Heftig in der Kritik und mit dem Rücken zur Wand liefert Franz Wagner das zweitbeste Playoff-Spiel seiner Karriere ab. Aber nur wenn der Weltmeister sein Wurfpech überwinden und weiter so performen kann, hat Orlando eine Chance gegen das Superteam Boston.

Freitagabend in Orlando: Das lokale Profiteam steht in der ersten Playoff-Runde mit dem Rücken zur Wand. Eine 0:2-Hypothek in der Serie gegen den amtierenden Champion Boston Celtics und ein 10-Punkte-Rückstand zur Pause in Spiel drei. Anstatt wie üblich in der Kabine Videomaterial zu sichten und sein Team taktisch anzupassen, appelliert Magic-Coach Jamahl Mosley an die Moral seiner Truppe. Noch nie in der Geschichte der NBA hat eine Mannschaft in einer Best-of-Seven-Serie einen 0:3 Rückstand noch in einen Sieg umgewandelt, 157:0 lautet die All-Time Bilanz.

Was folgt, ist ein fulminantes Comeback in Hälfte zwei. Angeführt von einem überragenden Franz Wagner dominiert Orlando den dritten Spielabschnitt (24:11) und entscheidet die zweite Halbzeit klar zu seinen Gunsten (46:34). Die Hausherren beackern die Bretter, verteidigen beinhart und zwingen den zweitbesten Angriff der Liga in die Knie. Bostons potent-effiziente Offensive leistet sich acht Ballverluste, trifft weniger als ein Drittel seiner Würfe und nur zwei Versuche von Außen. Wagner spielt fast durch, erzielt 17 seiner 32 Zähler nach der Pause und ist so gut wie an jedem zweiten Magic-Angriff entscheidend beteiligt.

In einer Partie mit All-NBA Spieler Jayson Tatum, Finals-MVP Jaylen Brown und All-Star Paolo Banchero präsentiert sich der 23-jährige deutsche Weltmeister als bester Mann auf dem Parkett. "Einer der Assistenten kam heute zu mir und sagte: Franz spielt seit 16 Minuten durch", verriet Mosley nach der Partie. "Er will das so, er kann das. Sowohl seine Fähigkeit, vorne anzugreifen, bergab zu attackieren und wichtige Würfe zu treffen, als auch hinten die besten Spieler des Gegner zu neutralisieren... Franz war an beiden Enden überragend heute."

'In Franz we trust'

Wagner nahm es immer wieder mit den Celtics-Stars Tatum und Brown auf, während er vorne zusammen mit Banchero den Angriff schulterte. In der Crunchtime war der Berliner zur Stelle. Beim Stand von 91:91, knapp zwei Minuten vor Schluss, legte er sich Bostons Kristaps Porzingis zurecht, drehte sich nach einer Dribbeleinlage in Richtung Korb und schloss mit links ab, über die 2,30 Meter Spannweite des lettischen Hünen hinweg. Eine Sequenz später zog er, erneut gegen Porzingis, über rechts direkt zum Ring, traf so den vorentscheidenden Leger zum 95:91.

"Franz ist ein besonderer Spieler", attestierte ihm Teamkollege Wendell Carter Jr., der als einziger Akteur in Spiel drei auf ein Double-Double kam (10 Punkte, 12 Rebounds). "Sein Basketball-IQ ist auf einem unglaublich hohen Niveau. Er versteht jede Situation exzellent. Alle wissen, dass er das richtige Play machen wird - egal, ob als Scorer oder indem er Hilfe zieht und dann den Pass spielt. Sie haben ihn eins gegen eins gehen lassen, und er hat ein ums andere Mal getroffen oder einen guten Wurf herausgepielt, für sich oder einen von uns. Wir vertrauen ihm vollständig. In Franz we trust."

Wenngleich der 2,08-Meter-Flügel einmal mehr mit seinem Wurf haderte, zeigte er eindrucksvoll, warum er Orlandos beste Angriffsoption ist: Kein Magic-Spieler ist vielseitiger, niemand ist kreativer, niemand hat mehr Biss als er. Banchero ist der geborene Scorer, Wagner füllt den gesamten Statistikbogen. Seine Verbesserung in fast allen Aspekten des Spiels ist offensichtlich. Sein Aufstieg zum All-Star durch die Verletzung im Januar: lediglich aufgeschoben, nicht aufgehoben. Es gibt nur wenige Spieler ligaweit, die sowohl im Angriff als auch in der Abwehr dieses Level erreichen. "Du musst natürlich körperlich in Topform sein, um vorne und hinten abzuliefern", sagte Wagner. "Aber ich finde, in den Playoffs kommt es vor allem darauf an, wer es mehr will. Jeder Ballbesitz zählt. Ich bin stolz darauf, an beiden Enden spielen zu können, damit ich meinem Team in jeder erdenklichen Weise helfen kann."

Das Problem mit dem Wurf

Wagners Trajektorie scheint vorgezeichnet. Eigentlich kann er sich auf dem Weg zu einem der besten Spieler der Welt nur selbst stoppen. Oder besser gesagt: sein Sprungwurf. Nach zwei soliden Auftaktjahren irgendwo im NBA-Durchschnitt ist Wagners Dreierquote auf zuletzt zwei Mal unter 30 Prozent gesunken. Was bereits in der Vorsaison problematisch wirkte, ist in dieser Spielzeit zur ausgemachten Katastrophe mutiert. Die Wurftechnik scheint völlig kompromittiert, der Ellbogen ruht nicht immer unter dem Ball, der Abwurf wirkt häufig ruckartig, wabbelig. Die Verschlechterung ist seit seiner Rückkehr am 23. Januar markerschütternd. Vor seiner Verletzung traf Wagner 32 Prozent seiner Dreierversuche, danach nur noch 27 Prozent. In seinen ersten 25 Partien kam er zehn Mal auf drei Dreier oder mehr; in den finalen 35 Partien nur acht Mal.

In der Serie gegen Boston traf Wagner bisher nur fünf seiner 26 Versuche von jenseits der 7,24-Meter-Linie. Die Celtics lassen ihn ein ums andere Mal offen stehen und fordern ihn geradezu heraus, die langen Würfe zu nehmen. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Sie gehen einfach nicht rein. Aber sie fühlen sich alle gut an. Ich war ziemlich überrascht. Wenn ein paar mehr von Außen fallen, sieht alles ganz anders aus", sagte der Protagonist nach Spiel zwei. In Spiel drei verfehlte der Deutsche zehn seiner 13 Versuche von Downtown und 16 seiner 27 Würfe insgesamt. Mit 19 Prozent von Außen und 43 Prozent aus dem Feld in der Serie läuft er seiner Effizienz hinterher.

Dennoch liefert er ab in diesen Playoffs: 26,7 Punkte pro Partie, dazu 4,7 Rebounds, 5,7 Assists und 1,7 Steals im Schnitt. Die Geister von Spiel sieben des vorjährigen Erstrunden-Duells gegen Cleveland will Wagner um jeden Preis schlafen lassen. Damals erwischte der Youngster im bis dato wichtigsten Spiel seiner Karriere einen bitteren Abend und zeigte seine schwächste Performance als Profi zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt: mickrige sechs Punkte bei 14 Fehlwürfen aus 15 Versuchen - darunter null von fünf von den Dreierlinie. Wagner weinte anschließend in der Umkleidekabine, weil er eigenen Aussagen zufolge sein "Team im Stich gelassen" habe.

Wagner, Offense: Schlüssel für Orlando

"Er bringt uns so viele Aspekte außer seinem Wurf", betont Mosley unermüdlich. "Sein Playmaking, sein Finishing, seine Defense. Das ist so viel mehr als nur sein Shooting." Um einen ähnlichen Ausgang wie 2024 zu verhindern, wird erneut fast alles an Wagner und Banchero hängen bleiben. Die Underdogs aus Orlando verfehlten 17 ihrer 27 Dreierversuche in Spiel eins, und satte 22 von 29 in Spiel zwei. Auch im dritten Aufeinandertreffen präsentierte sich Mosleys Team gewohnt katastrophal von Downtown (24 Fehlwürfe bei 32 Versuchen), schaffte es dank harter und disziplinierter Defensivarbeit aber, die Celtics phasenweise komplett aus dem Spiel zu nehmen. Das ist der Schlüssel für die gewohnt ruppigen Floridianer, deren "defensive Intensität so gut wie immer da ist. Wir wissen, dass wir sie unter ihrem Schnitt halten können. Es sind die Runs, die uns killen", verriet Banchero mit Blick auf die oft minutenlangen Dürrephasen seines Teams.

Das ist nicht neu, seit Jahren hat dieses Team ein Hauptproblem: zu wenig Offensive. Trotz Banchero und Wagner. Es fehlt an Kreation, Shooting und offensivem Punch. Orlando traf die wenigsten Dreier, hatte die schlechteste Dreierquote und rangierte auf Rang 27 bei der Angriffseffizienz - die mit Abstand schwächste aller 16 Playoff-Teams. Die zweitbeste Abwehr weit und breit erlaubte dennoch eine ausgeglichene Bilanz. Orlando beendete die reguläre Saison mit 41:41 Siegen. Nach starkem 15:7-Start mussten die Magic erst Bancheros und dann Wagners identische Bauchmuskelrisse überstehen. Als die beiden Topscorer (25,9 PPG für Banchero; 24,2 PPG für Wagner) endlich wieder fit waren, gingen Schlüsselspieler wie Moritz Wagner und Jalen Suggs verloren. Neun Siege aus den finalen zwölf Partien reichten zwar, um Platz sieben und über den Umweg Play-In dann den zweiten Playoff-Einzug in Folge klarzumachen. Dennoch dürfte die aktuelle Spielzeit als Rückschritt, zumindest aber als Stagnation gewertet werden - vor allem, wenn erneut in Runde eins Schluss sein sollte.

Orlando bleibt trotz des Anschluss zum 1:2 der Außenseiter in dieser Serie. Selbst, wenn das Team aus Florida in der Nacht von Sonntag auf Montag auch die zweite Partie im dröhnenden "Kia Center" gewinnen sollte: Die Celtics genießen Heimvorteil, sind tiefer, erfahrener und individuell besser. Die Magic wollen dorthin, wo Boston seit Jahren weilt. Um den Sprung nach oben zu schaffen, muss das Team personell verstärkt werden, während Wagner den nächsten Schritt macht. "Sein Arbeitseifer, seine Detailtreue ... es ist schön zu sehen, wann immer er das komplette Paket zeigen kann", sagte Carter Jr. am Freitag. "Ich bin sehr stolz auf ihn und dass er so ins Rollen gekommen ist. Und ich bin mir sicher, dass er diese Leistung als Sprungbrett für den Rest der Serie nutzen wird." Und wenn Wagner am Ende vielleicht sogar seinen Sprungwurf wiederfindet: Wer weiß, was für den Allrounder und seine Magic dann alles möglich sein kann...

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