Es lohnt sich, der Atmung mehr Aufmerksamkeit zu schenken – im Alltag und beim Sport. Dirk Schauenberg kennt sich bestens mit dem Thema aus: Der frühere Karate-World-Cup-Sieger ist ausgebildeter Meditationstrainer und Atemexperte, lernte auch von Mönchen in Sri Lanka. Der heute 56-Jährige wechselte nach seiner aktiven Karriere auf die Trainerseite und dann in den Fußball, wo er als Athletikcoach unter anderem Fortuna Düsseldorf betreute. Heute leitet er sein Kensho Sport- und Gesundheitszentrum – und ist seit Kurzem zudem Bürgermeister (parteilos) seiner Heimatstadt Neukirchen-Vluyn.
WELT: Inwiefern gibt es die richtige Atemtechnik beziehungsweise, wovon hängt diese ab?
Dirk Schauenberg: Es gibt eine richtige Art zu atmen, nämlich die, die zur jeweiligen Belastung passt. Natürlich ist es ein Unterschied, ob ich sprinte oder einen Ausdauerlauf mache. Entscheidend ist, dass Atmung und Belastung im Einklang stehen. Viele Menschen unterschätzen, wie zentral die Atmung für Leistungsfähigkeit, Konzentration und Regeneration ist, ob im Alltag oder im Sport. Wer richtig atmet, kann seine Energie besser steuern, die Erholung beschleunigen und seine Gesundheit langfristig stärken. Die meisten Sportler atmen jedoch unbewusst, oft zu flach oder zu hektisch.
WELT: Und vergeben damit Chancen?
Schauenberg: Definitiv, sie verschenken dadurch viel Potenzial. Wenn man bedenkt, dass Atmung immer ein Begleiter des gesamten Bewegungsprozesses ist, dann kann eine unpassende Atmung die Leistung stark beeinflussen. Laufen ist ein gutes Beispiel. Viele wählen die Intensität zu hoch, weil sie denken, hohe Anstrengung bedeute automatisch gutes Training, ganz nach dem Motto: „Ich habe hart trainiert, also habe ich gut trainiert.“
WELT: Ein weitverbreiteter Irrtum.
Schauenberg: Hartes Training ist nicht immer gutes Training. Viele laufen dann mit hochrotem Kopf und atmen ausschließlich durch den Mund – und das ist ein Zeichen dafür, dass der Körper an seine Grenze kommt. Immer dann, wenn ich bei höherer Leistung merke, dass ich automatisch durch den Mund atmen will, zeigt das, ich habe eine Schwelle erreicht, bei der der Körper über die Nase nicht mehr ausreichend Sauerstoff aufnehmen kann. Das ist physiologisch zunächst normal, aber es bedeutet auch, dass ich mich oberhalb meines optimalen Trainingsbereichs bewege. Die Nasenatmung wird in diesem Moment verdrängt, obwohl sie eigentlich viele Vorteile bietet – und genau die sollte man nutzen.
WELT: Sie sprechen die Bildung von Stickstoffmonoxid an.
Schauenberg: In den Nasennebenhöhlen entsteht Stickstoffmonoxid, ein körpereigener Stoff, der in die Atemluft gelangt, wenn wir durch die Nase atmen. Dieses Stickstoffmonoxid erweitert die Blutgefäße, verbessert die Durchblutung und steigert damit die Effizienz der Sauerstoffverwertung. Gleichzeitig hat die Nasenatmung einen wichtigen Schutzmechanismus. Sie filtert, befeuchtet und erwärmt die Luft.
WELT: Womit wir bei den aktuellen und vor allem kommenden Temperaturen sind.
Schauenberg: Gerade im Winter ist das entscheidend; kalte, trockene Luft, die direkt durch den Mund eingeatmet wird, kann die Atemwege reizen und die Schleimhäute austrocknen. Durch die Nase wird sie dagegen gereinigt und auf Körpertemperatur gebracht, was die Atemwege schont und das Immunsystem stärkt.
WELT: Sie sprachen von einer Steigerung der Effizienz der Sauerstoffverwertung. Inwiefern?
Schauenberg: Die Nasenatmung führt nicht dazu, dass wir plötzlich mehr Sauerstoff aufnehmen, unser Blut ist ohnehin fast vollständig gesättigt. Aber sie verbessert die Effizienz, mit der der Sauerstoff im Körper genutzt wird. Das bedeutet, Herzfrequenz und Atemfrequenz bleiben stabiler, die Bewegung wird gleichmäßiger, der Energieverbrauch sinkt. Man läuft entspannter, konstanter und oft sogar länger. Auf diese Weise verbessert die Nasenatmung nicht nur die Leistung, sondern schützt auch vor Überlastung.
WELT: Können Sie das genauer erklären?
Schauenberg: Wer im Grundlagenbereich durch die Nase atmet, trainiert seine Atemmuskulatur und erhöht seine CO₂-Toleranz. Das heißt, der Körper lernt, mit einem etwas höheren Kohlendioxidgehalt im Blut umzugehen, ohne sofort das Gefühl von Luftnot zu bekommen. Dadurch verschiebt sich die Schwelle, bei der man in die Mundatmung wechseln muss, nach oben. Die Atmung bleibt ruhiger, die Bewegungen ökonomischer, der Körper bleibt länger im Gleichgewicht. Das reduziert Müdigkeit, Überlastung und Verschleißerscheinungen deutlich. Regelmäßige Nasenatmung stärkt außerdem die Atemwege und das Immunsystem, ein Aspekt, der oft unterschätzt wird.
WELT: Also kann ich als Hobbyläufer die Schwelle, bei der ich anfange, durch den Mund zu atmen, nach oben schieben und damit in der Folge schneller werden.
Schauenberg: Auf jeden Fall. Das ist ein Trainingseffekt, der sich gezielt aufbauen lässt. Man sollte die Grundlagenläufe bewusst mit Nasenatmung absolvieren. Anfangs läuft man vielleicht zehn oder elf Kilometer pro Stunde, nach einigen Wochen sind es zwölf, 13 oder 14 – und das immer noch bei geschlossenem Mund. Der Körper wird effizienter, das Atemvolumen größer, und die Leistungsfähigkeit steigt. Für Tempoläufe oder sehr intensive Phasen ist Mundatmung später natürlich erlaubt, aber die Basis sollte immer die ruhige, kontrollierte Nasenatmung sein.
WELT: Allgemein gesprochen für alle, die beim Laufen hauptsächlich oder recht schnell durch den Mund atmen: Drei Gänge zurückschalten, durch die Nase atmen und sich erst einmal daran gewöhnen?
Schauenberg: Ganz genau! Das gilt nicht nur fürs Laufen, auch beim Treppensteigen oder Gehen kann man Nasenatmung trainieren. Ich würde im ersten Gang anfangen. Idealisieren wir das einmal. Man stellt sich aufs Laufband, beginnt mit vier Kilometern pro Stunde, atmet ausschließlich durch die Nase, der Mund bleibt geschlossen. Nach zwei Minuten kann man langsam steigern, fünf, sechs, sieben Kilometer pro Stunde (jede Geschwindigkeit 2 Minuten laufen). In dem Moment, in dem sich der Mund automatisch öffnet, weiß man: Hier ist meine aktuelle Grenze. Gehe ich ein bis zwei Stufen zurück, finde ich meine optimale Trainingsgeschwindigkeit, also den Bereich, in dem ich dauerhaft durch die Nase atmen kann. Lieber 30 Minuten gut, als 60 Minuten schlecht laufen, das ist das Prinzip.
Melanie Haack ist Sport-Redakteurin. Für WELT berichtet sie seit 2011 über olympischen Sport, extreme Ausdauer-Abenteuer sowie über Fitness & Gesundheit. Hier finden Sie alle ihre Artikel.
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