Die Debatte ist eröffnet. Mit dem Vorschlag, ukrainische Kriegsflüchtlinge aus dem Bürgergeld herauszunehmen, hat CSU-Chef Markus Söder seinen Pflock gesetzt. In bekannter Manier des bayerischen Ministerpräsidenten. Und das politische Berlin reagiert wie zu erwarten: Uneinigkeit in der Schwesterpartei CDU, Kopfschütteln beim Koalitionspartner SPD.
Rund vier Millionen Erwachsene beziehen Bürgergeld
Ein Blick auf die Fakten: Rund 5,5 Millionen Menschen beziehen derzeit Bürgergeld. Davon sind rund 1,5 Millionen Menschen nicht erwerbsfähig, überwiegend Kinder und Jugendliche. Bleiben rund vier Millionen Erwachsene. Mehr als 800.000 von ihnen erhalten Bürgergeld als Aufstockung ihres Arbeitslohns, der allein nicht zum Leben reicht. Rund 1,7 Millionen Bürgergeld-Empfänger sind arbeitssuchend gemeldet. Rund 47 Milliarden Euro wendet der Bundeshaushalt, also letztlich wir alle, derzeit für das Bürgergeld auf. Auf Ukrainer entfällt davon nur ein kleiner Bruchteil.
In Deutschland leben derzeit rund 1,2 Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Sie sind alle grundsätzlich bürgergeldberechtigt. Die Bundesregierung versprach sich davon eine schnelle und einfache Vermittlung in den hiesigen Arbeitsmarkt. Und sie entlastete damit die Bundesländer von Teilen der Kosten der Flucht, den Kosten des russischen Angriffskrieges. Rund 400.000 Kinder und Jugendliche sind unter den Geflüchteten.

Arbeitsministerin Bas "Das sind mafiöse Strukturen, die wir zerschlagen müssen"
Bleiben rund 800.000 Erwachsene, zu rund 60 Prozent Frauen, nicht selten allein für ihre Kinder sorgend. Hinzu kommen Ukrainer, die derzeit in Weiterbildungsmaßnahmen sind. Rund ein Drittel der erwachsenen Ukrainer hierzulande arbeiten bereits – Tendenz steigend. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) schätzt, dass derzeit noch rund 200.000 Ukrainer dem Arbeitsmarkt kurzfristig zur Verfügung stünden. Also ganze fünf Prozent aller erwachsenen Bürgergeld-Bezieher.
Bürokratie und Sprache hemmen
Noch mehr Vermittlung in Arbeit scheiterte laut Experten bislang nicht zuletzt an Sprachbarrieren und der deutschen Bürokratie, wie etwa der Anerkennung von Berufsabschlüssen. Zudem sind Kinderbetreuungsplätze knapp. Andere Zufluchtsländer wie Polen, Litauen und Dänemark setzten auf schnelle Jobvermittlung, etwa als Gastronomie-Hilfen oder Reinigungskräfte. Die Beschäftigungsquoten bei ukrainischen Flüchtlingen waren deshalb in diesen Ländern zu Beginn deutlich höher als hierzulande. Laut IAB ist der Weg der Qualifizierung und stärkeren Integration, wie ihn Deutschland, aber auch Norwegen, gewählt haben, zwar langsamer, aber mittelfristig der erfolgreichere: Er bringe letztlich mehr Kriegsflüchtlinge in Arbeit.
Der Vorschlag von Markus Söder würde diesen Ansatz zunichtemachen. Und: Die Kosten für die geflohenen Ukrainer würden nach geltender Systematik vom Bund zu den Ländern und Kommunen wandern. Sie wären nominal zwar um rund 20 Prozent niedriger als bisher. Aber nur, wenn man weder den Verwaltungsaufwand der Umstellung noch den Verlust an Arbeitsmarktertüchtigung einrechnet.

Interview in ganzer Länge Koalitionspapier steht – was jetzt, Herr Merz?
14 Min.Söders These nämlich, dass die im internationalen Vergleich ordentliche Sozialleistung des Bürgergeldes Ukrainer von einer Arbeitsaufnahme abhält, widersprechen Wissenschaftler. "Soziale Transferleistungen haben nur einen kleinen und statistisch nicht signifikanten Einfluss auf die Beschäftigungsquote ukrainischer Geflüchteter", sagt Yuliya Kosyakova, Professorin an der Uni Bamberg und Forscherin am IAB, in der "Süddeutschen Zeitung".
Politische Kalküle
Man kann davon ausgehen, dass der bayerische Ministerpräsident all das weiß. Zumal es schon Teil der Koalitionsverhandlungen war. Vereinbart wurde, dass Neuankömmlinge aus der Ukraine kein Bürgergeld mehr beziehen sollen; stattdessen die Leistungen wie alle anderen Kriegsflüchtlinge und Asylsuchende.
An Markus Söders Debatten-Pflock hängt folglich ein ganz anderes Fähnchen: die politische Absicht der Abschaffung des Bürgergeldes in bisheriger Form. Umfragen der vergangenen Monate zeigen, dass rund die Hälfte der Bundesbürger die Leistungen für zu hoch erachtet. Ungerechtigkeitsempfinden einer hoch gestressten Gesellschaft. Dass rund 47 Prozent der Leistungsempfänger mittlerweile ausländische Staatsbürger sind, nutzen Rechtsextreme zur bekannten politischen Rattenfängerei. Denn dieser Anteil erklärt sich statistisch durch die Hinzunahme von Menschen aus der Ukraine und dem gestiegenen Ausländeranteil in der Bevölkerung insgesamt.

Bürgergeld Alleinerziehende Mutter verzichtet aus Stolz auf Bürgergeld: "Arbeit lohnt sich immer"
All das weiß sicher auch Bärbel Bas, die für das Thema zuständige SPD-Sozialministerin. Reformbedarf beim Bürgergeld hat sie bereits signalisiert. Bislang ohne Pflock-Einschlagen.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke