Nick Woltemade war im Sommer der Spieler, der den FC Bayern zum Handeln zwang. Als Wunschspieler auserkoren, letztlich aber als zu teuer befunden, mussten sich die Münchner anderweitig auf dem Transfermarkt umsehen. Der 23 Jahre alte Woltemade, beim VfB Stuttgart zum Torjäger und Nationalspieler gereift, wollte zum deutschen Rekordmeister, wurde letztlich von den Schwaben aber in die Premier League verkauft. Newcastle United erhielt den Zuschlag, für den Klub zahlte sich das aus. Woltemade fügte und lebte sich schnell ein, liefert auch dort Tor um Tor, ist Fanliebling und versteht sich mit Trainer Eddie Howe prima. Der 48-Jährige lobt seinen Zugang in den höchsten Tönen.

Frage: Herr Woltemade, Sie spielen seit mittlerweile viereinhalb Monaten bei Newcastle United, fühlen Sie sich in England schon heimisch?

Nick Woltemade: Ja, die Leute hier sind sehr fußballverrückt. Im Nordosten gibt es außerhalb von Newcastle nicht viel. Leuten, die sich mit dem englischen Fußball nicht gut auskennen, sage ich immer: Newcastle ist wie Gelsenkirchen. Der FC Schalke ist in seiner Region für viele Menschen das große Aushängeschild. Und genau so ist es in Newcastle.

Frage: Wie äußert sich das?

Woltemade: Du hast hier eine völlig andere Fankultur. Vor allem die Champions-League-Abende sind krass. Als wir gegen den FC Barcelona gespielt haben, hat es schon gereicht, dass wir unsere Gegenspieler angesprintet sind. Da ist das ganze Stadion durchgedreht — wirklich jeder Block! Unsere Heimspiele sind sehr geil. Die Fans sind super emotional, und die Menschen leben komplett für Newcastle. Ich habe selten eine Stadt gesehen, in der die Bewohner mit so vielen Fanartikeln des Vereins durch die Straßen laufen wie hier.

Frage: Welchen Anteil hatte Trainer Eddie Howe nach Ihrem Wechsel aus Stuttgart an Ihrer Integration?

Woltemade: Er ist für mich sehr wichtig. Ohnehin hatte ich mit meinen letzten Trainern viel Glück, die waren menschlich alle richtig gut. Ich bin ein Spieler, der sich wohlfühlen muss, damit er performen kann. Das ist in Newcastle der Fall. Ich habe nach jedem Spiel eine eigene individuelle Video-Session mit dem Chef- und Stürmertrainer, in denen wir Dinge besprechen, die ich ändern oder besser machen kann. Menschlich würde ich Eddie mit Basti (Sebastian Hoeneß, Trainer VfB Stuttgart, die Redaktion) oder Horst (Horst Steffen, einst Trainer von Woltemades Ex-Klub Elversberg, mittlerweile Werder Bremen) vergleichen. Sie alle sind nicht nur Fußballtrainer, sondern wissen, wie man eine Mannschaft führt und mit Persönlichkeiten umgeht.

Frage: Beim VfB waren Sie vergangene Saison nicht für den Champions-League-Kader nominiert, mit Newcastle sind Sie in der laufenden Spielzeit erstmals in ihrer Karriere in der Königsklasse dabei. Können Sie sich an den Moment erinnern, an dem Sie zum ersten Mal die Hymne auf dem Platz gehört haben?

Woltemade: Natürlich! Als die Musik lief, musste ich lachen und schmunzeln. Momente, die ich zum ersten Mal erlebe, möchte ich genießen. In Newcastle ist es so, dass das ganze Stadion vor dem Spiel noch mal zu brüllen anfängt — es war unglaublich laut. Ich stand da und dachte mir einfach nur: Junge, wie cool ist das?! Das war sehr besonders und schön.

Frage: Beim 4:0 gegen Union Saint-Gilloise haben Sie Ihr erstes Tor in der Königsklasse erzielt. Trotzdem sagte der Stadionsprecher danach nicht Ihren Namen, sondern den Ihres Mitspielers Sandro Tonali durch. Ein kurioser Moment …

Woltemade: Das war komisch. (lacht) San­dro hat geschossen, und ich habe den Ball mit der Hacke verlängert. Ich wusste, dass es mein Tor ist. Aber Sandro ist schon in die Kurve zum Jubeln gerannt, und da wollte ich ihm seinen Moment nicht klauen. Es wäre nicht cool gewesen, wenn ich zu ihm hingelaufen wäre und gesagt hätte: Hey, das war mein Tor. Innerlich habe ich mich aber schon gefreut, weil ich wusste: Das war mein erster Champions-League-Treffer. Später stand im Stadion dann auch mein Name auf der Anzeigetafel.

Frage: Sie stehen mit Newcastle in der Champions-League-Tabelle auf Platz zwölf gut da. Ein Duell mit den Bayern, die Sie im Sommer verpflichten wollten, wäre in dieser Saison noch möglich.

Woltemade: In der Champions League zu spielen ist Motivation genug. Auf Bayern treffe ich nicht so gerne, weil die ziemlich gut sind. (lacht) Da habe ich lieber andere Gegner, bei denen die Wahrscheinlichkeit höher ist, dass wir gewinnen.

Frage: Wie fällt das Fazit aus, wenn Sie auf Ihr Fußball-Jahr 2025 zurückblicken?

Woltemade: Es war verrückt, das schönste Jahr meines Lebens! Wenn ich anfange aufzuzählen, was ich alles erlebt habe, vergesse ich jedes Mal ein paar Sachen. Da sind so viele Dinge passiert, es waren viele Emotionen dabei. Aber auch einige Situationen, die ich so noch nicht erlebt habe. Manche von ihnen habe ich gemeistert, andere nicht. Über einen gewissen Zeitraum hatte ich sehr viel Druck. Deshalb war dieses Jahr auch ein geiles Learning für mich. So etwas zu erleben ist nicht selbstverständlich. Generell kann ich daraus viel für mein Leben mitnehmen — nicht nur als Fußballer, sondern auch als Mensch.

Frage: Sie sprechen die Drucksituationen an. In der Sommerpause bestimmte über Monate ein möglicher Wechsel zum FC Bayern die Schlagzeilen. Ende August scheiterte der Transfer …

Woltemade: Als ich gemerkt habe, dass das wahrscheinlich nicht klappt, habe ich mir gesagt: Okay, dann soll es so sein. Im Leben hat alles seinen Sinn. Das perfekte Beispiel dafür ist der geplatzte Bayern-Transfer: Ich bin jetzt super happy, dass ich in Newcastle bin. Das wäre sonst ja gar nicht passiert. Im Nachhinein bin ich glücklich, dass es so gekommen ist. Ich bin der Meinung, dass alles aus einem gewissen Grund geschieht.

Frage: Trotzdem war die Sommerpause für Sie persönlich keine einfache Zeit.

Woltemade: In jede Kleinigkeit wurden Dinge hineininterpretiert. Wenn ich einmal falsch geguckt habe, hieß es, ich habe schlechte Laune. Egal, was ich gemacht habe, egal, was ich getragen habe: Es gab immer Reaktionen.

Frage: Haben Sie ein Beispiel?

Woltemade: Im Sommer-Trainingslager am Tegernsee bin ich während unserer Freizeit im Ort einmal ein paar Meter hinter meinen Mannschaftskollegen mit einem Regenschirm gelaufen, weil es geregnet hat. Dabei wurde ich gefilmt. Danach habe ich davon ein Video auf einem Online-Portal gesehen, wo es hieß, ich sei jetzt abgeschirmt. Da dachte ich mir nur: Das können sie nicht ernst meinen.

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Frage: Wer ist in schwierigen Situationen wie der im Sommer Ihr wichtigster Ratgeber und Vertrauter?

Woltemade: Schon meine Eltern. Wobei ich mit ihnen nicht viele sportliche Themen abgrase, das möchte ich aus der Familie heraushalten. Zu Hause will ich nicht viel über Fußball quatschen, weil ich sonst schon überall viel über Fußball rede — egal, wo ich hinkomme. Mein Berater Danny Bachmann unterstützt mich super, genau wie meine Kumpels. Das sind meine engsten Bezugspersonen.

Frage: Erinnern Sie sich an den Moment, in dem Ihnen klar wurde: Ich wechsle nicht zum FC Bayern, sondern nach Newcastle?

Woltemade: Als mich mein Berater über das Interesse aus Newcastle informiert hat, war ich zu Hause in meiner Wohnung in Stuttgart. Ich hatte sofort Bock, wollte mir das gern anhören. Dann hatte ich sehr gute Gespräche mit Eddie Howe, der einfach ein toller Mensch ist, und danach direkt das Gefühl: Ich mach’s! Am Ende ging alles recht schnell.

Frage: Wie haben Sie die Verhandlungen zwischen Stuttgart und Newcastle verfolgt?

Woltemade: Natürlich konnte ich sagen, was meine Wünsche sind. Aber als es um die Ablöse ging, konnte ich sowieso nichts bestimmen. Deswegen habe ich darauf geschaut, was mir mein Berater und meine Familie geraten haben.

Frage: Glauben Sie, dass Ihre Ablösesumme durch die öffentliche Berichterstattung und Experten-Meinungen wie die von Lothar Matthäus oder Didi Hamann in die Höhe geschossen ist?

Woltemade: Schlussendlich weiß ich das nicht. Da etwas hineinzuinterpretieren, fällt mir schwer. Ob die Summe ohne die Diskussionen eine andere gewesen wäre, kann ich nicht sagen.

Frage: In Deutschland ist nach wie vor von einer Ablöse von bis zu 90 Millionen Euro die Rede. Können Sie aufklären, wie teuer Sie waren?

Woltemade: Ja, ich kann mir schon denken, woher das kam. (lacht) Das ist auf jeden Fall zu viel. Es waren 75 Millionen Euro. Unabhängig von der Summe bin ich sehr froh, jetzt hier zu sein.

Frage: Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie zufrieden sind Sie rückblickend mit Ihrem persönlichen Transfer-Sommer?

Woltemade: Ich bin superglücklich. Newcastle ist bisher eine 10 von 10. Ich bin zu einem Verein gewechselt, der sehr gut zu mir passt. Ich fühle mich auf und abseits des Platzes wohl. Das ist das Wichtigste in meinem Job.

Das Interview wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, „Bild“, „Sport Bild“) erstellt und zuerst in der „Sport Bild“ veröffentlicht.

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