Eigentlich schien der Zeitpunkt günstig. Gerade noch schnell in Berlin die letzten klärenden Gespräche mit den Kabinettskollegen darüber führen, wie viel Geld sie im nächsten Jahr ausgeben dürfen – bis Monatsende muss der Entwurf des Bundeshaushalts 2026 fertig sein. Auch ein Ausflug auf Schloss Genshagen im nahen Brandenburg passte noch, um mit dem französischen Amtskollegen Éric Lombard eine gemeinsame Initiative beider Länder zur Start-up-Finanzierung zu verkünden. Und dann ab in den Regierungsflieger zum G-20-Finanzministertreffen ins südafrikanische Durban.
Alle Diskussionen um Haushalt, Stromsteuer und die misslungene Richterwahl hinter sich lassen. Einfach mal zwei Tage machen, was schon lange Klingbeils politische Leidenschaft ist: Außenpolitik.
Doch kaum kam der Finanzminister in Durban an, nach einem Nachtflug mit wenig Schlaf, war die erste Frage einer Journalistin nicht etwa nach seiner Sicht auf Afrika, nach seiner Beziehung zum Globalen Süden, den Schwellen- und Entwicklungsländern. Die Reporterin wollte stattdessen wissen: Was sagt der Finanzminister zu dem geplanten zwei Billionen Euro schweren Budget der EU-Kommission aus dem fernen Brüssel? Wieder ging es um Schulden und das Geld, das die einen wollen und die anderen nicht haben.
Daraus, dass er wenig von den Plänen der deutschen Kommissionspräsidentin hält, daraus machte der deutsche Vizekanzler auf dem Balkon des Veranstaltungshotels keinen Hehl. Auch ein Umlenken der Tabaksteuereinnahmen aus seinem Haushalt in den von Ursula von der Leyen oder gar eine neue EU-Abgabe für große Unternehmen werde man „national nicht mitmachen“, sagte Klingbeil ganz in seiner gerade mal zehn Wochen geprobten Rolle als Herr über Haushalt und Steuern in die Fernsehkameras und Mikrofone, den Indischen Ozean im Rücken.
Und so stellt sich in Durban schon kurz nach der Landung die Frage, ob Klingbeil nicht genug in der Heimat zu tun hätte. Muss er wirklich zwölf Stunden gefühlt an das andere Ende der Welt fliegen? Braucht Deutschland etwa noch einen Außenkanzler? Schon die gehäuften Auslandsreisen von Friedrich Merz (CDU) in den ersten Wochen seiner Kanzlerzeit hatten für Kritik gesorgt.
Klingbeil kennt die Vorbehalte. Doch er will sich davon nicht beeinflussen lassen. Er habe sich sehr bewusst für die Reise entschieden, machte er deutlich. Selbst nachdem ihm seine Mitarbeiter im Ministerium gewarnt hatten, dass er nicht auf allzu viele Amtskollegen treffen würde, änderte er seine Meinung nicht.
Der amerikanische Finanzminister Scott Bessent ist nicht in Durban – das Verhältnis zwischen der amerikanischen und der südafrikanischen Regierung ist seit Langem gestört. Auch die russischen und indischen Kollegen gehören zu jenen, die fehlen. Der französische Finanzminister schlug kurzfristig das Angebot von Klingbeil aus, nach dem Arbeitstreffen in Genshagen in der deutschen Regierungsmaschine mitzufliegen. Lombard entschied sich wegen der angespannten Haushaltslage in Frankreich und dem gewaltigen Sparprogramm für eine rasche Rückkehr nach Paris.
Klingbeil möchte ein Zeichen setzen
Ungewöhnlich sind die Absagen für das Treffen im Juli nicht. Auch Klingbeils Vorgänger Christian Lindner (FDP) beließ es stets bei der Reise zu einem der zwei G-20-Finanzministertreffen im Jahr. Umso auffälliger ist das Zeichen, das Klingbeil setzen möchte. Er wolle unter anderem das in die Diskussion gekommene Format der G 20 stärken. Seit 1999 kommen die Finanzminister und Notenbankchefs der führenden Industrie- und Schwellenländer regelmäßig zusammen, um sich über globale Finanzmarkt- und Steuerthemen auszutauschen, um mögliche Fehlentwicklungen und Risiken frühzeitig anzugehen. Das war eine Lehre der Asienkrise und sollte sich auch in der Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 bewähren.
Doch in den vergangenen Jahren ließ die Entscheidungskraft der Gruppe deutlich nach. Das lag zum einen daran, dass die Gastgeber immer mehr andere Länder und Organisationen zu den Treffen einluden. Der Fokus ging verloren. Zum anderen daran, dass wichtige Länder wie die Vereinigten Staaten mehr an eigenen, als an gemeinsamen Lösungen interessiert sind.
Klingbeil hält die G-20-Gespräche gerade wegen dieser Entwicklung für wichtig. Die Bundesregierung müsse alle Möglichkeiten nutzen, um in diesen Zeiten der internationalen Umbrüche Partnerschaften zu stärken, sagte er in Durban. Dafür sei er schon als SPD-Vorsitzender in den vergangenen Jahren viel unterwegs gewesen – in Lateinamerika, in Afrika, in Asien. „Und ich will diese Arbeit jetzt auch als Finanzminister, als Vizekanzler fortführen“, brachte Klingbeil sein Motiv auf den Punkt. Dabei sei es unerlässlich, Gesicht zu zeigen. Er weiß, dass Vertreter aus Europa seit Jahren bei Besuchen in Afrika und Südamerika zu hören bekommen, dass die Chinesen und die Russen schon da waren.
Die Reise nach Südafrika kann damit auch als Signal des SPD-Vorsitzenden in die eigene Partei verstanden werden. Er war es schließlich, der als Finanzminister die Ausgaben für Entwicklungshilfe im Bundeshaushalt kürzte, beziehungsweise auf Druck des Koalitionspartners kürzen musste. Klingbeil will zeigen, dass Deutschland weiterhin Interesse am Globalen Süden hat – auch im Sinne deutscher Unternehmen.
Dafür hat er sich mit den Geschäftsführern deutscher Unternehmern im Hafen von Durban zum Gespräch verabredet. „Ich will nicht nur in Konferenzen sitzen“, sagte Klingbeil zu diesem Termin fern des G-20-Protokolls. Von den Statthaltern deutscher Vorzeigeunternehmen, darunter dem Autozulieferer Mahle, bekam er unter anderem zu hören, welche praktischen Folgen es hat, das in Südafrika gerade auf höheren Führungsebenen vornehmlich Schwarze eingestellt werden müssten, um die immer noch vorhandene Benachteiligung aus Zeiten der Apartheid auszugleichen. Das erschwere Investitionen in Fabriken vor Ort – und sei ein Nachteil gegenüber der chinesischen Konkurrenz, die mit ihren in China günstig hergestellten und dann verschifften Pkw auf den südafrikanischen Markt drängten.
Inwieweit Klingbeil auf die südafrikanische Regierung einwirken kann, die strengen Regeln für ausländische Investoren zumindest ein wenig zu lockern, blieb während der anschließenden Hafenrundfahrt unklar. Das Problem mit chinesischer Billigware dürfte ihm aber aus der deutschen Heimat bekannt vorgekommen sein.
Karsten Seibel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet unter anderem über Haushalts- und Steuerpolitik.
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