Sie dürften es gesehen und gehört haben. Denn der Demonstrationszug führte unweit ihres Hotels vorbei, in dem die deutschen Nationalspieler in Leipzig untergebracht sind. Tausende Fußball-Anhänger waren am Sonntag in die sächsische Metropole gekommen, um gemeinsam gegen Verschärfungen von Sicherheitsauflagen in Stadien zu demonstrieren. Fans vom 1. FC Union Berlin, die den Demonstrationszug anführten, von Hertha BSC, Dynamo Dresden, dem VfB Stuttgart, den 1. FC Köln oder Hannover 96 – aus dem gesamten Bundesgebiet kamen sie angereist. Die Veranstalter sprachen von bis zu 20.000 Anhängern von 38 Vereinen.
Wie viele von ihnen auch am Montagabend noch in Leipzig sind und das WM-Qualifikationsspiel der deutschen Nationalelf gegen die Slowakei (20.45 Uhr/ZDF) besuchen, ist offen. Das Interesse der organisierten Anhänger an der deutschen Eliteauswahl ist ohnehin gering.
Dabei geht es am Montagabend um sehr viel – mit einem Sieg oder einem Remis würde sich das Team von Bundestrainer Julian Nagelsmann für die WM 2026 qualifizieren. Verliert sie, muss sie in die Play-offs, die im März stattfinden.
Als Nagelsmann am Sonntag zur Pressekonferenz im Medienraum der Leipziger Arena erschien, war die so wichtige Partie zu Beginn der Fragerunde aber nicht das einzige Thema. Es ging auch um Karim Adeyemi – und das nicht aus sportlichen Gründen.
Die „Bild“ hatte am Samstag berichtet, dass der 23 Jahre alte Offensivspieler von Borussia Dortmund wegen illegalen Waffenbesitzes zu einer Geldstrafe von 450.000 Euro verurteilt worden sein soll. Die Geldstrafe, berichtete die „Bild“, entspricht 60 Tagessätzen zu je 7500 Euro – und wurde auf Grundlage des Nettoeinkommens des neunmaligen Nationalspielers festgelegt. Polizeibeamte sollen bei Adeyemi auf einen Schlagring sowie ein Elektroimpulsgerät gestoßen sein – beides Gegenstände, deren Erwerb, Besitz und das Führen in Deutschland strafbar sind.
„Rudi (Völler, Sportdirektor des DFB, d. R.) und ich haben mit ihm gesprochen. Ich glaube, ihr seht es mir nach: Es ist eine Thematik, die Raum und Zeit einnimmt, die ich als Trainer vor so einem Spiel gerade nicht habe. Von daher werde ich das nicht weiter kommentieren. Das Thema ist jetzt vor so einem bedeutenden Spiel und für uns alle, auch beim Deutschen Fußball-Bund, zu groß. Das Thema behandeln wir nach dem Spiel“, sagte der Bundestrainer auf Nachfrage. Adeyemi fehlte in Luxemburg gelbgesperrt – gegen die Slowakei wäre er theoretisch wieder spielberechtigt.
Die Adeyemi-Nachricht kam am Wochenende zur Unzeit. Überlagerte sie doch auch das, worauf es für die Spieler am Montagabend ankommt – das Fußballspiel gegen die Slowakei und die damit verbundene Frage, ob es der deutschen Elf gelingt, sich direkt für die WM zu qualifizieren oder ob sie nachsitzen muss?
In Luxemburg siegte sie zwar, doch beim 2:0 gegen den Weltranglisten-97. offenbarte die deutsche Auswahl erneut Schwächen. Entsprechend groß war im Nachgang auch die Kritik. So schrieb der „Spiegel“ etwa: „Mag sein, dass die DFB-Elf zur WM fährt. Aber was will sie da?“. Und die „Süddeutsche“ hielt fest: „Selbst Luxemburg kann diese Mannschaft eine Halbzeit auffressen.“
Die Souveränität, mit der die deutsche Nationalmannschaft einst mal agierte, ist nicht mehr da. Die Mannschaft wirkt in sich nicht gefestigt – und gerät aus dem Gleichgewicht, sobald der Gegner mal Druck macht. In Luxemburg war das insbesondere in den ersten 20 Minuten zu erkennen. Fakt ist dennoch, gegen die Slowaken reicht ein Remis für Platz eins in der Gruppe und die sichere WM-Teilnahme. Das war die wichtigste Ausbeute der Reise nach Luxemburg, denn andere Erkenntnisse machen weniger Hoffnung Richtung WM-Sommer. Der Kader, so muss man es ganz klar sagen, genügt in der derzeitigen Konstellation nicht den höchsten Ansprüchen.
Man habe den Spielern nach der Partie in Luxemburg ein Feedback gegeben und bestimmte Dinge angesprochen, „die für das Spiel gegen die Slowakei wichtig sind“, sagte Nagelsmann am Sonntag. Dabei sei es auch um ganz grundsätzliche Dinge gegangen, wie etwa die Art und Weise, wie man sich als Mannschaft zeigen wolle. „Wir müssen gewinnen und wollen gewinnen“, erklärte der Coach. Wie er in das besondere Spiel gehen werde, wurde Torhüter Oliver Baumann gefragt, der auf der Pressekonferenz neben Nagelsmann saß. „Ich versuche trotz der Wichtigkeit des Spiels so in das Spiel zu gehen, wie ich das sonst auch mache. Es ist ein großes Spiel, ein wichtiges Spiel – klar. Ich möchte der Mannschaft helfen können“, sagte Baumann, der die deutsche Auswahl in Luxemburg mit einigen Glanzparaden vor einem Gegentor bewahrte.
So denn am Montagabend in Leipzig die Qualifikation gelingt, wäre es in der Geschichte des Fußballs die 21. WM-Teilnahme für die deutsche Nationalmannschaft, die nur bei zwei WM-Turnieren fehlte. Der WM 1930 in Uruguay blieb man fern, da der Aufwand und die Reisekosten mit Blick auf die An- und Abreise zu hoch waren. 1950 bei der WM in Brasilien war der nach dem Krieg neu gegründete DFB noch kein Mitglied des Weltverbandes Fifa.
Letztmals eine Ehrenrunde drehen, um bei einer WM dabei sein zu können, musste die DFB-Auswahl vor dem Turnier 2002 in Japan und Südkorea. Rudi Völler, der inzwischen Sportdirektor ist, hieß damals der Teamchef. Weil es am letzten Spieltag in der Qualifikation nur ein 0:0 gegen Finnland gab und England parallel 2:2 gegen Griechenland spielte (David Beckham traf damals in der Nachspielzeit per Freistoß zum Ausgleich) musste Deutschland aufgrund des schlechteren Torverhältnisses in die Play-offs gegen die Ukraine. Nach einem 1:1 in Kiew kam es wenige Tage später zum Showdown in Dortmund.
Nach gerade mal 15 Minuten führte die deutsche Elf nach Toren von Michael Ballack, Oliver Neuville und Marko Rehmer 3:0. Am Ende stand es 4:1 – das WM-Ticket war gebucht.
In einem 2021 geführten Interview, das auf der Homepage von Bayer Leverkusen erschien, hatte Rudi Völler auf die Frage, ob er zurückgetreten wäre, wenn er die WM-Qualifikation nicht geschafft hätte, erzählt, dass er im Vorfeld des Rückspiels zu seinem damaligen Co-Trainer Michael Skibbe Folgendes gesagt habe: „Wenn wir es nicht schaffen, wandere ich nach Australien aus, nach Melbourne oder Sydney. Vielleicht bekommst du ja noch einmal eine Chance, aber mein Name ist dann verbrannt.“ Völler betonte in dem Gespräch, dass er der erste Teamchef oder Trainer gewesen wäre, der sich nicht für eine WM qualifiziert hätte. Er hätte keine Alpträume gehabt oder wäre schweißgebadet aufgewacht, aber er habe einen ungeheuren Druck gespürt.
Wie groß der Druck auch Jahre später noch ist, zeigt ein kleines Detail vom Wochenende. Nach der Rückkehr aus Luxemburg nahm Rudi Völler ohne Spieler, so entschied es der DFB-Sportdirektor selbst, am Samstag einen Charity-Termin wahr. Die DFB-Profis um die herbeigesehnten Rekonvaleszenten Joshua Kimmich und Nico Schlotterbeck sowie Doppeltorschütze Nick Woltemade sollten auf den brisanten Qualifikations-Countdown gegen die Slowakei den Fokus ausschließlich auf den Fußball legen.
Schlotterbeck (Fußverletzung) und Kimmich (Sprunggelenksverletzung) hatten in Luxemburg gefehlt. Schlotterbeck konnte am Montag trainieren und wird gegen die Slowakei spielen. Bei Kimmich wird am Spieltag entschieden. „Ich habe ja schon nach dem Luxemburg-Spiel gesagt, dass ich guter Dinge bin. Er muss ein gutes Gefühl haben. Aber ich gehe davon aus, dass er spielen kann“, sagte Bundestrainer Nagelsmann. Kimmich, so der Coach, habe man Ruhe verordnet. Aber man habe gute Ärzte und gute Physiotherapeuten. „Wer Joshua kennt“, sagte Nagelsmann mit einem Lächeln im Gesicht, „der weiß, dass er ungern nein zu einem Spiel wie diesem sagen kann. Von dem her gehe ich davon aus, dass er spielen kann.“
Lars Gartenschläger ist Fußball-Redakteur. Er berichtet seit 2004 über die Nationalmannschaft, war bei sechs EM- und fünf WM-Turnieren. Zudem schreibt er über DFB- und Bundesliga-Themen. Am Montagabend wird er das Länderspiel live vor Ort verfolgen.
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