Den Aufschwung, den sich Deutschland erhofft, findet in Spanien bereits statt. Die Wirtschaft wächst, die Börse boomt. Das Urlaubsland geht dabei einen eigenen Weg, aber nicht alle gehen mit.

Sprechchöre statt Party-Musik. Demonstrierende ziehen Mitte Juni durch Ibiza-Stadt. Es sind wenige im Vergleich zu einem großen Problem - dem ausufernden Tourismus. Denn Ibiza ist längst kein Geheimtipp mehr für Aussteigerinnen und Künstler. Pro Jahr kommen mehr als drei Millionen Touristen auf die Insel. Die Folgen treiben die Demonstrantinnen und Demonstranten um: Lärm, Wasserknappheit im Sommer, knapper Wohnraum durch illegale Vermietungen und steigende Mieten.

Die Mieten spielen hier längst in einer Liga mit Madrid oder Barcelona. Mehr als 20 Euro pro Quadratmeter im Schnitt. Sie treiben die Inflation, die auf den Balearen so hoch ist, wie in keiner anderen spanischen Region.

Milliarden-Einnahmen durch Tourismus

Auf der anderen Seite bringen die Touristen Milliarden Euro ins Land und auf die Inseln. Über vier Milliarden Euro sind es für Ibiza. Viele der 150.000 Einwohnerinnen und Einwohner leben vom Tourismus. Und viele sehr gut. Ibiza ist besonders, steht für einen entspannten Lifestyle, für unfassbar schöne Strände und eine große Partyszene. Drei der angeblich zehn besten Clubs der Welt sind hier.

Der Lifestyle zieht, immer mehr Menschen wollen auch hier leben. Viele Ausländer kaufen sich Ferienimmobilien, aber auch Einwohner vom Festland tun das. Hinzukommen Saisonarbeiter, die teilweise inzwischen ganzjährig auf der Insel bleiben. Ibiza will nun mehr Sozialwohnungen bauen und geht gegen illegale Vermietungen vor.

Spaniens Börse besser als der DAX

Auch die Börse in Madrid ist ordentlich in Bewegung. In diesem Jahr läuft der IBEX 35 zeitweise noch besser als der DAX. Der Erfolg des spanischen Aktienmarktes hat vor allem zwei Gründe, sagt Chris-Oliver Schickentanz, Kapitalmarktexperte der Capitell AG: "Spanische Banken wie Santander und BBVA haben hohes Gewicht im IBEX und sind sehr gut gelaufen."

Der zweite Grund sei, dass es in Spanien weniger Ausfälle an der Börse gebe: "Im DAX haben 15 der 40 Unternehmen in den vergangenen Monaten eine negative Kursentwicklung aufzuweisen, im IBEX mit 35 Mitgliedern sind es nur fünf", betont der Experte.

Wachstum von 3,2 Prozent

Die gute Performance liegt wiederum daran, dass das Wirtschaftswunder, das sich Deutschland erst noch erhofft, auf der Iberischen Halbinsel schon stattfindet. Die Wirtschaft ist im vergangenen Jahr um 3,2 Prozent gewachsen. Der EU-Schnitt lag hingegen nur bei 0,8 Prozent. Damit ist Spanien derzeit Europas Wirtschaftslokomotive hinter Malta, Kroatien und Zypern.

Wie hat die viertgrößte Volkswirtschaft der EU das gemacht? Laut Ulrike Kastens, Ökonomin beim Vermögensverwalter DWS, kommt das nicht nur vom wichtigsten Wirtschaftszweig, dem Tourismus: "Das liegt auch am kräftigen Wachstum des privaten Konsums. Die Beschäftigung ist gestiegen, die Arbeitslosigkeit gesunken, und das hat für eine ordentliche Konsumstimmung in Spanien gesorgt."

Fast alle Branchen legen zu - Investitionen ziehen an

Und so legen fast alle Branchen zu. Spanien gilt aus verschiedenen Gründen als attraktiver Investitionsstandort, sagt Friedrich Henle, Spanienexperte bei Germany Trade & Invest, der Außenwirtschaftsagentur der Bundesrepublik: "Günstige Energie ist ein Argument für den Investitionsstandort." Das habe viel mit dem Ausbau der Erneuerbaren zu tun.

"Unternehmen nennen als Argument aber auch die günstigen Lohnkosten, die im Schnitt niedriger sind als in Zentraleuropa und die Größe des Marktes, in dem Unternehmen etliche Geschäftschancen finden", erklärt der Experte.

Doch Henle sieht auch Risiken, denn auch in Spanien läuft nicht alles nach Plan: "Behördliche Prozesse können lange dauern, die Administration auf drei Ebenen - Nationalstaat, autonome Regionen und Gemeinden - tut ihr Übriges und im europäischen Vergleich müssen Unternehmen mit einer niedrigeren Produktivität rechnen."

Probleme, die auch Deutschland hat

Ulrike Kastens vom Vermögensverwalter DWS ergänzt, dass es auch Hürden gebe, die bei uns in Deutschland nicht unbekannt sind: "Es fehlt an einer unternehmensfreundlichen Politik. Und auch Spanien leidet an zu geringen Investitionen in Risikokapital."

Strukturreformen seien auch in Spanien notwendig, zugleich müsste sich das Land weniger abhängig vom Tourismus machen, sagt Kastens. Die Corona-Pandemie habe die Negativerfahrungen dieser großen Abhängigkeit aufgezeigt."Trotz dieser Erfahrungen dürfte es aber schwer für Spanien sein, das aktuelle Geschäftsmodell zu verändern. Es braucht Investitionen über den Tourismus hinaus, Investitionen etwa in Forschung und Entwicklung, wo das Land erhebliches Nachholpotenzial hat."

Eigener spanischer Weg

Das aktuelle Geschäftsmodell funktioniert aber und wird auch und gerade durch Einwanderung getragen. Sie deckt den Bedarf an Arbeitskräften in Bau, Tourismus und Pflege. Viele Migrantinnen und Migranten kommen aus Lateinamerika, sprechen Spanisch, sind also leicht zu integrieren. Und so geht Spanien in Europa einen eigenen Weg: Eine Million Migranten, die bereits im Land arbeiten, sollen schnell Aufenthaltsgenehmigungen bekommen. So soll auch illegale Beschäftigung am Fiskus vorbei eingedämmt werden.

Alles in allem sind die Rahmenbedingungen heute deutlich besser als vor der Finanzkrise, sagt Experte Kastens. Und dennoch: Der Tourismus wird - allen Protesten zum Trotz -auf absehbare Zeit der wichtigste Wirtschaftsfaktor bleiben. Für dieses Jahr werden erstmals mehr als 100 Millionen Besucherinnen und Besucher erwartet.

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