina Reiche recht: Die Energiewende benötigt ein neues "Betriebssystem". Deutschland muss flexibler werden und lernen, Strom zum richtigen Zeitpunkt zu verbrauchen, denn das spart Geld und vermeidet unnötigen Netzausbau.
ntv.de: Wie bewerten Sie die Arbeit von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche bisher?
Bernd Weber: Es ist zu früh für ein Zwischenfazit, aber man sieht: Es wird eine neue Balance angestrebt. Der Fokus der Energiewende verschiebt sich auf Fragen der Kosteneffizienz und der Versorgungssicherheit. In dem Zusammenhang hat sich die schwarz-rote Koalition im Koalitionsvertrag auch bei den Strompreisen einiges vorgenommen, …
… bisher aber nicht geliefert.
Es ist schwierig, die Strompreise innerhalb von 100 Tagen deutlich zu reduzieren, aber es stimmt: Im Koalitionsvertrag wurde explizit angekündigt, die Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß zu senken. Es ist nicht gut, dass man das aufgrund der Haushaltslage nach hinten gestellt hat.
Gleichzeitig hat die Bundesregierung vergangene Woche die Abschaffung der Gasspeicherumlage beschlossen. Für den Bau der neuen Gaskraftwerke ist eine neue Stromabgabe für alle nötig. Verursacht das bei Ihnen keine Bauchschmerzen?
Man muss sich das Gesamtbild ansehen. Ich halte das Energiewende-Monitoring für die richtige Idee und einen Meilenstein, weil der eingeschlagene Weg tatsächlich relativ teuer ist. Zudem ist die Stromnachfrage aktuell niedriger als gedacht. Das liegt auch an Einmaleffekten wie der Corona-Pandemie. Es ist aber legitim, sich das anzuschauen und zu überlegen, ob man die Energiewende kosteneffizienter umsetzen kann - etwa durch Strukturreformen im Strommarkt oder die Frage, ob man bei der Förderung erneuerbarer Energien mehr Marktwirtschaft zulassen kann. Man kann auch überlegen, ob man sich von der Dach-PV stärker zur Freiflächen-PV hinorientiert. Dort sind die Kosten für den Netzausbau geringer. Das Monitoring darf allerdings nicht zur Fehlinterpretation führen, dass die Stromnachfrage mittel- oder langfristig so niedrig bleiben wird und wir uns weniger Energiewende leisten können. Das Gegenteil ist der Fall.
Die Stromnachfrage sollte keinen Einfluss auf das Ergebnis des Monitorings haben?
Die Stromnachfrage wird steigen - nicht nur im Energiebereich, sondern auch in der Industrie, im Verkehr und im Gebäudebereich. In diesen Sektoren warten Mammutaufgaben, die wesentlich durch Elektrifizierung gelöst werden müssen. Das wird zu einem massiven Anstieg der Nachfrage führen. Dazu kommt: Wie entwickelt sich das Bruttoinlandsprodukt? Die Nachfrage nach Rechenzentren? Diese unterschiedlichen Faktoren machen es gar nicht so einfach, den Stromverbrauch bis 2030 vorherzusagen. Legt man verschiedene Studien nebeneinander, stellt man eine große Varianz zwischen 620 und 760 Terawattstunden fest.
Was kann beim "Realitätscheck" herauskommen, wenn man den Stromverbrauch nicht genau beziffern kann?
Man kann verschiedene Szenarien vorbereiten und überlegen: Welche Maßnahmen kann man auf jeden Fall umsetzen? Was sind No-Regret-Reformen ohne Reue? Bei diesem Ansatz können wir jetzt das Richtige tun und später nachsteuern.
Sie fürchten nicht, dass Katherina Reiche den Strombedarf absichtlich kleinrechnen lässt, um die Ausbauziele für die erneuerbaren Energien nach unten zu drücken?
Ich bin gespannt, wie der Strombedarf berechnet wird, aber es ergibt keinen Sinn, erneuerbare Energien langsamer auszubauen. Wenn man so will, sind sie unsere Strompreisbremse: Sie sind per se günstig, erhöhen das Angebot und sorgen dafür, dass die Großhandelspreise zurückgehen - speziell für die Industrie. Die ist oft bereits von Systemkosten befreit, also von Netzentgelten, um wettbewerbsfähig zu sein. Sollen die Industriestrompreise weiter sinken, muss man die Erneuerbaren stärker ausbauen. Und wie gesagt, wir möchten auch Verkehr und Gebäude elektrifizieren. Wie soll das gehen, wenn wir zu wenig Erneuerbare haben?
Egal, was bei diesem Monitoring mit Blick auf Netzausbau oder Genehmigungsverfahren herauskommt, an den Ausbauzielen für die Erneuerbaren darf nicht gerüttelt werden?
Ich sehe keine akute Handlungsnotwendigkeit beim Ausbau der erneuerbaren Energien.
Diplomatisch.
Danke (lacht). Auch wenn wir unser Ausbautempo drosseln, müssten wir enorm viel zubauen, um die Ziele für 2030 zu erreichen.
Die kann man auch nach unten korrigieren.
Kann man. Geplant ist aber in den kommenden fünf Jahren eine Verdoppelung der Solarenergie, eine Verdopplung der Windenergie an Land und eine Verdreifachung der Windenergie auf See. Diese Ziele erreicht man nicht, wenn man Geschwindigkeit herausnimmt und erst recht nicht, wenn man den Zubau ausbremst.
"Ausbremsen" ist doch aber gemeint, wenn von "Synchronisieren" gesprochen wird. Der Bau einer großen Stromtrasse dauert viel länger als die Installation von Solaranlagen oder Windrädern. Soll das gleichzeitig passieren, bleibt nur: Erneuerbare ausbremsen.
Die Frage, die dem Monitoring zugrunde liegt, ist doch: Wo liegt das Optimum für eine bezahlbare Energiewende zwischen Großhandelspreisen, die sich am Strommarkt bilden, und den Kosten, die wir in Form von Netzentgelten und Abgaben für ein stabiles Stromsystem bezahlen? Für mich bedeutet "Synchronisierung", Angebot und Nachfrage ideal und effizient zusammenzubringen und Flexibilität zu schaffen. Verschieben wir den Verbrauch in Stunden, in denen besonders viel günstiger Strom zur Verfügung steht, wird das Netz entlastet und Konsumenten zahlen weniger. Die Potenziale in diesem Bereich sind bei Weitem nicht ausgeschöpft.
Indem man das E-Auto zum richtigen Zeitpunkt lädt?
Genau, das sind Dinge wie smartes Laden oder Stromspeicher, die das Haus versorgen, wenn man abends vor dem Fernseher sitzt. Auch Industriebetriebe können Produktionsprozesse anpassen. Das Thema geht viel zu oft unter, obwohl haushaltsnahe Flexibilität wie E-Auto, Wallbox oder auch Wärmepumpen ab 2030 über eine Leistung von 200 Gigawatt verfügen. Das ist das Zehnfache der Gaskraftwerke, über die diskutiert wird und mehr als das Doppelte des steuerbaren Kraftwerkparks. Der hat eine Leistung von 90 Gigawatt.
Katherina Reiche spricht aber nicht von Flexibilität, sondern "völlig überzogenen" Ausbauzielen bei den Erneuerbaren.
Das ist eine starke Aussage, der ich so nicht zustimmen kann. Aber sie hat einen Punkt: Die Ausbauziele sind inkomplett, weil der reine Ausbau von Erneuerbaren kein effizientes Energiesystem schafft. Dafür muss zusätzliche "Hardware" wie steuerbare Kraftwerke und Speicher installiert und unsere "Software" für einen effizienten Strommarkt aktualisiert werden. Gerade für die Flexibilität benötigen wir ein anderes Betriebssystem, wenn Sie so möchten. Das Potenzial bleibt ungenutzt, weil Smart Meter und der regulatorische Rahmen fehlen. Im Koalitionsvertrag steht drin, dass die Netzentgelte um bis zu fünf Cent gesenkt werden sollen - das ist gut und, denn es entlastet die Menschen und hilft beim Klimaschutz, weil der Betrieb von E-Auto und Wärmepumpe günstiger wird. Das eigentliche Problem wird aber nicht adressiert: Die Stromnetze sind überlastet, weil Angebot und Nachfrage nicht zusammenpassen. Unser aktuelles System widerspricht der Physik. Man muss Einspeisung und Nachfrage besser zusammenbringen. Netzentgelte sind ein wichtiger Hebel.
Wie würde das aussehen?
Wir schlagen in einer Studie fünf Maßnahmen vor, darunter eine Reform der Netzentgelte. Die Stromerzeugung fluktuiert, der Verbrauch auch. Das führt manchmal zu negativen Strompreisen. Sind Angebot und Nachfrage variabel, müssen es die Netzentgelte auch sein - und sinken, wenn das Netz verstopft und sozusagen am Glühen ist. Dann zeigt man an: Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um Strom abzunehmen, statt einzuspeisen! Letztlich ist die erneuerbare Welt volatiler als die fossile. Wir benötigen regionale Strompreissignale, um Physik und Markt zusammenzubringen.
Aber keine Strompreiszonen?
Die Aufteilung in Strompreiszonen wäre eine andere und ökonomisch interessante Lösung. De facto ist diese Option aber politisch vom Tisch. Die Reform der Netzentgelte ist sozusagen Plan B. Es ist so: Haushalte, die den flexiblen Verbrauch mit E-Auto, Heimspeicher und Wärmepumpe unterstützen, sparen Geld. Haushalte, die nicht darüber verfügen, profitieren aber auch, weil die Kosten für Strom und das System durch diese Flexibilität insgesamt sinken und zusätzlicher Netzausbau vermieden wird. Das ist eine schwierige Aufgabe, weil es nicht ganz einfach ist, die Problematik zu vermitteln. Netzentgelte sind ein kompliziertes und dickes Brett. Aber diese Reform wäre als notwendige Anpassung des "Betriebssystems" extrem wichtig.
Mit Bernd Weber sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.
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