Es erscheint fast schon wie ein schlechter Scherz, dass Max Verstappen vor dem letzten Saisonrennen überhaupt noch Chancen auf seinen fünften Weltmeistertitel in der Formel 1 hat. Über hundert Punkte hatte er in dieser Saison zwischenzeitlich schon Rückstand auf die Spitze, an der die McLaren-Piloten einsam ihre Kreise zogen. Jetzt sind es noch zwölf auf den WM-Führenden Lando Norris, dessen Teamkollegen Oscar Piastri hat Verstappen sogar bereits überholt.

Am gesamten Wochenende in Katar hatte McLaren das beste Auto, Piastri erschien wie der Fahrer der Stunde. Der Australier hatte jede Session – Training, Sprint-Quali, Sprint und Qualifying – gewonnen. Alle Vorzeichen standen auf Vorentscheidung im WM-Kampf, zumindest dahin gehend, dass sich am Ende einer der „Papayas“ den Titel holt. Gerade, da Piastri seine Pole-Position beim Rennstart verteidigte und der WM-Führende Norris immerhin auf Rang drei hinter Verstappen lag. Dann aber versagte das Team.

Als das Safety-Car nach einem Crash des Deutschen Nico Hülkenberg und Pierre Gasly auf die Strecke mussten, kamen alle Fahrer zum Reifenwechsel. Eine Taktik, um beim Boxenstopp Zeit zu sparen. Nur die beiden McLaren nicht. Es war der Fehler, der das Rennen kostete. Norris und Piastri lagen zwar erst mal vor Verstappen, mussten aber noch an die Box. Die Siegchancen waren mit diesem verzögerten Stopp dahin. Piastri betrieb am Ende als Zweiter immerhin Schadensbegrenzung, Norris wurde Vierter.

„Wir haben seinen Sieg (Piastris, d. Red.) und Landos Podiumsplatz weggeworfen“, sagte McLaren-Boss Zak Brown. „Wir sind im Moment alle angefressen.“ Und auch Teamchef Andrea Stella musste einen großen Fehler eingestehen. „Wir hatten heute das schnellste Auto, und die Fahrer haben einen großartigen Job gemacht“, sagte er. Aber „als Team haben wir sie im Stich gelassen“. Man habe „nicht erwartet, dass wirklich alle reinkommen“.

Piastri zeigt sich „sprachlos“

Bei den betroffenen Fahrern hinterließ der zweite Patzer binnen zwei Rennen – in Las Vegas waren beide Autos wegen eines zu stark abgenutzten Unterbodens disqualifiziert worden – Fassungslosigkeit. Piastri zeigte sich „sprachlos“ und sagte: „Ich habe das Gefühl, dass ich keinen Fehler gemacht habe.“ Norris funkte schon während des Rennens: „Ich hätte auch reinkommen sollen, oder?“

Die internationale Presse zeigte sich gnadenlos mit dem britischen Rennstall. „Gib McLaren eine Waffe in die Hand, und sie würden sich selbst in die Füße schießen“, urteilte die britische Zeitung „Daily Mail“. Es scheint tatsächlich ein wenig so, als würde McLaren alles dafür geben, Verstappen noch zum WM-Titel zu verhelfen. Als wäre der Niederländer neben Piastri und Norris der verdeckte dritte Fahrer des Teams. Die spanischen Kollegen der „Marca“ sprachen von einem „unvorstellbaren Fehler von McLaren, einem groben Fehler an der Boxenmauer“.

Während bei McLaren wieder einmal Aufarbeitung (Piastri: „Müssen als Team diskutieren“) ansteht, jubelte Red-Bull-Pilot Verstappen hingegen über das Geschenk der Konkurrenz. „Wir bleiben bis zum Ende im WM-Kampf dabei“, sagte er: „Jetzt ist alles drin.“

In Abu Dhabi, wo am kommenden Sonntag (14 Uhr/Sky) gefahren wird, hatte er 2021 seinen ersten und wohl denkwürdigsten Titel gefeiert. In der letzten Runde hatte er nach einer umstrittenen Entscheidung der Rennleitung den damaligen Mercedes-Piloten Lewis Hamilton entscheidend überholt. Diesmal kämpfen erstmals seit 2010 drei Piloten im letzten Rennen um die WM-Krone. Die besten Chancen mit zwölf Punkten Vorsprung auf Verstappen hat weiter Norris, Piastri hat schon 16 Punkte Rückstand. Aber McLaren, so hat man in diesen Tagen das Gefühl, wird sich schon etwas einfallen lassen, um diese Ausgangslage noch zu verhunzen.

Die Titel-Konstellationen – So werden Norris, Verstappen und Piastri Weltmeister

Luca Wiecek ist Sportredakteur für WELT. Er kommt privat ohne Autos aus.

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