Der Arbeitsmarkt tritt auf der Stelle: Die Zahl der Arbeitslosen ist im Juni nur leicht um 5000 auf 2,914 Millionen Menschen gesunken. Das sind 188.000 mehr als im Juni 2024. Die Arbeitslosenquote liegt unverändert bei 6,2 Prozent. „Die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen bleibt gering“, sagt Andrea Nahles, Chefin der Bundesagentur für Arbeit (BA) „Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wächst praktisch nicht mehr.“

Dass sich eine strukturelle Krise festsetzt, zeigt sich besonders im Langzeitvergleich. Zwischen Mai 2022 und Juni 2025 hat sich die Zahl der Arbeitslosen um mehr als 650.000 erhöht, das ist ein Zuwachs um mehr als ein Viertel. Auffällig: Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Hubertus Heil verzichtet Bärbel Bas (beide SPD) auf Schönrederei. Während Heil stets davon sprach, dass der Arbeitsmarkt „stabil“ sei, klingt die neue Arbeitsministerin anders. „In vielen Unternehmen stehen aktuell Arbeitsplätze im Feuer“, so Bas. Es brauche nun dringend wirtschaftspolitische Impulse, die Wachstum schaffen.

Dass die Zeiten härter werden, zeigt auch die aktuelle Stellenerhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Zwar hat sich der Fach- und Arbeitskräftemangel nicht erledigt, die Zahl der offenen Stellen ist nach wie vor hoch. Doch die Nachfrage der Unternehmen ist rückläufig. Knapp 1,18 Millionen unbesetzte Arbeitsplätze zählen die Wissenschaftler. Auf dem Höhepunkt des Mangels, vor knapp zwei Jahren, waren es annähernd zwei Millionen.

Trotz Krise hat sich der Mangel also nicht erledigt. Und längst sind es nicht nur die Hochqualifizierten, die gesucht werden. Auch Stellen, die sich gezielt an ungelernte Arbeitskräfte wenden, oder für die keine Berufserfahrung voraussetzen, gibt es etliche.

So zeigt eine Auswertung des Berliner Marktforschungsunternehmens Index, die WELT exklusiv vorliegt: Richteten sich im Jahr 2023 noch 265.061 Anzeigen gezielt an „Ungelernte“, waren es 2024 bereits 302.285. Analysiert wurden dafür 195 Printmedien, 313 Onlinebörsen, das Stellenportal der Bundesagentur für Arbeit, sowie 900.613 Firmenwebsites. Und der Trend reißt nicht ab. Von Januar bis Mai waren es bereits 134.178 Stellenanzeigen, die auf die Ungelernten abzielen. Setzt sich diese Entwicklung fort, könnten es aufs Jahr gerechnet mehr als 320.000 sein.

Umso bemerkenswerter ist der ausbleibende Erfolg des Bürgergeldes. Denn anders als von Ex-Arbeitsminister Heil stets behauptet, gibt es sehr wohl viele Stellen, für die Arbeitslose ohne spezifische Qualifizierung theoretisch infrage kommen würden. Weil die Langzeitarbeitslosigkeit seit den Coronajahren aber wieder zugenommen hat und der Zustrom von Flüchtlingen anhält, insbesondere aus der Ukraine, steigen die Ausgaben in der Grundsicherung weiter an.

Laut Haushaltsbeschluss der Bundesregierung werden die Kosten des Bundes in diesem Jahr auf 42,6 Milliarden Euro steigen. 2024 waren es rund 40 Milliarden. Dazu kommen die Kosten der Bundesländer, die ein Viertel der Unterkunftskosten tragen. Letztes Jahr lag dieser Posten bei knapp sieben Milliarden Euro.

Insgesamt könnten die Ausgaben für das Bürgergeld zum ersten Mal an der 50-Milliarden-Euro-Marke kratzen. Grundlage dieser Berechnung ist, dass die Zahl der Empfänger eben nicht sinkt – was das eigentliche Ziel ist – sondern weiter ansteigt. Die Bundesregierung rechnet auch in diesem Jahr mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit.

Ein Grund dafür ist die Krise in der Industrie. Die Zahl der Insolvenzen ist hoch, viele Firmen setzen auf Kurzarbeit oder bauen im großen Stil Stellen ab. Allein in der Metall-, Elektro- und Stahlindustrie wurden innerhalb eines Jahres mehr als 103.000 Stellen abgebaut.

„Die hartnäckige wirtschaftliche Schwächephase, ungünstige Standortbedingungen sowie transformationsbedingte Anpassungsprozesse belasten den Arbeitsmarkt in der Industrie zunehmend“, sagt Stefan Küpper, Geschäftsführer des Unternehmerverbandes (UBW). „Wir dürfen nicht zulassen, dass die industrielle Substanz unseres Landes erodiert.“

Doch in der Industrie gibt es eine große Ausnahme: die Rüstung. Die Verteidigungsausgaben der europäischen Staaten sind seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine Anfang 2022 deutlich gestiegen. Und der Wachstumstrend dürfte sich aller Voraussicht nach fortsetzen. Die Auftragsbücher der Unternehmen sind voll, entsprechend wird nach qualifiziertem Personal gesucht.

Vor diesem Hintergrund hat die Jobplattform Indeed analysiert, wie sich das Stellenangebot in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Während der Gesamtmarkt seit Juli 2022 rückläufig ist und mittlerweile leicht unter dem Niveau von 2021 liegt, erreichte die Zahl der Stellenangebote in der Rüstungsbranche erst im November 2023 ihren Höhepunkt und befindet sich auch heute noch rund 41 Prozent über dem Stand von vor vier Jahren. Bei deutschen Rüstungsunternehmen sind vor allem Fachkräfte aus den Bereichen Technik, Ingenieurwesen und IT gefragt, wie die Auswertung zeigt.

„Der europäische Stellenmarkt schrumpft seit Mitte 2022 – nicht zuletzt wegen des Ukraine-Kriegs, der daraus resultierenden Energiekrise und einer konjunkturellen Abkühlung“, sagt Virginia Sondergeld, Ökonomin und Arbeitsmarktexpertin bei Indeed. In der Rüstungsindustrie allerdings läuft der Trend in die entgegengesetzte Richtung.

„Die Nachfrage nach Rüstungsgütern hat die Industrie auch als wirtschaftlichen Sektor und Arbeitgeber in den Fokus gerückt“, sagt Sondergeld. Zwar ist die Zahl der ausgeschriebenen Stellen seit dem Höhepunkt im November 2023 gesunken, doch die Personalnachfrage in der Branche ist den Daten zufolge weiterhin hoch. „Mit der Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben in Deutschland und weiteren erwarteten Investitionen dürfte die Rüstungsbranche auch künftig ein wichtiger Jobmotor in Europa bleiben“, prophezeit Sondergeld.

Den Boom der Rüstungsunternehmen lässt sich gut an den Börsenkursen der einschlägigen Unternehmen ablesen. Beispiellos ist die Kursentwicklung von Rheinmetall. Aber auch bei kleineren Unternehmen wie etwa Hensoldt sind die Auftragsbücher auf lange Sicht voll. Personalchef Lars Immisch hat allein im vergangenen Jahr mehr als 1000 neue Mitarbeiter eingestellt.

Allerdings: Die Verluste im Rest der Industrie ausgleichen, kann die Boom-Branche Rüstung nicht. Dafür ist sie zu klein. Die Zahl der Beschäftigten schwankt je nach Definition. Etwa 60.000 Arbeitnehmer zählen die Endhersteller, inklusive der Zulieferer sind es laut Institut der deutschen Wirtschaft (IW) wohl rund 150.000.

Anderswo stehen die Zeichen weiter auf Krise, besonders in der Automobilindustrie und den Zulieferern. Zwar werden dort ähnliche Jobprofile nachgefragt wie in der Rüstung. „Im Vergleich zur Automobilindustrie bleibt die Rüstungsbranche allerdings ein relativ kleiner Wirtschaftszweig in Deutschland und Europa“, gibt Sondergeld zu bedenken.

„Deshalb wird die Branche kaum in der Lage sein, die Schwächen dieses Sektors auszugleichen beziehungsweise dortige Arbeitsplatzverluste vollständig aufzufangen.“

Jan Klauth ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Arbeitsmarkt-Themen, Bürgergeld, Migration und Sozialpolitik sowie Karriere-Themen.

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