Jedes Jahr wird als Prolog einer NFL-Saison der Draft durchgeführt. Die Teams durchforsten die College-Talente und hoffen darauf, den nächsten Patrick Mahomes zu finden. Dieses Jahr gibt es verrückte Geschichten - und drumherum ordentlich Streiterei und Hoffnung.

In diesen Tagen werden NFL-Fans zu Experten im 40-Yard-Sprint und bei der Bewertung von Armlängen, Handlängen und vielen anderen körperlichen Attributen. Genau darum ging es in den vergangenen Wochen, als im Vorlauf des NFL-Drafts die besten Football-Talente aus den US-Universitäten vermessen und analysiert wurden.

Beispielsweise muss Will Campbell von der Louisiana State University seit einer Weile damit leben, dass die Football-Gemeinschaft seine vergleichsweise kurzen Arme diskutiert. Für einen fast zwei Meter großen Koloss, der als Offensive Tackle den Quarterback in Spielzügen beschützen soll, sind seine 82,9 Zentimeter langen Arme etwas zu kurz. Gegnerische Verteidiger könnten ihn deshalb überlaufen. Campbell könnte trotzdem von einem der ersten Teams ausgewählt werden, aber eben nicht ohne Kontroverse.

Die generelle Idee hinter einem Draft, den es nicht nur in der NFL, sondern auch in anderen US-Sportligen gibt, besteht darin, dass die schwächsten Teams der Vorsaison die besten jungen Talente aus den Colleges und Universitäten erhalten, um so wieder kompetitiver zu sein. Anders als in der Fußball-Bundesliga etwa spielt sportliche Ausgeglichenheit in einer abgeschlossenen Liga mit Franchise-System eine wichtige Rolle. Im besten Fall kann jeder Standort mit etwas zeitlichem Abstand um Titel mitspielen. Jede Fanbasis würde so zufriedengestellt.

Deutsche Super-Fans auf der Bühne

Eben jene Anhänger machen sich seit langem Gedanken darüber, wen das eigene Team in den ersten Runden des Drafts auswählt. Daneben geht es um das Spektakel selbst. Denn der Draft ist ein mediales Großereignis geworden, mit tausenden Zuschauern vor Ort und an den Bildschirmen, die das Ganze intensiv verfolgen. Ein riesiger Unterschied zum ersten NFL-Draft 1936 im luxuriösen Ritz-Carlton Hotel von Philadelphia, als Teams nicht einmal eigene Scouting-Abteilungen besaßen und natürlich keine Fans als Zuschauer nach Philly reisten.

Die gastgebende Stadt in diesem Jahr ist Green Bay, vielleicht der Traditionsort der NFL schlechthin. Was schon sicher scheint, sind die obligatorischen Buhrufe gegen NFL-Commissioner Roger Goodell und einige Prominente, die während des ganzen Prozedere auch einzelne "Picks" von Teams bekanntgeben dürfen.

Daneben sind aber auch ganz normale Fans involviert. In diesem Jahr ist unter anderem der Berliner New-England-Patriots-Fan Dennis Briege in Green Bay vor Ort und wird auch auf der Bühne stehen. Das Ganze möglich gemacht hat seine Auszeichnung als "International Fan of the Year". Seit Jahren ist Briege glühender Anhänger der Patriots. "Der NFL Draft hat für mich einen großen Stellenwert und ist einer der Ereignisse für mich, auf die ich ein ganzes Jahr warte, denn dort kommen die stärksten Prospects in die NFL und bekommen die Chance ihres Lebens auf ganz großer Bühne zu spielen", sagt Briege gegenüber ntv.de. "Es gibt so viele junge, talentierte Spieler und das muss gefördert werden."

NFL-Teams mit "War Rooms"

In den den Vereinigten Staaten gibt es sogar Football-Journalisten wie Mel Kiper Jr. von ESPN, die sich auf den Draft spezialisiert haben und die Mehrheit eines Jahres damit verbringen, College-Talente zu bewerten und sogenannte "Mock Drafts" aufzustellen. Dabei wird versucht, zu prognostizieren, welches Team welches Talent an welcher Position zu sich holt. Kiper und seine Kollegen kollidieren auch regelmäßig mit Team-Verantwortlichen.

Legendär geworden ist ein Interview von Bill Tobin, dem damaligen General Manager der Indianpolis Colts, im Beisein von Kiper im Rahmen des Drafts 1994. Die Colts wurden von Kiper kritisiert, dass sie keinen Quarterback ausgewählt hatten, obwohl aus seiner Sicht auf dieser Position Nachholbedarf bestand. "Wir müssen überhaupt niemanden nehmen, von dem Mel Kiper glaubt, dass wir ihn auswählen sollten. Mel Kiper hat nicht mehr Glaubwürdigkeit für das, was er tut, als mein Nachbar und der Postbote meines Nachbarn, und der hat nicht einmal eine Dauerkarte für die NFL." Kiper behielt jedoch Recht, die Colts hätten einen Quarterback benötigt. Eine neue Form des Sportjournalismus in den USA war geboren.

Die Teams wiederum haben eigene ganze Analystenstäbe für die Vorbereitung und "War Rooms" an den Tagen des Drafts selbst. Es werden unzählige Listen und Bewertungen aufgestellt, damit man auch reagieren kann, sollte ein Talent von einer anderen Organisation zuvor ausgewählt worden sein. Dem Voraus gehen Veranstaltungen wie der "Combine", bei dem die vielversprechendsten Talente athletische Übungen absolvieren und eben auch vermessen werden. So kam heraus, dass Will Campbells Armlänge "zu kurz" ist.

Kein Superstar-Quarterback in diesem Jahr

Zum Draft in diesem Jahr sei gesagt, dass dieser nicht so viel Glamour verstrahlt wie in den Vorjahren. Es gibt nur wenige herausragende Talente - und besonders auf der Premium-Position des Quarterbacks eigentlich nur Cameron Ward von der University of Miami, dem große Chancen zugesagt werden. Im ersten Durchgang, wenn voraussichtlich alle 32 Teams einmal wählen werden, werden sich die Tennessee Titans, die als Erstes ran dürfen, werden wohl Ward schappen und hoffen, dass der 22-Jährige das Team aus Nashville zurück in die Erfolgsspur führt.

Abseits davon gibt es die verrücktesten Geschichten: Travis Hunter zum Beispiel kann sowohl in der Defensive als auch Offensive spielen, was es in dieser Form eigentlich in der NFL nicht gibt. Abdul Carter gilt als brutale Verteidigermaschine, die Jagd auf Quarterbacks machen wird. Tetairoa McMillan wird als bester Passempfänger angesehen, hat aber zuletzt mit Aussagen aufhorchen lassen, wonach er in seiner Freizeit gar keinen Football schauen würde. Spieler wie Tyler Booker scheinen schon in jungen Jahren geborene Anführer, während Walter Nolen oder James Pearce Jr. noch sehr unreif wirken und von ihren künftigen Teams erst geformt werden müssten.

Eine gewisse Kontroverse ist auch rund um Shedeur Sanders entbrannt. Der Quarterback absolvierte eine gute Saison für die University of Colorado unter Leitung seines Vaters Deion Sanders. Eben jener ist eine lebende NFL-Legende und galt in den Neunzigerjahren als einer der besten Athleten des Landes. Sanders ist mittlerweile Trainer und Medienpersönlichkeit, sein Sohn jedoch nicht mit einer ähnlichen athletischen Begabung gesegnet.

Wo Sanders am Ende landet, beschäftigt die US-amerikanische und weltweite Football-Gemeinschaft ebenso stark wie Campbells Arme oder die Fußarbeit von Ward. Es ist ein besonderes Spektakel, ein NFL-Highlight des Jahres.

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