Die Anfahrt lässt keinen Zweifel aufkommen. Voller Entschlossenheit schiebt sich Vincent Veile mit zwei Stockschüben an, nimmt mit Skating-Schritten zusätzliches Tempo auf und fährt auf den beeindruckenden Kicker zu. Deutschlands bester Freeskier rast über die riesige Schanze, hebt ab, dreht sich mehrmals in der Luft, fasst sich dabei an seine Skier und landet den spektakulären Sprung sicher.

Was für den 27-Jährigen in der vergangenen Saison alltäglich war, ist Mitte November auf dem Stubaier Gletscher ein emotionaler Höhepunkt. Für ihn, seine Physiotherapeutin und seine Trainer – nur sieben Monate nach einem Kreuzbandriss ist Veile zurück auf der Piste. Der Kampf um die Olympischen Spiele im kommenden Februar in Mailand und Cortina d‘Ampezzo treibt ihn seit dem Moment der verheerenden Verletzung an.

„Ich habe mir Mitte April bei einem Freestyle Event in Laax das Kreuzband gerissen. Da habe ich einen neuen Trick probiert, der so noch nie gemacht wurde und bin dabei aus der Salto-Achse geflogen und dann quer aufgekommen. Das Innenband und das Kreuzband leider durch. Ich habe sofort gemerkt, dass es etwas Schlimmeres ist“, sagte Veile im Gespräch WELT AM SONNTAG.

„Nach der Operation bin ich All in gegangen“

Das letzte Event der vergangenen Saison wurde für den gebürtigen Ulmer, der als erster Deutscher einen vierfachen Salto auf Ski gestanden hat, zum Fiasko. Aber nur zwei Tage nach dem Unfall operierte Manuel Köhne in München das zerschossene Knie Veiles. Noch in der Klinik schmiedete Veile einen Plan, um sich den Traum von der Olympia-Teilnahme zu erfüllen. „Ich dachte direkt an die Olympischen Spiele und wie wenig Zeit mir bis dahin bleibt. Aber nach der Operation habe ich sofort den Kampf aufgenommen und bin All in gegangen“, sagte Veile. Ihm sei von Anfang an klar gewesen, dass er das Thema Olympia nie abschreiben werde: „Olympia ist mein großer Traum. Das ist im Leistungssport das Größte.“

Es folgte ein Frühling und Sommer voller Entbehrungen und Qualen. Statt drei Wochen Urlaub in Sri Lanka, Zeit mit Freunden und Familie und Schneetraining in Neuseeland hieß es für ihn: Reha, Gespräche mit einem Sportpsychologen und endlose Stunden an den Geräten im Fitnessstudio.

„Ich habe sofort meinen Urlaub storniert, um mit der Reha zu beginnen. Mir war von Anfang an klar, dass ich für die schwere Verletzung sehr wenig Zeit habe, um wieder fit zu werden“, sagt Veile. Die ersten drei Wochen sind überwiegend von Nichtstun geprägt. Geduld, die Veile nicht hat, ist gefragt, da er das Knie nicht belasten darf. Trotzdem greift er schon in der Woche nach der Operation wieder an und macht leichtes Rumpf- und Oberkörpertraining. Nach einem guten Monat steigert Veile das Training, absolviert zwei Einheiten am Tag in der Reha und im Münchner Olympia-Stützpunkt. Er ist sechs Tage in der Woche im Gym – immer mit dem Fokus, fit für die Olympischen Spiele zu werden.

Zusammenarbeit mit einem Sportpsychologen

Um die komplexen Sprungfiguren nicht zu verlernen, quält er sich im Trampolintraining. Da die Belastungen für das operierte Knie viele zu stark sind, landet er nach den Schrauben und Salti immer auf dem Rücken. „Als ich im Gym an einer Kraftmaschine saß, lagen meine Kumpels an einem Badesee“, sagt Veile. Es habe in der Reha auch große Rückschläge gegeben: „Ich konnte drei Wochen nicht trainieren, weil mein Knie überlastet war. Das war hart. Ich habe mich gefühlt wie ein Kind, das sein versprochenes Geburtstagsgeschenk nicht bekommen hat. Ich habe vielleicht auch einfach zu schnell zu viel gewollt. Aber es war schon eine Katastrophe. Da schläft der Kopf gar nicht, man kommt nicht zur Ruhe.“

Aus dem mentalen Tief hilft ihm die Zusammenarbeit mit einem Sportpsychologen. Die beiden erarbeiten einen Masterplan, an dessen Ende der Tag X – die Rückkehr auf Skier – steht. Kleine Zwischenschritte und die Visualisierung des großen und der kleinen Ziele helfen bei der Umsetzung. „Ich lege das jedem Sportler ans Herz. Ich hatte jede Woche Kontakt zu ihm. Wenn es mir mal schlecht ging, konnte ich ihn auch kurzfristig kontaktieren“, sagt Veile.

Sein Wille und seine Bereitschaft sich zu quälen, werden belohnt. Am prognostizierten Tag X ist er wieder fit und besteht am 14. November den Back-to-Sports-Test: „Wäre ich durchgefallen, hätte ich ihn eine Woche später eben noch einmal gemacht.“

Mitte Dezember nimmt Veile in Peking erstmals wieder an einem Weltcup teil und landet auf dem 33. Platz, in Steamboat (USA) wird es nur Rang 46. Beide Ergebnisse reichen nicht für die Olympia-Qualifikation, Veile bieten sich im Januar aber noch Chancen in Calagry, Aspen und Laax, um sich seinen Traum zu erfüllen. Schon jetzt ist die Rückkehr auf die Piste die Belohnung für eine Zeit voller Entbehrungen.

„Leistungssport ist allgemein ein Verzicht, was Freunde, soziale Kontakte und Familie angeht. Es gehört einfach dazu, wenn du diesen Job machen willst. Ich habe das Privileg, meine Hobbys zum Beruf zu machen“, sagt Veile. Trotzdem ist dieses Privileg seit Jahren immer wieder mit einigen Zweifeln verbunden: „Ich bin ein sozialer Mensch, ich habe gerne Freunde und Familie um mich herum. Ich sehe sie im Winter alle drei bis vier Monate. Deswegen ist es schon ein großes Ding, was man da zur Seite schiebt, um seinen Traum zu leben. Es ist ein Verzicht, den man mit sich ausmachen muss. Umso wichtiger ist es, dass wir so ein großartiges Team sind – das ist meine Ersatzfamilie während der Saison.“

Schon in seiner Jugend verzichtete Veile. Mit 14 hört er auf zu turnen und Skirennen zu fahren und wechselt zum Freeskiing. Er bringt damit die perfekten Voraussetzungen für die hippe Sportart mit. Nur das Talent reicht aber nicht, um sich den Traum vom Profi zu erfüllen. „Ich war jedes Wochenende im Allgäu beim Skifahren, während meine Freunde abends einen heben gegangen sind. Ich habe eine andere Jugend als ganz viele andere gehabt. Aber es ist auch okay. Ich will es nicht missen.“

Im Sport-Internat von Berchtesgaden trifft er mit 16 Jahren auf Gleichgesinnte, die Verständnis haben, wenn es Freitagabend nicht in den Club zum Feiern geht.

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