Wer die Bedeutung von Beau Greaves für das Frauen-Darts einordnen möchte, sollte einer 17-Jährigen zuhören. „Sie ist eine große Inspiration für jedes Mädchen, das Darts spielt. Ich finde sie einfach absolut phänomenal“, sagte Paige Pauling zuletzt im Rahmen der WM des Weltverbandes WDF. Aus ihr spricht die pure Anerkennung. „Wenn ich auch nur die Hälfte von dem schaffen könnte, was sie erreicht hat, wäre das schon fantastisch.“

Pauling, Jahrgang 2008, gilt als eines der größten weiblichen Talente im Darts. Bei den Mädchen hat sie im vergangenen Jahr triumphiert, in diesem Jahr erreichte sie bei ihrem ersten Start bei den Frauen das Achtelfinale. Greaves, Jahrgang 2004, ist da schon mehrere Schritte weiter. Nicht nur, dass sie sich bei der WDF-WM dreimal in Folge zur Weltmeisterin krönte (2022, 2023, 2024). Auch auf dem Zirkus der viel prestigeträchtigeren PDC sorgt Greaves längst für Furore – und hat Fallon Sherrock damit als Vorbild der Frauen-Szene abgelöst.

Nun kehrt die Engländerin in den Alexandra Palace zurück. Drei Jahre sind seit ihrem ersten und bisher einzigen Auftritt vergangen. Zeit, in der Greaves eine Wandlung vollzogen hat. Bei ihrer Premiere im Dezember 2022 zeigte sie gegen den Iren William O‘Connor zwar keinen schlechten Auftritt, war beim 0:3 aber letztlich chancenlos. Die größte Bühne des Darts erschien noch eine Nummer zu groß – selbst für eine Ausnahmespielerin wie Greaves, die sie damals auf der Frauen-Tour schon war.

Auf der Frauen-Tour ohne Gegenwehr

Ohnehin schien die Engländerin aus dem kleinen Dorf Sprotbrough im Westen Doncasters bislang immer dann ihr volles Potenzial aufzurufen, wenn sie sich in ihrer Komfortzone befand. Die Frauen-Tour ist das beste Beispiel. Abseits des großen Rampenlichts sammelt sie in ihrer eigenen Bubble einen Titel nach dem anderen. Ein Rekordpreisgeld von 37.600 Pfund binnen eines Jahres in der Women's Series, 13 Turniersiege und 86 gewonnene Spiele auf der Frauen-Tour in Serie sind Ausdruck purer Dominanz. Nicht einmal der große Phil Taylor kam in seiner Prime auf solche Werte.

Von den anderen Frauen bekommt Greaves kaum Gegenwehr. Spiele von 95 oder 100 Punkten im Average, die die 21-Jährige zuhauf zeigt, gewinnen daher noch mehr an Wert. Schlechte Legs werden ihr kaum durch schnelle Check-outs der Gegnerin abgenommen. Die Zahlen entstammen fast ausschließlich der eigenen Kraft Greaves‘. Sie sei „die weibliche Version von Luke Littler in der Welt des Frauen-Darts“, adelte Konkurrentin Lisa Ashton zuletzt bei Sky Sports.

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Umso erstaunlicher, dass sich Greaves noch vor gar nicht allzu langer Zeit die eigene Konkurrenzfähigkeit in ihrer von den Voraussetzungen zwar geschlechtsunabhängigen, aber dennoch männerdominierten Sportart, abgesprochen hat. „Frauen- und Männer-Darts sollten getrennt sein. Ich glaube nicht, dass jemals eine Frau in den ‚Ally Pally‘ gehen und dort gewinnen wird“, sagte sie im vergangenen Jahr. „Wer das glaubt, ist ziemlich naiv.“

Von solchen Aussagen war zuletzt nichts mehr zu hören. Zwar ist die Bühne immer noch nicht Greaves‘ Wohlfühlort, wie beim Grand Slam im November deutlich wurde. In den entscheidenden Momenten der Gruppenphase versagten ihr gegen die Altmeister Gary Anderson und Michael van Gerwen jeweils die Nerven. In beiden Spielen hatte sie Matchdarts, hätte gut und gerne auch die K.-o.-Runde erreichen können. „Ich finde es schwierig, auf der Bühne zu spielen. Ich habe schon einmal darüber gesprochen, dass es für mich ein großer Unterschied dazu ist, auf dem Floor zu spielen“, gab Greaves jüngst in einer Medienrunde mit englischen Journalisten dann auch zu.

Klares Bekenntnis zur PDC

Aber bei „Beau ’n‘ Arrow“, so ihr Darts-Spitzname, ist eine Erkenntnis gereift. „Mir war gar nicht bewusst, wie negativ ich in den letzten Jahren tatsächlich gewesen bin“, sagte Greaves. „Ich habe über die Jahre mein Selbstvertrauen verloren. Jetzt habe ich wieder ein bisschen davon zurückgewonnen. Es ist mir egal, gegen wen ich spiele. Vor ein paar Jahren war das noch anders. Ich habe so hart versucht, zu gewinnen, aber es hat einfach nicht geklappt. Deshalb werde ich einfach offen sein und aufhören, so negativ zu denken.“

Wo früher Zweifel standen und die Frauen-WM der WDF einem Auftritt im Ally Pally vorgezogen wurde, steht jetzt ein klares Bekenntnis zur PDC. „Es war in diesem Jahr keine schwierige Entscheidung“, sagte Greaves. „Ich wusste schon etwa zur Jahresmitte, dass ich bereit bin, in den Ally Pally zu fahren und es noch einmal zu versuchen.“ Zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich auch schon ab, dass Greaves ihr Ticket für die Profitour buchen würde. Drei Turniersiege im Frühjahr auf der Development Tour, der Nachwuchsserie im Darts, brachten sie in die verheißungsvolle Position. Tatsächlich reichte das Preisgeld am Ende zu Platz zwei im Ranking – als Belohnung gab es die Tourkarte.

Im nächsten Jahr wird es die Vize-Jugendweltmeisterin also dauerhaft mit den Luke Littlers, Luke Humphries‘ und Michael van Gerwens dieser Welt zu tun bekommen. „Vor ein paar Jahren wäre ich noch nicht bereit gewesen. Ich war zu negativ und dachte, ich wäre nicht gut genug. Jetzt weiß ich, dass ich gut genug bin. Es war eine echte 180-Grad-Wende für mich“, sagte Frau, die im Kinderzimmer ihres Bruders mit dem Sport in Kontakt kam.

Die Superstars fürchten sich schon jetzt vor der besten Frau aller Zeiten. „Sie wird in Zukunft eine echte Bedrohung für alle Spieler sein. Nicht nur für mich, sondern für alle“, sagte der Weltranglistenzweite Humphries. „Sie wird nächstes Jahr auf dem Circuit so viel Ärger machen. Sie ist fantastisch“, lobte die schottische Legende Gary Anderson. Und Littler dürfte spätestens seit seiner Niederlage im Halbfinale der Jugend-WM gegen Greaves gewarnt sein.

Sie alle dürften die Statistiken kennen: vor der WM Platz zwei im Jahresranking der meist geworfenen 180er hinter Littler (Littler: 922, Greaves: 677), Platz elf im Ranking der Spiele mit mehr als 95 Punkten im Average, die beste Siegquote aller Spieler (über 85 Prozent). Greaves, die in der Corona-Pandemie unter der Abwurfblockade Dartitis litt, gehört laut den Zahlen zur erweiterten Weltspitze, wurde sogar schon für die Premier League ins Spiel gebracht.

Spiel gegen Gurney als Highlight der ersten Runde

So weit ist Greaves noch nicht. In den WM-Vorschauen sorgte sie dennoch für ein Novum. Wohl erstmals in der Geschichte wird eine Frau ernsthaft als „Dark Horse“, also als Geheimfavoritin auf den Titel gehandelt. Ihr Spiel am Freitag (ca. 21 Uhr/DAZN und Sport1) gegen Daryl Gurney ist das große Highlight der ersten Runde.

In ihrem Gegner lauert dann aber auch die Gefahr: Bei vielen anderen Auslosungen wäre Greaves die Favoritin gewesen. Nun aber trifft sie auf einen abgezockten Nordiren, der so ziemlich alles in seinem Sport erlebt hat. Gurney gehört seit 2013 fest zum PDC-Tross. In diesem Jahr gewann er zusammen mit seinem Partner Josh Rock die Team-WM. Ihn wird es wohl kaum interessieren, gegen wen er da spielt.

Dass Greaves mit ihrem schnörkellosen Wurf das Potenzial besitzt, Gurney trotzdem auszuschalten, steht außer Frage. Die Frage bleibt aber, ob sie es auf einer großen Bühne abrufen kann. Das Mindset dafür scheint sie mittlerweile zu haben. „Seit ich meine Tourkarte bekommen und etwas mehr Selbstvertrauen habe, weiß ich, dass ich jeden schlagen kann“, sagte Greaves.

Luca Wiecek ist Sportredakteur für WELT. Er wird zwischen Weihnachten und Silvester in London sein und aus dem Alexandra Palace berichten.

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