Nico Schlotterbeck war fassungslos. Er konnte es nicht verstehen, dass Borussia Dortmund dieses Spiel nicht gewonnen hat – und sich so die Chancen auf das Erreichen des Achtelfinales in der Champions League geschmälert haben. „Wir können hier auf 13 Punkte gehen und ich glaube, manchen war nicht bewusst, wie wichtig das ist. Deswegen ist das nicht bitter, sondern einfach richtig schlecht“, sagte er nach dem 2:2 (1:1) gegen Bodö Glimt.
Borussia Dortmund hatte es trotz zweimaliger Führung nicht geschafft, dieses „Must-win-Spiel“, wie es BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl nannte, für sich zu entscheiden – und es so versäumt, sich bereits zwei Spieltage vor Abschluss der Ligaphase zumindest schon die Teilnahme an den Play-offs zu sichern. So aber könnte es ein zittriger Showdown werden: Denn in den letzten beiden Vorrundenspielen im Januar geht es gegen Schwergewichte – auswärts bei den Tottenham Hotspur und zu Hause gegen Inter Mailand.
Die Leichtfertigkeit, mit der die Dortmunder gegen die Norweger zwei Punkte verspielten, könnte auch weitere, vor allem atmosphärische Folgen haben. Nachdem es im Stadion erstmals in dieser Saison deutlich vernehmbare Pfiffe gegeben hatte, krachte es – in der Kabine, wo sich Trainer Niko Kovac die Mannschaft lautstark zur Brust nahm. Und auf dem Platz, wo sich Schlotterbeck in Rage redete.
„Das geht mir richtig auf den Zeiger“, sagt BVB-Trainer Kovac
„Ich habe das in der Halbzeit gesagt. Wir fangen nach dem 1:0 an, extrem fahrig zu spielen, unfassbar schlechte erste Kontakte zu haben. Jeder spielt so ein bisschen sein Spiel. Die Spieler, die reinkommen, verlieren jeden Ball“, schimpfte er im Live-Interview mit DAZN. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der BVB es trotz mehrerer weiter Tormöglichkeiten nicht geschafft habe, das Spiel zu entscheiden. „Ich sage immer: Winner-Mentalität bedeutet auch mal, das Spiel zu killen. Das haben wir nicht hinbekommen“, so der Innenverteidiger. Stattdessen „wollen wir es ein bisschen schön machen und das reicht dann eben nicht. Wir spielen Champions League und das ist dann viel zu wenig.“ Das sei auch eine „Qualitätssache.“
Auffällig ist, wie scharf Schlotterbeck vor allem die Leistungen der Spieler, die eingewechselt worden waren, kritisierte. „Wenn man reinkommt in der 60. Minute, erwarte ich 20 Minuten Volldampf“, sagte er an die Adresse von Karim Adeyemi und Serhou Guirassy.
Beide Stürmer waren in der 67. Minute ins Spiel gebracht worden. Von Guirassy war offensiv nichts zu sehen, dafür aber vertändelte er vor dem 2:2, als der BVB wegen einer Verletzung von Aaron Anselmino in Unterzahl war, nach eigenem Einwurf den Ball. Adeyemi, in den vergangenen Wochen einer der stärkeren Offensivspieler, verzettelte sich in Dribblings. Beiden dürfte es kaum gefallen haben, von einem Kollegen öffentlich derart angezählt zu werden.
Ähnlich deutlich Worte fand auch Kovac – allerdings war die Stoßrichtung seiner Kritik in Teilen eine andere. Auch der Coach bemängelte, dass „wir es zweimal nicht geschafft haben, eine Führung auszubauen“. Doch er legte den Finger vor allem auf eine andere Wunde: ein mitunter katastrophales Defensivverhalten.
Bei beiden Gegentreffern gab es keine strukturierte Gegenwehr. Vor dem 0:1, als die Norweger eine Ecke kurz ausgeführt hatten und alle Dortmunder Verteidiger nach vorn liefen, ließ sich die Abwehr komplett düpieren. Niemand blockte die Stürmer, die anschließend in Erwartung einer Flanke aus dem Halbfeld wieder nach vorn rannten. Hier sah auch Schlotterbeck schlecht aus: Der Abwehrchef blieb einfach stehen. Dies hatte der in seiner späteren Generalabrechnung allerdings nicht thematisiert.
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„Was noch schlimmer ist, war das zweite Tor. Das geht mir richtig auf den Zeiger. Denn das darf nicht passieren, dass wir mit einem Mann weniger das nicht richtig verteidigen“, sagte Kovac. Jeder hätte mitbekommen, dass Anselmino verletzt vom Platz gehumpelt war – und Emre Can noch nicht eingewechselt werden konnte. Für den Trainer war dies ein Beleg, dass der BVB nur erfolgreich sein kann, wenn besonderes Augenmerk auf die Defensive gelegt wird.
„Es hat sich wieder einmal gezeigt: Immer, wenn wir mehr als ein Gegentor bekommen, gewinnen wir das Spiel nicht. Das zeigt: Wir müssen gut verteidigen. Denn Spiele gewinnt man, wenn man hinten weniger kassiert als man vorn macht“, erklärte Kovac. Das war eine unmissverständliche Replik auf die Aussagen, die Julian Brandt am Sonntag nach dem 2:0-Sieg gegen Hoffenheim in der Bundesliga den pragmatischen, vorsichtigen Stil kritisiert hatte. „Das sei nicht meine Art Fußball“, hatte er gesagt.
Nur drei Tage nach den viel diskutierten Einlassungen von Brandt, der ein gutes Spiel machte und beide Dortmunder Tore erzielte, wurde das Kernproblem der Mannschaft deutlich: Sie ist derzeit offensiv zu schwach ist, um sich Nachlässigkeiten im Defensivverhalten erlauben zu können. Es dürfte Kovac allerdings trotzdem kaum trösten, dass er in dieser Kontroverse recht behalten hat.
Im Gegenteil. Denn erstmals nach langer Zeit wurde am Mittwoch auch wieder über ein Thema diskutiert, das längst ad acta gelegt zu sein schien: Mentalität. „Wir haben uns selbst in diese Situation gebracht“, sagte Kehl und meinte damit, den Druck, nun gegen Tottenham oder Inter punkten zu müssen, um den Achtelfinal-Einzug nicht zu gefährden. „Ich fand, es war am Ende womöglich eine gewisse Art von Überheblichkeit“, so der Sportdirektor. Abgesehen von „womöglich“ und „gewisse Art“ - das trifft den Nagel auf den Kopf.
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