Die NFL ist zu Gast in Berlin und liefert eine große Show: Das Spiel zwischen den Indianapolis Colts und den Atlanta Falcons wird als Reminiszenz an die einst geteilte Stadt inszeniert. Sportlich schreibt ein Topstar in dem Krimi eine eigene große Geschichte.
Als am 9. November 1989 Günter Schabowski die neuen DDR-Reiseregelungen um 18:53 Uhr ankündigte und auf Nachfrage die sofortige Gültigkeit bestätigte, dachte natürlich niemand an ein NFL-Spiel in Berlin. Doch genau 36 Jahre später tobt die schillernde Football-Liga aus den USA durch das Berliner Olympiastadion - und bietet den 72.203 Zuschauern ein buntes Paket aus Emotionen und Kitsch in Erinnerung an den Mauerfall.
Das sogenannte Berlin-Game entpuppt sich als ein wahrer US-Krimi, den die Indianapolis Colts nach Verlängerung mit 31:25 gegen die Atlanta Falcons gewinnen. Die Colts sind mit acht Siegen bei nur zwei Niederlagen weiterhin eines der besten Teams der NFL und dürften dank des auch an diesem Abend überragenden Runningbacks Jonathan Taylor, dem schier unfassbare 244 Yards und drei Touchdowns gelingen, darunter ein Lauf des Wahnsinns über 83 Yards, von der ersten Super-Bowl-Teilnahme seit 2009 träumen.
"Phänomenale Atmosphäre"
"Es war ziemlich laut, ihr Deutschen liebt es zu singen", sagt Colts-Chefcoach Shane Steichen nach dem Spiel. "Die Atmosphäre war phänomenal." Der österreichische Colts-Profi Bernhard Raimann fügt bei RTL hinzu: "Unglaubliche Atmosphäre, man kann es gar nicht beschreiben. Wir sind extrem dankbar, hier zu sein, das können wir öfter machen."
"Tonight is more than a game", schallt es vor der Partie aus den Lautsprechern. Es geht um mehr als ein NFL-Spiel. Denn dies hier, so zumindest die PR der Organisatoren, ist eine Hommage an die Wiedervereinigung der einst geteilten Stadt. Eine Feier der Freiheit. Der Verbrüderung der USA und Deutschland.
Auf den Videoleinwänden laufen die Szenen, wie Berliner vor 36 Jahren auf und über die Berliner Mauer kletterten und wie die USA Seite an Seite mit West-Berlin standen. "Wind of Change", der Hit der Wiedervereinigung, trägt den Wind der Freiheit durchs Rund. Allerdings singen ihn hier nicht die Scorpions, sondern Malik Harris, der für Deutschland beim European Song Contest 2022 den letzten Platz erreichte. Nun ja.
Auch Nena mit "99 Luftballons" darf nicht fehlen, bevor eine überdimensionale US- und Deutschlandfahnen auf dem Spielfeld ausgerollt werden und den grauen Berliner Nachmittagshimmel zunächst blau-weiß-rote und dann schwarz-rot-goldene Farbexplosionen zieren. Natürlich, so die Lautsprecher-Ansage, verbindet auch der Football. Gefühlt kommt gleich noch John F. Kennedy um die Ecke und verkündet nicht nur, dass er ein Berliner, sondern auch ein NFL-Fan ist.
Eine Menge Glitzer
Ein bisschen viel von allem für den deutschen Otto-Normal-Fan? Wer eine Eintrittskarte für die NFL kauft, der erwirbt eben nicht nur ein Ticket für ein Football-Spiel, sondern auch für eine Menge Glitzer, Krach und Kitsch. Genau das ist das schillernde Entertainment-Paket der NFL, das die US-Amerikaner besser als jedes andere Land auf dem Planeten schnüren können und das nun mit großem Pomp und vielen Millionen US-Dollars in etliche Ecken der Erde hinausgetragen wird. Berlin ist die dritte deutsche Station nach München und Frankfurt, der deutsche Markt gilt als wichtigster und am schnellsten wachsender der NFL außerhalb von den USA.
Football gespielt wird dann aber auch noch. Und nicht zu knapp. Indianapolis zeigt von Beginn an, warum es eine der besten Offensiven der Liga besitzt und mit einer Bilanz von sieben Siegen und nur zwei Pleiten überraschend zu den diesjährigen Top-Teams zählt. Immer wieder marschieren Quarterback Daniel Jones, der sich vor dieser Saison noch bei keinem Team hatte durchsetzen können, und Runningback-Sensation Taylor in Windeseile fast über das gesamte Feld.
Und so schlagen die Colts in Berlin auch als erste zu. Nach einem Ballverlust der Falcons tief in der eigenen Hälfte benötigt Indy nur zwei Spielzüge und dann stellt Taylor mit einem kurzen Lauf auf 6:0. Der Extrapunkt geht allerdings daneben.
"I like it loud"
Dann reicht es der NFL auch direkt wieder mit dem Sport. Entertainment muss schleunigst her. Deshalb tritt in einer kleinen Pause plötzlich Scooters HP Baxxter am Spielfeldrand auf. "Döp dö dööp, Maria Maria, I like it loud", Das Stadion flippt erstmals richtig aus, lauter wird es an diesem Abend nicht mehr. Selbst US-Presseleute tanzen neben dem Rasen im Takt mit
Nun dürfen auch die Falcons, die zuvor erst drei Spiele gewonnen hatten, ihre Offensivkünste zeigen. Innerhalb weniger Minuten legen Quarterback Michael Penix und Co. 81 Yards in nur fünf Spielzügen zurück und gehen mit ihrem ersten Touchdown mit 7:6 in Führung. Es geht zu diesem Zeitpunkt hin und her im Olympiastadion. Im Gegenzug zeigt Taylor einen seiner gefürchteten Monsterläufe und nach einer 37-Yards-Rakete von Daniel Jones auf Alec Pierce holt sich Indy, das mehr Ballbesitz und Yards gesammelt hat, die Führung zurück.
Jones leistet sich allerdings auch eine Interception und in die Halbzeit geht es mit einer überraschenden 14:13-Führung für den Underdog aus Atlanta, weil Penix mit einem tollen Lob-Wurf Drake London findet. Der Halbzeit-Künstler Kid LAROI aus Australien geht auf dem Marathon-Tor unter, die Zuschauerinnen und Zuschauer trällern lieber den DFB-Elf-Song "Major Tom" von Peter Schilling.
In der zweiten Halbzeit entwickelt sich eine Abwehrschlacht, die zu den immer kälteren Hauptstadt-Temperaturen passt. Immer wieder unterlaufen beiden Offensiven Fehler, immer wieder trumpfen die auf einmal schier unknackbaren Defensiven auf. Lediglich Atlanta gelingt ein Field Goal, während Indy überhaupt keine Punkte im drittel Viertel erzielt.
Der Lauf des Wahnsinns
Immerhin: Mit nur noch neun Minuten auf der Uhr erzielen die Colts ihre ersten Punkte in der zweiten Halbzeit. Per Field Goal robben sie sich an Atlanta heran, es steht 13:17. Zum Glück fungiert der Alltime-Klassiker "Country Roads" als nächste Entertainment-Pause. Die Fans feiern sich selbst, weil auf dem Rasen nicht viel passiert.
Dann aber explodiert das Grün förmlich. Und natürlich ist es Jonathan Taylor, der für das absolute Highlight des Abends, zum Lauf des Wahnsinns, ansetzt. 83 Yards legt er zurück, fast das gesamte Football-Feld. Es ist der längste Run seiner Karriere. Der 26-Jährige tankt sich an der linken Seite durch, scheint an der Mittellinie schon gestoppt zu sein, aber durchbricht mehrere Tackles und spurtet unaufhaltsam in die Endzone. 22:17 für die Colts.
Taylor schreibt Colts-Geschichte
Taylor schreibt in der historischen Stadt Berlin direkt mal Geschichte und hat nun die meisten Touchdowns in der Historie des Klubs erlaufen. Nicht umsonst gilt der Runningback als MVP-Kandidat für den besten Spieler der Saison. Wenn er so weitermacht, wird es nur schwer werden, an ihm vorbeizukommen.
Auf einmal ist wieder richtig Feuer drin im Olympiastadion. Das Drama nimmt seinen Lauf, es entwickelt ein wahrer US-Thriller in Berlin. Und dafür reicht der Sport vollkommen aus. Die Falcons kämpfen sich noch einmal methodisch bis an die 1-Yard-Linie. Noch knapp zwei Minuten sind auf der Uhr, als Tyler Allgeier mit einem kurzen Stampflauf zum Touchdown den Falcons die Führung zurückholt. Auch die 2-Point-Conversion gelingt, es steht 25:22. Doch tatsächlich schlagen die Colts noch ein weiteres Mal zurück, auch weil ein vierter Versuch, diese hatten bis zu diesem Zeitpunkt am gesamten Abend überhaupt nicht funktioniert, endlich gelingt.
Weil auch das anschließende Field Goal von Kicker Mike Badgley, der bereits zweimal verschossen hatte im Olympiastadion, sitzt, geht es mit 25:25 in die Verlängerung. Dort hält zunächst die Colts-Defensive stand und bei eigenem Ballbesitz sind es abermals die genialen Läufe Taylors, die Indianapolis zum Touchdown - und mit der allerletzten Aktion zum 31:25-Sieg tragen.
Es ist 18.50 Uhr. Drei Minuten später vor 36 Jahren begann der Mauerfall. Im Olympiastadion beginnt der große Jubel der Colts.
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