Lars Hopp saß in den vergangenen Wochen abends oft auf der Terrasse seines Freundes. Mit Christian Happel kann er stundenlang sprechen. Über Fußball im Allgemeinen und „das Projekt“, wie Hopp es nennt, im Speziellen. Die Beschreibung des „Projekts“: einen kleinen Inselstaat im Südpazifik – rund 15.500 Kilometer von seiner deutschen Heimat entfernt – auf ein brauchbares fußballerisches Niveau bringen. Hopps Rolle: eine Doppelfunktion als Trainer.
Der 49-Jährige ist seit Mitte Oktober nicht nur als erster Deutscher Nationalcoach von Vanuatu. Er ist gleichzeitig auch Cheftrainer des neu gegründeten Vereins Vanuatu United FC, der zum Zugpferd der Professionalisierung eines ganzen Landes werden soll.
Der Kontakt für den exotischen Job kam über Happel zustande. Beide verbindet eine gemeinsame Vergangenheit in Estland. Happel fungierte Ende der 2000er- und Anfang der 2010er-Jahre als Vorstandsmitglied des örtlichen Fußballverbandes. Als er kam, trainierte Hopp gerade die U16-Nationalmannschaft. Aus der gemeinsamen Zeit ist eine Freundschaft gewachsen.
Happel kam einige Wochen vor Hopp in der Südsee an, seit Anfang September ist er Geschäftsführer von Vanuatu United FC. „Christian hat mir von seinem neuen Job erzählt. Es hörte sich spannend an. Irgendwann hat er mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, mit ihm zusammenzuarbeiten. Er hat mich dem Verband vorgeschlagen“, erzählt Hopp WELT AM SONNTAG. Dann habe er einen ganz normalen Bewerbungsprozess durchlaufen müssen: „Ich habe meinen Lebenslauf hingeschickt. Drei Kandidaten wurden zum Videointerview eingeladen. Ich habe letztlich den Zuschlag bekommen.“
Vanuatu hat 67 bewohnte Inseln
Der Verband suchte per öffentlicher Stellenausschreibung. Der Kandidat sollte „mindestens zehn Jahre Erfahrung und Erfolge als Cheftrainer auf nationaler Ebene – einschließlich Jugendmannschaften – und auf Profivereinsniveau“ mitbringen sowie eine mit der Pro-Lizenz des europäischen Verbandes Uefa vergleichbare Qualifikation vorweisen.
Dazu sollten neben fließendem Englisch, einer der drei Amtssprachen in Vanuatu, noch weitere Sprachkenntnisse vorhanden sein. Explizit mit aufgeführt: Deutsch. Alle drei Kriterien treffen auf Hopp zu, der fast zehn Jahre von der U15 bis zur U19 verschiedene Jugendmannschaften Estlands trainierte, danach als Co-Trainer mit dem VfB Lübeck 2022/2023 in die Dritte Liga aufstieg und zuletzt Entwicklungscoach des Weltverbandes Fifa in Usbekistan war.
Dass Hopp jetzt für die Nationalmannschaft und einen Klub arbeitet, liegt an den neu geschaffenen Strukturen im Land. Fußball ist in Vanuatu zwar Volkssport Nummer eins. An ein Profidasein als Fußballspieler war bislang allerdings nicht zu denken. Die besten Spieler kamen zwar von den 67 bewohnten Inseln in die Hauptstadt Port Vila, um in der lokalen Liga, der höchsten des Landes, zu kicken. Nebenbei aber mussten sie arbeiten. Das soll sich nun zumindest für einige ändern.
Vanuatu United FC ist der erste Versuch, einen Profiklub zu etablieren. Er fügt sich in die Bemühungen in ganz Ozeanien ein, international wettbewerbsfähig zu werden. Bislang war das allerhöchstens Neuseeland. Das Land spazierte durch die Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2026, räumte in der Vor-Hopp-Zeit auch Vanuatu mit 8:1 aus dem Weg und erkämpfte den durch die Aufstockung auf 48 Teams erstmals sicheren Platz für einen Starter aus Ozeanien.
Zwischen Antigua & Barbuda und Afghanistan
Weil es diesen lange nicht gab, ist Australien längst nach Asien abgewandert, hat dort zwar größere sportliche Konkurrenz, aber eben auch höhere Chancen, sich für die großen Turniere zu qualifizieren. Neben Neuseeland bleiben also nur noch kleinere Inselstaaten wie Fidschi, Tahiti oder eben Vanuatu. Das Land dümpelt auf Platz 161 von 210 der Fifa-Weltrangliste, zwischen Federgewichten wie Antigua & Barbuda und Afghanistan.
Nun soll eine neue Liga auf Vereinsebene helfen. Die OFC Pro League ist für die Region eine historische Chance. Es ist die erste vollprofessionelle Fußballliga Ozeaniens – und der Wettbewerb, der künftig über eine Qualifikation für die Klub-WM der Fifa entscheidet. „Du merkst in der ganzen Region eine Aufbruchstimmung. Gerade für junge Spieler ist die neue Liga eine grandiose Perspektive. Im eigenen Land professionell Fußball spielen zu können, das gab es vorher nicht“, sagt Hopp. Acht Teams treffen ab Mitte Januar erstmals aufeinander, im Frühsommer wird der Sieger feststehen.
„Das Niveau der neuen Liga ist mit dem einer Regionalliga zu vergleichen, vielleicht sogar mit Ausschlag nach oben. Allein dadurch, dass wir täglich trainieren und einen Staff um das Team herum haben werden, wird das Niveau besser sein, als wenn die Spieler in den heimischen Ligen spielen und nebenbei noch arbeiten“, beschreibt Hopp. Ein sportliches Ziel will er für United aber nicht ausgeben. Nur so viel verrät Hopp: Anfang Dezember will er seinen Kader nominieren. Dann soll es auch mit dem Training losgehen. Zu den Spielen wird aufgrund der Distanzen stets geflogen. Zwei Stunden sind es nach Fidschi, drei Stunden nach Neuseeland.
Profitieren soll von dem neuen Wettbewerb auch die Nationalmannschaft. „Verein und Verband sind sehr eng verzahnt. Ungefähr 80 Prozent der Spieler werden wahrscheinlich in beiden Mannschaften spielen. Der Verband hat daher gesagt, dass es Sinn ergibt, dass beide Mannschaften vom selben Trainer betreut werden. So gibt es keine unterschiedlichen Systeme und keine unnötigen Reibungspunkte“, sagt Hopp.
Die Nationalmannschaft hatte der gebürtige Kieler bislang nur sporadisch beisammen – und auch nur die Spieler, die in Vanuatu leben. Dabei steht ab Dienstag mit dem MSG Prime Minister’s Cup in Papua-Neuguinea schon das erste sportliche Kräftemessen auf dem Plan. Ein kleineres Turnier mit sechs Mannschaften, das vorwiegend dazu dient, jüngere Spieler an die Mannschaft heranzuführen.
Mit seinem Star konnte Hopp bislang nur telefonieren. Kapitän Brian Kaltak ist so etwas wie ein Volksheld. „Von ihm sieht man hier überall Poster. Den Menschen bedeutet es unheimlich viel, dass es einer von ihnen nach Australien geschafft hat“, sagt Hopp. Kaltak spielt in der A-League bei Perth Glory, das Portal Transfermarkt.de gibt seinen Marktwert mit 450.000 Euro an. Es ist der mit Abstand höchste jener fünf Spieler, die überhaupt nur mit einem Marktwert ausgewiesen sind. „Er ist ein toller Typ, der seine Rolle auch als Botschafter seines Landes und als Möglichmacher für die nächste Generation sieht“, so Hopp über Kaltak.
Um noch mehr Spieler nach Australien oder sonst wo in die große Fußballwelt durchzubringen, steht noch viel Arbeit an, das weiß auch Hopp. Regelmäßiges Training und internationaler Wettbewerb sind ein guter Anfang. Es braucht aber auch das Drumherum, das aktuell wohl kaum Profiniveau hat. In der Stellenausschreibung, die Hopp letztlich in die Südsee führte, wies Vanuatus Verband explizit auf die „limitierte Infrastruktur“ hin.
„Gute Fußballplätze sind wirklich sehr rar gesät“
Kurzfristig sieht Hopp den wohl größten Bedarf bei den Stadien und Sportplätzen. „Vanuatu ist kein reiches Land, und gute Fußballplätze sind wirklich sehr rar gesät. Aber das macht das Projekt auch so spannend. Man kann genau diese Dinge voranbringen – und zwar mit richtig großen Schritten, aber mit einfachen Mitteln. Es gibt die einmalige Chance, Dinge wie die Platzpflege auf ein gutes Niveau zu bringen“, sagt Hopp. Das Geld dafür kommt, zumindest für Projekte von Vanuatu United, auch von der Regierung. Diese ist mit 49 Prozent am Verein beteiligt, die anderen 51 Prozent liegen beim Verband.
Hopp selbst, das stellte er öffentlich schon klar, werde mit dem Job in Vanuatu nicht reich. Aber darum geht es ihm auch gar nicht. Er spricht mit großer Euphorie davon, von Grund auf etwas Neues schaffen zu dürfen. Und die Vorzüge eines Landes direkt am Meer und mit tropischen Temperaturen von dauerhaft über 20 Grad nehmen der Aufgabe sicher auch nicht ihren Reiz.
Seine Familie soll davon ab Weihnachten etwas haben. Dann, so der Plan, soll sie nachkommen. Hopps Priorität lag daher in den ersten Wochen neben dem Kennenlernen vieler Verantwortlicher und dem Anschauen einiger lokaler Fußballspiele auch darauf, ein Haus zu finden. „Wir haben als Familie länger gesprochen und waren begeistert von der Idee, direkt am Wasser zu wohnen“, sagt er.
Das Abenteuer in der Südsee solle sich gerade für seine beiden acht und zehn Jahre alten Söhne auch ein bisschen nach Urlaub anfühlen, wenngleich sich Hopp explizit in seinen Vertrag schreiben ließ, dass die beiden eine internationale Schule besuchen können. Mittlerweile ist Hopp fündig geworden: Die Familie darf sich auf Meerblick freuen, eine Treppe führt in zwei Minuten zum Strand.
Für die Wohngemeinschaft mit seinem Freund Christian Happel, bei dem Hopp bislang unterkam, bedeutet dies das Ende. Auch die Abende auf der Terrasse dürften seltener werden. Im Verein aber haben beide oft genug miteinander zu tun. Das Abenteuer Vanuatu hat gerade erst begonnen.
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