Seit dem Abschied von IOC-Präsident Thomas Bach ist er einer von noch zwei Deutschen im Internationalen Olympischen Komitee. Vor der richtungsweisenden Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) am Samstag in Frankfurt/Main spricht Michael Mronz (58) im großen Interview über die Chancen unseres Landes, Gastgeber Olympischer und Paralympischer Sommerspiele zu werden. München, Hamburg, Berlin und die Rhein-Ruhr-Region haben sich beim DOSB als Ausrichter beworben.

WELT: Herr Mronz, als Deutscher sowie als Sport-Unternehmer und Fan: Wie groß ist Ihre Hoffnung auf Olympia 2036, 2040 oder 2044?

Michael Mronz: Wir treten an mit einem klaren Ziel: Gewinnen – und nicht nur mitspielen. Ich glaube, dass wir gute Chancen haben. Weil wir viel mitbringen, was für das IOC von Bedeutung ist. Entscheidend wird sein, ob wir als Deutschland in der Lage sind, mit einer Stimme zu sprechen, als Sport, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Es liegt an uns, ob wir ein so attraktiver Kandidat sind, dass an Deutschland kein Weg vorbeiführt.

WELT: Und Ihre Perspektive als IOC-Mitglied?

Mronz: Die olympische Agenda 2020 zeigt Wirkung. Es gibt eine zweistellige Bewerberzahl für künftige Spiele, 2036 und folgende. Darunter drei Regionen, in denen noch nie Spiele stattgefunden haben – mit dem Mittleren Osten, Indien und Afrika – und Interessenten aus Asien und Europa. Für uns als IOC ist die Fragestellung wichtig: Wo sind wichtige Märkte der Zukunft und wo gibt es Angebote, die zur Weiterentwicklung der olympischen Idee beitragen.

WELT: Was spricht für Deutschland?

Mronz: Wir sind ein Land von Rechtssicherheit und Vertragstreue. Wir sind seit 80 Jahren ein Land des Friedens. Wir haben Organisations-Talent und wissen, wie man ein großes Ereignis zu einem besonderen macht. Das haben wir mit Welt- und Europameisterschaften in verschiedenen Sportarten sehr eindrucksvoll bewiesen.

WELT: Was können Sie als deutsches IOC-Mitglied für Deutschland bewegen?

Mronz: Formal bin ich Vertreter des IOC in Deutschland. Nicht umgekehrt. Ich glaube, dass ich in den nationalen Bewerbungsprozess die internationale Perspektive sehr stark einbringen kann. Und damit verbunden ist, dass eine deutsche Bewerbung genau die Akzente setzen kann, die für uns als IOC wichtig sind. Welche Punkte das sind, wird auch das von der neuen IOC-Präsidentin Kirsty Coventry aufgesetzte Programm 'Fit for the Future' zeigen, das im Sommer 2026 präsentiert wird. Denn die Anforderungen entwickeln sich ja stetig weiter.

WELT: Können Sie das Zukunftsprogramm schon skizzieren?

Mronz: Es gibt neben den Kommissionen fünf Arbeitsgruppen, die an den Konzepten für Morgen arbeiten. Sie beschäftigen sich unter anderem mit Fragen wie: Wie sehen künftige Olympische Jugendspiele aus? Welche Sportarten und Disziplinen sollen künftig Teil des olympischen Programms sein? Was sind die Einkommensströme der Zukunft? Das IOC befindet sich in einem Veränderungsprozess, nicht zuletzt durch die fortschreitende Digitalisierung.

WELT: Der DOSB will sich erst im Herbst 2026 auf den deutschen Bewerber festlegen. Zu spät?

Mronz: Nein. Das ist quasi im zeitlichen Rahmen mit der Veröffentlichung des Fit-for-the-Future-Programms. Wir als Deutschland sind dann in der Lage, ein auf die internationale Entwicklung passgenaues Angebot abgeben zu können. Das ist eine große Stärke unseres Prozesses und Zeitplans. Dies wird von allen vier Regionen zu hundert Prozent geteilt.

WELT: München hält sich für den Favoriten, spätestens seit des mit 64 Prozent deutlich positiven Referendums. Wie sehen Sie das?

Mronz: Die jüngsten, offiziellen Umfragen in ganz Deutschland liegen sogar bei 72 Prozent. Deutschland will Olympia! Beim IOC wurde die DOSB-Delegation freundlich empfangen und begeistert verabschiedet. Deutschland hat Eindruck gemacht, mit vier Konzepten, die das Potenzial haben, wettbewerbsfähig zu sein. Die Betonung liegt auf Potenzial. Die Frage wird sein: Was kann man aus den einzelnen Konzepten noch herausholen, um das Potenzial zu optimieren?

WELT: Es gibt Menschen, die Sie für befangen halten, da das Rhein-Ruhr-Konzept ursprünglich aus Ihrer Feder stammt. Und Sie seit Jahrzehnten das weltgrößte Reitturnier CHIO in Aachen managen.

Mronz: Wenn Deutschland an den Start geht, bin ich derjenige, der die deutsche Delegation anführt. Daraus ergibt sich gleichzeitig, dass ich gar nicht stimmberechtigt bin. Deutschland kann mit einer Olympia-Bewerbung nur mit dem besten Konzept erfolgreich sein. Dafür bringe ich mich gerne ein.

WELT: Warum eigentlich nicht Olympia in ganz Deutschland? Etwa Fußball in München, Reiten in Aachen, Leichtathletik in Berlin, Boxen in Hamburg?

Mronz: Mit einem dezentralen Konzept, wie es ursprünglich angedacht war, hätte Deutschland keine Chance. Die IOC-Charta erlaubt es zwar in der Theorie, aber in der Praxis wird bei Sommerspielen immer ein Konzept mit einem zentralen olympischen Dorf bevorzugt. Athleten aus 206 NOKs friedlich unter einem Dach – dies ist das Herzstück der olympischen Idee.

WELT: Was erwarten Sie von der DOSB-Mitgliederversammlung am Samstag?

Mronz: Vor allem eine Entscheidung über das Bewertungsverfahren für die Bewerber-Kandidaten, die 2026 zur Abstimmung stehen.

WELT: Ist es mehr als Symbolpolitik, wenn sich am Donnerstag zuvor der DOSB, die Ministerpräsidenten Söder und Wüst sowie die Regierenden Bürgermeister Tschentscher und Wegner mit Kanzler Merz treffen, um für Olympia ein Memorandum of Understanding zu unterzeichnen?

Mronz: Sport und Politik haben beim Olympia-Prozess ein enges Vertrauen aufgebaut. Das ist wichtig für eine erfolgreiche Bewerbung. Es ist sehr zu begrüßen, dass die Bundesregierung unlängst einen Kabinettsbeschluss zur Unterstützung einer Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele getroffen hat. Jetzt geht es darum, zu hinterlegen, dass – egal, welche Region es am Ende sein wird – man sich als Deutschland insgesamt bewirbt.

WELT: Auch durch die Bewerbungsabsicht ausgelöst, stellt der Bund dem Sport bereits eine Milliarde Euro zur Verfügung. Reicht das?

Mronz: Und zwar für den Breiten- und Spitzensport, in dieser Legislaturperiode. Das ist ein starkes Commitment. Dazu kommen noch mal Investitionen aus den Ländern. Als Beispiele: Das Land NRW investiert 600 Millionen Euro in den Sport. Das Land Bayern wird ein Olympia-Gesetz verabschieden, wonach es unter anderem jeden Tag eine Stunde Sport an den Grundschulen geben wird.

WELT: Alles wegen der bloßen Aussicht auf Olympia in Deutschland?

Mronz: Man sieht, dass die Bedeutung des Sports in Deutschland durch die Olympia-Bewerbung deutlich zugenommen hat. Sport ist eine der wichtigsten sozialen Achsen unserer Gesellschaft, mit den Themen Integration und Werte-Vermittlung, wie Team-Play, Fairness, Pünktlichkeit, Anstrengung und Leistungsbereitschaft. Zusammengefasst: Es sind Investitionen in die Jugend und in unseren Zusammenhalt. Es sind aus meiner Sicht keine Kann-, sondern Muss-Investitionen in eine gesündere und agilere Gesellschaft. Und noch etwas...

WELT: Ja, bitte.

Mronz: Die Olympia-Bewerbung rückt all das wieder mehr in den Mittelpunkt. Das sehen wir auch daran, dass wir neue Spitzenwerte bei den Mitgliederzahlen der Vereine haben. Knapp 29 Millionen Menschen sind hierzulande Vereinsmitglieder, 500.000 sind allein im letzten Jahr dazu gekommen. Der Breitensport ist die Basis für erfolgreichen Spitzensport.

WELT: Damit Deutschland bei Olympia künftig wieder deutlich mehr Medaillen holt, arbeitet die Bundesregierung an einem Sportfördergesetz. Wie sehen Sie das?

Mronz: Die Idee, eine rechtliche Grundlage zu schaffen, ist begrüßenswert. Trotzdem glaube ich, dass das Gesetz in der vorgelegten Version Ausdruck dafür ist, dass das schon angesprochene nötige Vertrauen zwischen Sport und Politik noch nicht hinreichend gefestigt ist.

WELT: Wie meinen Sie das?

Mronz: Es gibt in dem Sportfördergesetz bislang keine Zusagen über eine Finanzierung, geschweige denn über die Langfristigkeit einer Finanzierung. Und was mir in den Diskussionen fehlt, ist der internationale Blick: Welche Modelle funktionieren woanders erfolgreich? Wenn man nach England schaut, nach Dänemark oder Australien, dann sieht man, dass es dort finanzielle Zusagen über vier oder acht Jahre gibt. Und dass die Politik zwar bestimmte Ziele festlegt, aber wie diese umgesetzt werden, ist Aufgabe des Sports und seiner Verbände. Die Politik entscheidet ja auch nicht, wer neuer Fußball-Bundestrainer wird. Das macht autonom der DFB.

WELT: Was will der Bund im Rahmen des Sportfördergesetzes entscheiden?

Mronz: Wenn man sich die Vorlage anschaut, soll etwa die Sport-Agentur des Bundes 2027 anfangen zu arbeiten und ab 2031 ihre Aufgaben vollumfänglich wahrnehmen. Erst ab dann soll es in die 100-prozentige Umsetzung gehen. Allein daraus lässt sich ableiten, dass das für mögliche Spiele 2036 oder 2040 im eigenen Land nicht sonderlich erfolgreich sein wird. Die internationalen Learnings vermisse ich in dem Prozess für das Sportfördergesetz total.

WELT: Mehr als 30 deutsche Unternehmen, auch DAX-Konzerne, unterstützen die Olympia-Bewerbung bereits. Was bedeutet das?

Mronz: Die Wirtschaft traut es dem Sport und der Gesellschaft zu, sie traut sich auch selbst die Spiele und den Weg dorthin zu. Olympia bringt etwas mit, das für uns als Gesellschaft sehr attraktiv ist, nämlich ein unverrückbares Zieldatum. Ich glaube, es gibt kein Land, das mehr Patente einreicht als Deutschland, aber wir sind arm an Ziel-Daten, bis wann wir was erreicht haben wollen und müssen. Stuttgart 21 lässt grüßen, die Kölner Oper, der BER, die Elbphilamonie und so weiter. Ein fixes Ziel-Datum bringt eine Fokussierung auf den Erfolg mit sich und verhindert Ausreden dafür, warum man nicht fertig werden kann. Warum sollten wir als Deutschland nicht den Mut haben, zu sagen, dass wir 2040 das digitalste Land Europas sein wollen, einhergehend mit den notwendigen Reformen des Sports, der Fokussierung auf den Sport und Investitionen in den Sport? Digitalisierung ist die Zukunftschance, die wir als Nation haben wie auch jedes Individuum.

WELT: Anfang 2024 hat das IOC seine KI-Agenda verabschiedet, Sie sind Vorsitzender der Kommission für Technologie und Innovation. Was hat sich schon getan?

Mronz: Da passiert aktuell eine Menge. Von ortsunabhängigen Trainings-Möglichkeiten über die Optimierung des Energie-Verbrauchs bei der Durchführung Olympischer Spiele oder der Mobilität bis hin zur Erläuterung komplexer Sportarten. Dabei geht es darum, Chancen zu erkennen und in die Umsetzung zu bringen. Warum hat ein 400-Meter-Hürdenläufer gewonnen, warum ein Turner oder eine Dressur-Reiterin? Das sind Daten, die dem Zuschauer am TV frei zugänglich sein werden und auch in der Olympic.com-App. Dadurch ergibt sich eine größere Einbindung der Fans. Und natürlich entstehen auch viele neue Vermarktungsmöglichkeiten. Damit beschäftigt sich die Arbeitsgruppe Kommerzielle Partnerschaften und Marketing, der ich ebenfalls seit Kurzem angehöre.

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