Der Investitionsstau in den Kommunen wird von Jahr zu Jahr größer. Vor Ort stehen mittlerweile Investitionen in Höhe von 216 Milliarden Euro aus. Das sind noch einmal 30 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr. Beim „wahrgenommenen Investitionsrückstand“, wie dies die Förderbank KfW in ihrem jährlichen Kommunalpanel nennt, handelt es sich um die Summe, die von Gemeinden heute investiert werden müsste, um ihre Infrastruktur wieder in einen adäquaten Zustand zu bringen.
Den größten Bedarf sehen die Kommunen wie in den Vorjahren bei Schulgebäuden. Hier beträgt die Lücke aktuell 68 Milliarden Euro. Es folgt der Straßenbau mit einem Investitionsstau von gut 53 Milliarden Euro sowie der Brand- und Katastrophenschutz mit 20 Milliarden Euro. Grundlage für die hochgerechneten Werte sind die Antworten von bundesweit 962 Kommunen. Sie wurden im ersten Quartal 2025 vom Deutschen Institut für Urbanistik befragt.
Abhilfe soll das neu geschaffene Sondervermögen Infrastruktur schaffen. Der Bund will dafür in den kommenden zwölf Jahren 500 Milliarden Euro an zusätzlichen Schulden aufnehmen – davon sollen etwas mehr als 100 Milliarden Euro an die Länder und von dort in die Kommunen fließen. Es gibt allerdings Zweifel, dass dadurch tatsächlich alles besser wird. Kein Bürger sollte zu hohen Erwartungen mit dem Milliardensegen verbinden.
Ein Betrag von 100 Milliarden Euro klingt zunächst viel. Doch bei den bundesweit rund 10.000 Gemeinden landen davon, so die allgemeine Erwartung, wohl nur 60 bis 70 Milliarden Euro – gestreckt über zwölf Jahre.
Die wahrgenommene Investitionslücke in den Kommunen kann mit den Mitteln also nur um ein Viertel, im besten Fall um ein Drittel geschlossen werden. Beim Deutschen Städte- und Gemeindebund spricht man in einer Stellungnahme von einem „Tropfen auf den heißen Stein“ und verweist auf das Rekorddefizit der Kommunen im vergangenen Jahr.
Die Ergebnisse des KfW-Kommunalpanel zeigen allerdings, dass die zusätzlichen Milliarden die Probleme vor Ort alleine nicht lösen. So sehen sich die Kommunen seit Jahren immer neuen baulichen Aufgaben gegenüber. Die Autoren nennen als Beispiel den seit 2013 geltenden Rechtsanspruch auf eine Tagesbetreuung für Kinder ab dem ersten Lebensjahr. Dadurch mussten die Kommunen deutlich mehr Kita-Plätze bereitstellen.
Ähnlich lassen sich die höheren Planzahlen für Investitionen im Schulbereich erklären. „Der starke Anstieg bei den Schulgebäuden könnte mit dem gesetzlichen Anspruch auf Ganztagsbetreuung ab dem Jahr 2026 für Kinder im Grundschulalter zusammenhängen. Den Kommunen wird nun bewusst, dass sie hier noch Nachholbedarf haben“, sagt KfW-Chefvolkswirt Dirk Schumacher.
Wobei sich die Zahl der fehlenden oder sanierungsbedürftigen Schulen, Straßen, Verwaltungsgebäude und Sportstätten in den vergangenen Jahren nicht einmal besonders stark erhöht hat – wohl aber die Baupreise. Die Inflation sei „nach wie vor ein wichtiger Faktor für die Kostenbewertung und auch Kostentreiber bei kommunalen Investitionsprojekten“, heißt es dazu in dem Report.
Demnach addierte sich der wahrgenommene Investitionsrückstand im Jahr 2018 bereits auf 138 Milliarden Euro. Würden die Preise für Material und Bau von damals noch gelten, läge die Lücke heute bei 144 Milliarden statt 216 Milliarden Euro. Die Autoren verweisen unter anderem auf den für Kommunen relevanten Baupreisindex. Der stieg alleine im Vorjahr um mehr als sechs Prozent.
Zu den gestiegenen Anforderungen und Baupreisen kommt ein drittes Problem hinzu, auf das seit Jahren immer wieder verwiesen wird: die Mittel fließen wegen fehlender Planungskapazitäten nicht oder zumindest zu langsam ab. Im Vorjahr planten die Kommunen laut Report Investitionen in Höhe von 47 Milliarden Euro. Sie gaben allerdings nur 30 Milliarden Euro tatsächlich aus, so die Hochrechnung. „Hier spielen auch nicht-monetäre Hemmnisse eine Rolle, etwa mangelnde personelle Ausstattung in den Bauämtern, komplexe Dokumentationspflichten und langwierige Genehmigungsverfahren“, sagt KfW-Chefvolkswirt Schumacher.
Eine der entscheidenden Fragen ist deshalb, wie schnell es den Kommunen gelingt, zusätzliche Fachleute in den Bauämtern und Vergabestellen einzustellen. René Geißler, Professor für öffentliche Verwaltung an der Technischen Hochschule Wildau, ist verhalten optimistisch. „Da die Mittel aus dem Sondervermögen zwölf Jahre fließen sollen, haben die Kommunen eine gewisse Planungssicherheit“, sagt er. Aus ihrer Sicht könnte sich lohnen, die Verwaltungskapazitäten tatsächlich auf Dauer nach oben zu fahren.
Einen wichtigen Punkt, um das Investitionstempo zu erhöhen, sieht Geißler zudem in schlankeren Verfahren. Das fängt bei den Förderprogrammen an. Bislang sei es für Kommunen mit einem erheblichen bürokratischen Aufwand verbunden, an zusätzliche Mittel zu kommen – etwa für Anträge und Dokumentation einzelner Projekte.
„Den Kommunen müssen bei den Mitteln aus dem Sondervermögen hohe Freiheitsgrade gelassen werden. Die Menschen wissen am besten, was bei ihnen nötig ist“, sagt Geißler. Laut KfW-Kommunalpanel wünschen sich 70 Prozent der Kommunen eine Vereinheitlichung von Förderkriterien und Antragsformularen. 82 Prozent empfinden die Antragsunterlagen als kompliziert.
Darauf drängen auch die Interessenvertreter der kommunalen Ebene im förderalen System. „Bund und Länder müssen gerade beim Sondervermögen alles daransetzen, Geschwindigkeit in der Umsetzung zu ermöglichen an den Stellen, an denen das geht“, sagt Hans-Günter Henneke, Hauptgeschäftsführers des Deutschen Landkreistags. Dazu brauche es schlanke Anforderungen an die Mittelverwendung, beispielsweise im Hinblick auf Berichtspflichten und Prüfvorbehalte. „Diese sollten sich auf das Notwendigste konzentrieren, damit vor Ort keine weiteren Umsetzungshürden entstehen“, sagt er.
Die Erwartungen von Burkhard Jung, Präsident des Deutschen Städtetages, sind angesichts der gewaltigen Investitionslücke eher gering. Das Sondervermögen für Infrastruktur könne einen weiteren Rückgang des niedrigen Investitionsniveaus zumindest „abmildern“, wie er sagt. Voraussetzung dafür sei, dass die für Kommunen reservierten Gelder überhaupt vor Ort ankämen und nicht in den Länderhaushalten versickerten. „Die Länder dürfen nicht mit Verweis auf das Sondervermögen bislang bestehende Förderprogramme zurückfahren oder gar die regulären Zuweisungen an die Kommunen kürzen“, sagt er.
Schon in den nächsten Monaten wird sich in der Praxis zeigen müssen, was mit den Sondermilliarden des Bundes vor Ort tatsächlich geschieht.
Karsten Seibel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet unter anderem über Haushalts- und Steuerpolitik.
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