Die Freude war groß, sehr groß. So wie damals, als der Abpfiff ertönte. Nur gab es dieses Mal keinen Platzsturm. Aber am Samstagabend erinnerte im Stadion „An der Alten Försterei“ trotzdem ganz viel an diesen einen Montag vor sechs Jahren, den 27. Mai 2019. Es fühlte sich an, als wäre ein Kreis geschlossen worden.

Jubelnd lagen sich die Spieler des 1. FC Union in den Armen und feierten nach dem 4:4 (4:4) gegen den VfB Stuttgart vier Spieltage vor dem Saisonende den Klassenerhalt – ausgerechnet gegen jene Mannschaft, gegen die den Unionern vor sechs Jahren der bis dato größte Wurf in der Klubgeschichte gelungen war: Nach einem 2:2 im Relegations-Hinspiel stieg Union durch ein 0:0 im Rückspiel – zu jenem Zeitpunkt gab es noch die Auswärtstorregel – erstmals ins Oberhaus des deutschen Fußballs auf.

Gegen den VfB, der damals den Gang in die Zweite Liga antreten musste, ehe er ein Jahr später wieder zurückkehrte, absolvierte der 1. FC Union nun sein insgesamt 200. Spiel in der Bundesliga – und sein insgesamt 100. Heimspiel. Zwei Jubiläen, die vielleicht zu einer Randnotiz verkommen wären, würde sich die Mannschaft dieser Tage noch so präsentieren, wie das vor wenigen Wochen der Fall war. Nach einem 0:6 bei Borussia Dortmund Ende Februar und einem anschließenden 0:1 Anfang März daheim gegen Aufsteiger Holstein Kiel schien es, als würde die Mission Klassenerhalt nicht gelingen.

Union holt viele Punkte gegen die Großen

Der Mannschaft fehlte es an Struktur, an einer Spielidee und an Leidenschaft. Und zu groß waren die sechs Bretter, also die Gegner, die es zu bohren galt: Eintracht Frankfurt, Bayern München, SC Freiburg, VfL Wolfsburg, Bayer Leverkusen und eben der VfB Stuttgart. Nicht wenige in der Branche befürchteten in diesen sechs Partien eine Punkteausbeute gen null. Doch der 1. FC Union schaffte den Turnaround. Die Mannschaft schlug Frankfurt (2:1), Freiburg (2:1), Wolfsburg (1:0) – und punktete gegen Tabellenführer Bayern (1:1), den amtierenden Doublegewinner Leverkusen (0:0) und Pokalfinalist Stuttgart (4:4).

„Aktuell sind sie bereit 100 Prozent zu geben und alles auf dem Platz zu lassen“, hatte Trainer Steffen Baumgart seiner Mannschaft bereits in der vergangenen Woche nach dem Punktgewinn in Leverkusen attestiert. Jener Coach, der einst bei Union gespielt hatte – und auf Bo Svensson gefolgt war. Der Däne hatte seinen Job bei Union erst im Juli 2024 begonnen und war gut in die Saison gestartet. Doch nach einer wettbewerbsübergreifenden Serie von neun sieglosen Spielen verlor er kurz nach Weihnachten seinen Job. Die erhoffte Trendwende mit Baumgart aber ließ dann auf sich warten.

Erfolglos versuchte der frühere Stürmer eine Viererkette zu etablieren. Nachdem Union unter Svensson zum Schluss vor allem offensiv kaum Akzente setzen konnte, wurde die Mannschaft nun auch hinten anfällig. Noch Anfang März war Baumgart mit einem Punkteschnitt von 0,78 Punkten pro Spiel der erfolgloseste Union-Trainer seit 2004. Der Coach kehrte mit seiner Mannschaft zum altbewährten System mit drei Innenverteidigern und zwei Außen zurück – und damit in die Erfolgsspur. Union steht wieder kompakt, fungiert geschlossen auf dem Platz. Egoismen stehen hinten an, jeder stellt sich in den Dienst des Teams und ist bereit, auch mal den einen Meter mehr zu gehen. Christopher Trimmel und Rani Khedira, Kapitän und Vize-Kapitän, sind wieder die Leitfiguren, die es braucht – und an der eine Mannschaft sich aufrichten kann.

Union spielt zwar nicht den schönsten Fußball, aber einen, der funktioniert und es dem Gegner schwermacht, sein Spiel zu entfalten. Union verteidigt aggressiv, ist wieder stabil, spielt klar und kommt vorn auch zu seinen Chancen. Wären in Leverkusen zwei Situationen besser ausgespielt worden, wäre auch ein Sieg möglich gewesen. Im Beisein von knapp 3000 mitgereisten Fans. Beim Gastspiel am Rhein hing ein Banner am Zaun, der seit Wochen bei jedem Heim- und Auswärtsspiel zu sehen ist. „Union gibt niemals auf“ steht da geschrieben. Worte wie ein Leitmotiv.

Steffen Baumgart, der Coach, ging in Leverkusen erstmals im Nachgang in die Fankurve. Neben den Spielern bedankte auch er sich für die lautstarke Unterstützung. Baumgart ist ein Faktor des Erfolgs, wobei er sich in seinem Wirken bei Union etwas verändert hat. Während eines Spiels ist er nach wie vor ein Trainer, der emotional an der Linie mitgeht, rauf und runter läuft, Kommandos gibt, pfeift. Aber er steht längst nicht mehr so im Fokus, wie zuvor noch auf seinen Stationen in Paderborn, Köln oder beim HSV. Paderborn hatte er von dritten in die erste Liga geführt, Köln ins internationale Geschäft. Bei allen drei Klubs war Baumgart ob seiner extrovertierten Art quasi das Gesicht nach außen. In Köln wurde er wie eine Kultfigur vermarktet. Schiebermützen, die mit der 72 in Anlehnung an sein Geburtsjahr versehen sind, wurden zum Verkaufsschlager.

Baumgart nimmt sich bei Union zurück

In Berlin ist Baumgart nur ein Teil des großen Ganzen. Er hat sich merklich zurückgenommen in der Öffentlichkeit. Seit seinem Amtsantritt stand er nur für einen Podcast zur Verfügung, Interviewanfragen lehnte er ansonsten ab. Nur auf den obligatorischen Pressekonferenzen steht er Rede und Antwort. Er hat Gefallen daran gefunden, sich ausschließlich und akribisch der Arbeit zu widmen. Der 52-Jährige führt viele Einzelgespräche, benennt die Aufgaben von jedem Spieler klar und deutlich – und bezieht seine Co-Trainer Kevin McKenna, Sebastian Bönig, Andrian Wittmann, Rene Wagner, Michael Gspurning komplett mit ein. Damit es einen regen Austausch untereinander gibt, wurde kürzlich in den Katakomben einen Trockengipswand eingerissen. Nun gibt es ein großes Büro für alle Trainer.

Vier Spiele sind es bis zum Saisonabschluss. Doch schon jetzt laufen die Planungen für die neue Saison auf Hochtouren. Horst Heldt, der im vergangenen Sommer als neuer Geschäftsführer Sport verpflichtet wurde, wird sich bei Union erstmals bezüglich der Kaderplanung für eine neue Spielzeit messen lassen müssen. Nach zwei Saisons, in denen der Klassenerhalt lange Zeit nicht klar war, bedarf es einer Auffrischung. Und es bedarf Ersatz für den einen oder anderen Spieler, der Begehrlichkeiten geweckt hat.

Union benötigt Transfereinnahmen

Da der Klub Transfereinnahmen benötigt, ist anzunehmen, dass er in Danilho Doekhi und Diogo Leite wohl zwei wichtige Abwehrstützen verliert. Der Niederländer Doekhi hat laut „transfermarkt.de“ einen Marktwert von 13 Millionen Euro, der Portugiese Leite sogar von 17 Millionen. Auch über Interessenten für Benedikt Hollerbach (7,5 Millionen) wurde jüngst spekuliert. Von Borussia Mönchengladbach etwa war in Bezug auf den aktuell besten Offensivspieler der Unioner die Rede.

Immerhin: Am Freitag wurde schon mal der Vertrag mit Kapitän Trimmel verlängert. Auch wenn er schon 38 Jahre alt ist, hat er vor allem in der jüngsten Vergangenheit gezeigt, wie wertvoll er für Union noch sein kann. Gegen Stuttgart bereitete er drei Treffer vor.

„Nie mehr 2. Liga, nie mehr, nie mehr“, sangen die Union-Anhänger, als sich die Spieler am Samstagabend für die Unterstützung bedankten. „Es war ein hartes Stück Arbeit. Ich bin froh, dass wir es heute schon geschafft haben“, sagte Kapitän Trimmel: „Heute war es ein bisschen ein verrücktes Spiel, aber unter dem Strich sind wir froh.“ Der 1. FC Union spielt damit in der siebten Saison in Folge erstklassig.

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