Die Bundesregierung zieht bei der Bahn die Notbremse und löst den Vertrag mit Konzernchef Lutz vorzeitig auf. Was sind die Gründe dafür? Und wer könnte nun den Konzern leiten?
Wie ist die Bilanz von Bahnchef Richard Lutz?
Richard Lutz leitet den bundeseigenen Konzern seit Anfang 2017, im Konzern arbeitet der 61 Jahre alte Pfälzer seit 1994. Seit seinem Amtsantritt als Vorstandsvorsitzender häuften sich allerdings die Probleme: Finanzlage, Pünktlichkeit und Kundenzufriedenheit haben während seiner Amtszeit Tiefpunkte erreicht.
Die Pünktlichkeit im Fernverkehr etwa stürzte von 78,5 Prozent im Jahr 2017 auf 62,5 Prozent im vergangenen Jahr ab. Darunter leidet seit Jahren auch die Kundenzufriedenheit. Und nicht zuletzt ständig steigende Preise für Bahntickets sorgen für Frust bei vielen Kunden. Jüngstes Beispiel ist die Abschaffung der Familienreservierung. Für eine vierköpfige Familie bedeutet das: Statt 10,40 Euro kostet eine einfache Fahrt mit Reservierungen nun 22 Euro. Hinzu kommt, dass der Konzern seit Jahren rote Zahlen schreibt und mit einer maroden Infrastruktur kämpft, auf der für den stetig steigenden Verkehr kaum noch Platz ist.
Unter Lutz' Führung hatte die Bahn deshalb ein umfassendes Sanierungsprogramm gestartet, das all die Probleme in den Blick nahm. Derzeit laufen in diesem Rahmen die sogenannten Generalsanierungen, mit denen die Bahn mehr als 40 stark befahrene Strecken bis Mitte der 2030er-Jahre umfassend modernisieren will. Doch auch hier gibt es Kritik: Der Bundesrechnungshof forderte bereits im Juni in einem der FAZ vorliegenden Bericht, Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) müsse das Sanierungsprogramm der Bahn - S3 - kritisch prüfen. "Aus unserer Sicht ist das Konzept der DB AG derzeit nicht tragfähig", weil wichtige haushaltsrechtliche Grundlagen fehlten.
Warum muss Lutz seinen Posten räumen?
Bereits zur Verkündung der Halbjahreszahlen des DB-Konzerns hatte Bundesverkehrsminister Schnieder im Interview mit den tagesthemen betont, dass der Konzern an vielen Stellen Veränderungen brauche. Und auch im Koalitionsvertrag hatte die neue Bundesregierung eine Neuaufstellung des Aufsichtsrats und des Bahn-Vorstands angekündigt, "mit dem Ziel, mehr Fachkompetenz abzubilden und eine Verschlankung zu erreichen". Lutz galt also schon seit dem Abschluss des Koalitionsvertrags Anfang April als angezählt.
Nun also zog der Verkehrsminister Konsequenzen. "Die Lage bei der Bahn ist dramatisch, allein wenn Sie auf die Kundenzufriedenheit, die Pünktlichkeitswerte oder die Wirtschaftlichkeit schauen", sagte Schnieder. Damit man eine Neuaufstellung des Konzerns vornehmen könne, habe man sich darauf geeinigt, den noch bis 2027 laufenden Vertrag des Bahnchefs vorzeitig einvernehmlich zu beenden.
Zuletzt gab es zunehmend Kritik an Lutz, die jüngste Halbjahresbilanz, die Ende Juli vorgestellt worden war, fiel enttäuschend aus: Nur 63,4 Prozent der Züge kamen im ersten Halbjahr mit weniger als 15 Minuten Verspätung ans Ziel, zugleich fuhr der Konzern einen Verlust in Höhe von 760 Millionen Euro ein.
Gibt es schon einen Nachfolger?
"Die Suche nach einem neuen Bahnchef, einer neuen Bahnchefin hat mit diesem Augenblick begonnen", sagte Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder bei der heutigen Pressekonferenz in Berlin. Der Minister will am 22. September eine neue Strategie für den bundeseigenen Konzern vorstellen. "Idealerweise können wir mit der Strategie im September den oder auch die neue Vorstandsvorsitzende präsentieren", ergänzte Schnieder.
Spekulationen über potenzielle Lutz-Nachfolger und -Nachfolgerinnen gibt es seit Wochen. Genannt wurden bereits die aktuelle Chefin der Regionalverkehrstochter DB Regio, Evelyn Palla, oder der kurzzeitige Bundesfinanzminister Jörg Kukies (SPD). Auch der derzeitige Chef der Infrastruktur-Tochter InfraGo, Philipp Nagl, wird immer wieder erwähnt. Allerdings herrscht Skepsis darüber, ob die tiefgreifenden Probleme beim bundeseigenen Konzern mit einem Wechsel an der Konzernspitze ausgeräumt werden können.
Wie sieht die neue Bahn-Strategie der Regierung aus?
Der Minister will am 22. September eine neue Strategie für den bundeseigenen Konzern vorstellen. Sie sei in weiten Zügen fertig, es seien lediglich noch Detailfragen zu klären. Konkreter wurde Schnieder in der heutigen Pressekonferenz aber nicht, er sagte lediglich: "Die Bahn muss pünktlich, sicherer und sauber sein und der Konzern muss schneller, schlanker, schlagkräftiger und auch wirtschaftlicher werden." Schnieder betonte außerdem, dass er zuerst die Strategie klären wollte, dann die Personalfragen.
Welche Aufgaben warten auf seinen Nachfolger?
Auf einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin des scheidenden Bahnchefs kommen zahlreiche Aufgaben zu: So müssen etwa die wirtschaftliche Lage und Pünktlichkeit verbessert werden und die neue Strategie des Bundesverkehrsministers muss umgesetzt werden.
Gleichzeitig steckt die Bahn mitten in einem Sanierungsprozess, bei dem unter anderem mit Generalsanierungen wichtige Strecken überholt werden. Dazu hatte die Bahn bereits angekündigt, dass die Arbeiten erst 2036, statt wie bisher geplant 2035, abgeschlossen sein werden. Die Modernisierung von mehr als 40 viel befahrenen und dringend sanierungsbedürftigen Strecken wird damit nun mindestens fünf Jahre länger dauern als ursprünglich geplant.
Hinzu kommt, dass der Konzern ein Personalproblem hat: An vielen Stellen fehlt es an Fachkräften, etwa in den Stellwerken oder bei der Instandhaltung von Zügen. Allein bis zum Ende des laufenden Jahres will der Konzern nach eigenen Angaben mehr als 20.000 neue Mitarbeiter einstellen.
Wie sind die Reaktionen?
Kritiker des Bahnchefs erhoffen sich nun eine Chance auf einen grundlegenden Kurswechsel beim bundeseigenen Konzern. "Lutz hat die angebliche Rückbesinnung auf die 'Eisenbahn in Deutschland' intern nie konsequent umgesetzt", teilte der Geschäftsführer des Wettbewerberverbands Die Güterbahnen, Peter Westenberger, mit Blick auf die früheren zahlreichen Auslandsaktivitäten der Bahn mit. "Es ist dankenswert, dass er jetzt den Weg freimacht für eine neue Strategie und neue Köpfe."
Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) begrüßte den Schritt von Bundesverkehrsminister Schnieder. Sie sieht in diesem Schritt ein wichtiges Zeichen für die Handlungsfähigkeit und den klaren Willen des Ministers, die akuten Probleme bei der DB anzugehen.
Allerdings sei es mit einem reinen Austausch der Führungsperson nicht getan. Die GDL betont, dass die tiefgreifenden Probleme der Bahn umfassendere und nachhaltige Maßnahmen erfordern. Dazu gehören insbesondere die Sanierung und Entflechtung der Finanzströme, die dringend benötigte Modernisierung der Infrastruktur sowie eine grundlegende Reform der Unternehmensstruktur, um die Bahn zukunftsfest aufzustellen.
Es gibt auch andere Stimmen: "Dass DB-Chef Lutz gehen wird, macht nichts besser", sagte Grünen-Politiker Matthias Gastel. Es brauche eine stärkere Kontrolle und Steuerung durch den Bund - und mehr Geld.
Der Chef der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG warnte mit Blick auf die dramatische Lage bei der Bahn und die anstehenden Sanierungsmaßnahmen vor einem "Führungsvakuum", und fügte hinzu: "Schnieder wird jetzt daran gemessen werden, ob seiner Entscheidung eine schnelle Lösung folgt oder ob sich die Situation bei der Bahn noch verschärft." Auch das Verkehrsbündnis Allianz pro Schiene erklärte, der Zeitpunkt der Entscheidung sei "überraschend". Damit wachse der Druck auf den Verkehrsminister "enorm", erklärte Geschäftsführer Dirk Flege.
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