Herr Ogilvie, vor sechs Jahren haben Sie gesagt, dass bis zum Jahr 2030 rund 30 bis 35 Prozent aller Tätigkeiten im DHL-Konzern automatisiert sein würde. Wie viel wurde bislang erreicht?
Die Grundlagen für Prozessautomatisierung sind in unserem Konzern und in vielen anderen schon vor fünf bis sieben Jahren gelegt worden. Da haben wir Routinearbeiten definiert und programmiert, um einzelne Arbeitsschritte von Bots verrichten zu lassen. Wir haben gelernt, dass es in einigen Bereichen nur marginale Optimierungseffekte gibt, in anderen gibt es dagegen immense Veränderungen.
Bei den Brief- und Paketzustellern gibt es offenbar weniger Optimierungen.
Die Jobs der meisten unserer Beschäftigten – das sind eben die Brief- und Paketzusteller, die von Haus zu Haus gehen und Waren übergeben – sind unbeeinflusst von KI. Sie sind zwar mit KI-optimierten Routenplanern und Handscannern ausgestattet, über die sie mehr Informationen erhalten, die ihre Arbeit erleichtert, aber der Einfluss von KI auf ihre Arbeit ist relativ gering.

Wo gibt es dann spürbare Veränderungen durch KI?
Beispielsweise bei den Solution Designern in der Lieferkettensparte, die für verschiedene Kunden Lagerhäuser samt Einrichtung und Prozessworkflow planen. Da ist der Effekt schon deutlich größer. Die haben früher, wie Architekten, an individuellen Lösungen gearbeitet. Mittlerweile haben wir eine riesige digitalisierte Bibliothek mit realisierten Projekten angelegt. Wenn nun ein Auftrag reinkommt, wird per KI umgehend eine automatisierte Lösungsskizze erarbeitet. Damit hat der Solution Designer schon 80 bis 90 Prozent der Arbeit gespart, so dass er seine Fähigkeiten deutlich produktiver für den letzten Feinschliff einsetzen kann.
Und wie sieht es im administrativen Bereich aus? Da wollten Sie die Prozesse auch schon vor Jahren stärker automatisieren.
Im Bereich Forderungsmanagement, wo Mitarbeiter früher Rechnungen und Mahnungen geschrieben haben, werden die Arbeitsschritte mittlerweile komplett über KI-generierte E-Mails und Dialoge abgewickelt. Da hat sich die Rolle des einfachen Sachbearbeiters im Forderungsmanagement verändert zu einem Supervisor von technologiegesteuerten Prozessen, der das gesamte Qualitätsmanagement verbessert.
Amazon hat gerade angekündigt, dass sie mehr KI einsetzen werden und dadurch weniger Mitarbeiter für administrative Tätigkeiten brauchen werden. Wird KI auch bei DHL zum Jobkiller?
Nein, so pauschal kann man das nicht sagen. KI verändert verschiedene Tätigkeiten in unterschiedlicher Form. Einige Tätigkeiten fallen durch den Einsatz von KI weg, dafür entstehen in dem Bereich neue Tätigkeiten, für die ich Menschen mit anderen Qualifikationsprofilen brauchen. Und am Ende steht immer ein Mensch hinter der Maschine, der auf die KI aufpasst, sie neujustiert und die Qualität sichert. Wir wollen KI genauso wie andere Technologie überall da einsetzen, wo sie uns hilft, das Leben für den Kunden besser zu machen, wo sie die Abläufe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verbessert und wo wir operative Effizienzvorteile realisieren können.

Post-Zusteller "Die Menschen sind nicht das Problem, es sind eher die Hunde"
Es gibt in vielen Konzernen Bereiche, wo erfahrene Mitarbeiter demnächst in den Ruhestand gehen, für die es nicht mehr ausreichend jüngere Nachfolger gibt, deren Arbeit aber auch noch nicht voll von KI übernommen wird. Droht da ein Verlust an Einsatz und Erfahrung?
Wir setzen in vielen administrativen Bereichen – in der Finanzbuchhaltung, in der Personalabteilung, im Vertrieb – Prozess-Dokumentatoren ein. Die begleiten erfahrene Fachkräfte, erfassen und hinterfragen jeden einzelnen Arbeitsschritt, um das Wissen dieser Mitarbeiter zu konversieren und die Workflowintelligenz zu formalisieren. Damit haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht. Damit können wir auch KI-Systeme trainieren.
Auf solche Entwicklungen schauen aber auch die Betriebsräte kritisch. Wie gehen die Mitarbeitervertreter mit dem Einsatz von KI um?
Ich sehe es positiv, dass die großen Gewerkschaften DGB, IG Metall oder Verdi sich dem Thema KI nicht verschließen, zumindest innerhalb der engen Grenzen des deutschen Betriebsverfassungsgesetzes und der Datenschutzregelungen. Das ist geltendes Recht und muss anerkannt werden. Mit unserem Konzernbetriebsrat haben wir in einer Art Mantel-Vereinbarung festgehalten, dass wir KI im Konzern da nutzen, wo sie einen Mehrwert bietet und dass wir das in einem mitbestimmten Verfahren gemeinsam umsetzen und auch Aspekte wie Leistungs- und Verhaltenskontrolle regeln. Die Vereinbarung hat uns geholfen, eine Gesprächsbasis zum Einsatz von KI zu haben, um nicht immer wieder in jedem Projekt bei Null anzufangen.

Gehaltscheck Was verdient eigentlich ein DHL-Paketbote?
Das klingt so, als könnten Sie hier in Deutschland nicht alles umsetzen. Ist DHL da in anderen Ländern freier und weiter beim Einsatz von KI?
Wir sind ein global agierender Konzern und können einzelne Anwendungsfelder auch außerhalb Europas testen. In den USA bereiten wir gerade einen vollautomatisierten Recruitingprozess für Lager-Mitarbeiter vor, der komplett über KI-Algorithmus funktioniert. Dabei werden Bewerbungsunterlagen abgefragt, Multiple-Choice-Tests für Rückfragen genutzt, Videointerviews mit einer KI durchgeführt. Das machen bereits viele amerikanische Arbeitgeber. Wir werden uns anschauen, ob wir damit genauso motivierte und engagierte Beschäftigte für unsere Lagerhäuser einstellen können wie über einen menschlichen Rekrutierungsprozess.
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