Sein lichtes Haar schimmert feucht. Kleine Schweißperlen rinnen über seine hohe Stirn. Er komme gerade aus dem Fitnessstudio, erklärt Chuck Wepner sein „etwas aufgewühltes Aussehen“. Es ist 22 Uhr in Bayonne im US-Bundesstaat New Jersey, wo der frühere Profiboxer mit Blick auf die Newark Bay und das Football-Stadion seiner Highschool seit vier Jahrzehnten in einer modern eingerichteten Vierzimmer-Wohnung lebt. Pünktlich auf die Minute meldet sich Wepner zum Video-Interview. Er trägt ein dunkles Sweatshirt. Linda, 77, mit der er seit 32 Jahren verheiratet ist, sitzt neben ihm im Wohnzimmer. Ihr Mann ist hellwach, redet viel, macht Witze. Erstaunlich, wie geistig rege der 86-Jährige ist.

Die meisten seiner einstigen Boxkollegen sind längst gestorben oder aber hätten heute „matschige Köpfe“, sagt Wepner. Dabei musste auch der „Bayonne Bleeder“, wie sein Spitzname vermuten lässt, bei seinen Kämpfen in 14 aktiven Jahren als Boxer mächtig einstecken. Zumeist verließ er den Ring blutüberströmt und mit gebrochener Nase.

Seine Wunden im Gesicht wurden häufig genäht. So wie am 24. März 1975 nach dem Titelkampf gegen Muhammad Ali. Als krasser Außenseiter hatte der seinerzeit 36-Jährige im Richfield Coliseum von Ohio den Weltmeister in der neunten Runde zu Boden geschickt, musste sich aber in der Schlussrunde dessen Überlegenheit beugen. Wegen seines Heldenmuts wurde Wepner trotz Niederlage wie ein Champion gefeiert.

Und er brachte Sylvester Stallone auf die Idee, das Drehbuch für seinen ersten „Rocky“-Film zu schreiben, in dem der damals arbeitslose Regisseur und Schauspieler auch die Hauptrolle selbst spielte. Am Montag ist es ein halbes Jahrhundert her, dass es für den mit drei Oscars gekrönten Kinohit den Auslöser gab.

WELT AM SONNTAG: Mr. Wepner, wenn Sie anlässlich des 50. Jahrestags Ihres Kampfs gegen Ali einen Wunsch frei hätten, welcher wäre das?

Chuck Wepner: (überlegt einen Moment) Oh Mann, es wäre das Nonplusultra, wenn Ali auferstehen würde und wir uns zusammen den Kampf anschauen könnten. Wir hätten gewiss viel Spaß, wobei ich gespannt wäre auf seine genialen Sprüche, die er immer parat hatte. Ich liebte ihn, er besaß einen bewundernswerten Charakter. Für mich ist er der Allergrößte, auch wenn er mich extrem verprügelt hat.

WELT AM SONNTAG: Werden Sie sich den alten Kampf trotzdem noch einmal ansehen?

Wepner: Meine Frau und ich werden den kommenden Montag auf unsere Weise feiern. Erst schauen wir uns den Kampf an, auch wenn meine Frau wieder leiden wird. Danach gehen wir in ein nobles Restaurant, und ich werde dabei Dankesgrüße an Ali schicken. Dieser Kampf gegen ihn prägte mein verrücktes Leben wie nichts anderes. Ich erlangte dadurch eine Berühmtheit, von der ich niemals gewagt hatte zu träumen. Dass es überhaupt zu diesem Kampf kam, glich schon einem Wunder.

WELT AM SONNTAG: Warum?

Wepner: Weil ich niemals damit gerechnet habe, dass Alis Promoter Don King mich als Gegner auswählen würde. Nun gut, ich hatte einige Jahre zuvor gegen George Foreman und Sonny Liston geboxt. Aber auch gegen diese beiden war ich chancenlos, kam nicht über die Runden.

WELT AM SONNTAG: Ex-Weltmeister Liston, der drei Monate nach Ihrem Kampf starb, verprügelte Sie derart, dass der Chirurg über vier Stunden brauchte, um Ihre Wunden an Augen und Wangen zu nähen. Durch diesen Blutkampf bekamen Sie auch Ihren Spitznamen „The Bayonne Bleeder“.

Wepner: Den ich nicht mochte. Ein Journalist der regionalen Presse saß damals neben Ringarzt Ferrar, der einen weißen Anzug trug. Jedes Mal, wenn Liston mich traf, spritzte Blut auf seine Kleidung. Auch viele Zuschauer waren blutverschmiert, woraufhin der Journalist zum Doktor sagte: „Oh je, überall ist Blut, der Typ ist der Bayonne Bleeder“. Der Name blieb dann hängen. Aber noch einmal zurück zum Ali-Kampf.

WELT AM SONNTAG: Bitte.

Wepner: Es war die goldene Ära des Schwergewichtsboxens, die von schwarzen Fightern dominiert wurde. Mein Glück war, dass ich ein Weißer war, woraufhin Don King auf den Gedanken kam, Alis erste Titelverteidigung nach dem K.-o.-Sieg gegen Foreman unter dem Motto zu promoten: „Gib dem Weißen eine Chance“. Wissen Sie, wie ich davon erfuhr, dass ich der Auserwählte bin?

WELT AM SONNTAG: Erzählen Sie.

Wepner: Ich saß zu Hause vor dem Fernseher, um meine Lieblingsserie „Kojak“ mit Telly Savalas anzuschauen, als meine Mutter anrief. Meine erste Reaktion war: „Mama, ich hab Dir doch gesagt, störe mich nie, wenn ich ,Kojak‘ sehe.“ Doch dann fragte sie mich, ob ich die Schlagzeile in unserer Zeitung gelesen hätte, dass Ali seinen Titel gegen mich verteidigen würde. Davon wusste ich nichts. Am nächsten Morgen, nach einer schlaflosen Nacht, erreichte ich meinen Manager, der mir sagte: ‚Pack Deine Sachen, Du fährst in die Catskill Mountains ins Trainingscamp, um Dich auf Ali vorzubereiten.‘

WELT AM SONNTAG: Was Sie auch taten?

Wepner: Sofort. Es war das erste und einzige Mal, dass ich mich von meinem Hauptjob als Spirituosenverkäufer beurlauben ließ. Denn bis zu dem Zeitpunkt konnte ich vom Boxen allein nicht leben. Auf den Kampf gegen Ali habe ich mich erstmals wie ein echter Boxprofi vorbereitet. Und das sehr ernsthaft.

WELT AM SONNTAG: Hieß das auch, Sie hielten sich an das alte Sprichwort, dass Boxer vor einem Kampf keinen Sex haben?

Wepner: Ich war wahrlich kein Kostverächter, hatte eine Million Frauen. (lacht) Doch in diesem Fall verzichtete ich auch darauf. Ich war einzig auf den Kampf fixiert und wollte mein Bestes geben. Sie glauben nicht, wie ich mich damals gefühlt habe, obwohl für jeden klar war, dass ich für Ali nur Kanonenfutter sein würde. Egal, dafür bekam ich mit 100.000 Dollar aber auch die höchste Börse meiner Karriere.

WELT AM SONNTAG: Ali kassierte 1,5 Millionen Dollar. Hatten Sie keine Bedenken, auch von ihm so zugerichtet zu werden wie von Liston?

Wepner: Angst kannte ich nicht. Bei den Marines war ich in der brutalsten Einheit, der „Crash Crew“, ich rettete Piloten aus abgestürzten Flugzeugen. Wo ich aufwuchs, gab es immer Gangs, und man musste den härtesten Kerl verprügeln, um zu überleben. Das tat ich. Ich war unbesiegt in Kneipen, auf Toiletten und in Gassen. Ich war auch bereit, im Ring zu sterben. Ein bisschen Nervosität spürte ich vor dem Ali-Kampf aber schon, weil ich mir unsicher war, wie gut ich mich verkaufen würde. Immerhin saßen 15.000 Zuschauer in der Arena und über 60 Millionen Menschen vor den Bildschirmen.

WELT AM SONNTAG: Die in der neunten Runde Ihre acht ruhmreichsten Sekunden als Faustkämpfer erlebten. Wie nahmen Sie den Moment wahr, als Sie Ali mit Ihrer Rechten unterhalb des Herzens trafen und er zu Boden ging, ehe er nach dem Anzählen bei Acht wieder auf den Beinen stand?

Wepner: Ich ging euphorisch in meine Ecke und sagte zu meinem Manager Al Braverman: „Al, starte das Auto. Wir fahren zur Bank. Wir sind Millionäre.“ Woraufhin Al antwortete: „Du drehst Dich besser um. Ali ist aufgestanden und sieht wütend aus.“

WELT AM SONNTAG: 19 Sekunden vor Ende der 15. Runde beendete der Ringrichter den von Ali eindeutig dominierten Kampf. Haben Sie das überhaupt noch mitbekommen?

Wepner: Im tiefen Unterbewusstsein schon. Ich war restlos erschöpft, Ali hatte mich fast bewusstlos geschlagen.

WELT AM SONNTAG: Sylvester Stallone sagte später über Ihren ikonischen Augenblick: „Es war wie ein Blitzschlag eines griechischen Gottes, und fast unmittelbar wurde Wepner zum Publikumsliebling. Plötzlich verwandelte er sich von einem Witzbold in jemanden, mit dem sich alle Zuschauer identifizieren konnten – weil alle dachten: ‚Ja, das würde ich auch gerne machen! Ich möchte das Unmögliche schaffen, und sei es nur für einen Moment, und dafür Anerkennung bekommen – und das Publikum jubeln lassen.“

Wepner: Treffender hätte er jenen Moment nicht beschreiben können. Deshalb verwundert es nicht, dass er in Anlehnung an meinen Kampf ein bahnbrechendes Drehbuch schrieb und mit der Selbstdarstellung als Rocky Balboa nur ein Jahr später zum Star in Hollywood aufstieg.

WELT AM SONNTAG: Freunde sind Sie und Stallone nie geworden. 2003 verklagten Sie ihn auf 15 Millionen Dollar, weil er Ihre Geschichte als Inspiration für seine „Rocky“-Filme nutze und sie mit Ihrem Namen bewarb, ohne Sie gefragt zu haben. Nach drei Jahren einigten Sie sich. Wie viel zahlte er Ihnen?

Wepner: Das darf ich auch heute noch nicht preisgeben.

WELT AM SONNTAG: Möglicherweise offenbart er die Summe in seiner im Oktober erscheinenden Biografie. Werden Sie diese lesen?

Wepner: Nein. Das interessiert mich alles nicht mehr. Ich wurde auch gefragt, ob ich mich für die Biografie interviewen ließe. Ich lehnte ab. Ich finde, Stallone macht ziemlich gute Action-Filme, doch für mich ist die Geschichte mit ihm abgeschlossen. Über mich gibt es inzwischen ja auch diverse Filme und Dokumentationen, wie „The Brawler“, „The Bleeder“ oder „The Real Rocky“. In meiner Wohnnähe wurde vor zwei Jahren eine 2,13 Meter hohe Bronzestatue von mir enthüllt, im Stadtzentrum ist mein Konterfei über drei Stockwerke an einer Häuserwand verewigt. Wenn ich morgen tot umfalle, ist das okay, verpasst habe ich nichts. Ich bin sehr zufrieden mit meinem Leben.

WELT AM SONNTAG: Gilt das auch für die Wahl von Donald Trump als US-Präsident? Stallone verglich ihn mit seinem Helden Rocky Balboa und Jesus. Trump wiederum ernannte Stallone neben Mel Gibson und Jon Voight zu Sonderbotschaftern der Filmbranche. Trump wiederum ernannte Stallone neben Mel Gibson und Jon Voight zu Sonderbotschaftern von Hollywood. Sie sollen ihm dabei helfen, „Hollywood wieder größer, besser und stärker zu machen, als es jemals zuvor war“.

Wepner: Ich bin seit jeher Demokrat, habe aber jetzt zum ersten Mal die Republikaner gewählt, bin jetzt also ein Demokrat für Donald Trump – wie viele andere Demokraten auch. Ich kenne ihn seit über 50 Jahren, war dreimal in seiner Residenz in Jersey Shore. Ich bin mir sicher, er wird gute Arbeit leisten, jedenfalls viel besser als sein Vorgänger Joe Biden, den ich auch persönlich gut kenne. Joe ist ein netter Kerl, aber den Job als Präsident hätte er niemals annehmen dürfen. Er war vollkommen überfordert, hatte aber auch keine guten Berater. Er ist senil, zu alt, zu klapprig, es war unwürdig, wie er unser geliebtes Amerika als Staatschef regiert und repräsentiert hat.

WELT AM SONNTAG: Und Sie glauben wirklich, Trump in seiner zumeist radikalen, undiplomatischen, egozentrischen Art kann das besser?

Wepner: Ja, davon bin ich überzeugt. Leider gibt es derzeit bei den Demokraten niemanden, dem ich zutrauen würde, die notwendigen politischen Veränderungen konsequent durchzuziehen. Trump ist ein tougher, mutiger Typ, ist vital. Er macht Politik in der Form, wie er seine Unternehmen führt, durch die er reich und berühmt wurde. Die anderen in der Politik reden nur viel, tun aber wenig. Die Deals, die Trump macht, sind kompromisslos. Die schmecken vielen nicht und tun manch einem auch sehr weh. Doch unserem Land werden sie helfen. Wir sind nun mal das großartigste Land der Welt. Dürfte ich Sie auch etwas fragen?

WELT AM SONNTAG: Fragen Sie.

Wepner: Wissen Sie eigentlich, dass bislang keiner von den 50 Herausforderern, die gegen Ali als Profi geboxt haben, so alt geworden ist wie ich?

WELT AM SONNTAG: Sorry Mr. Wepner, Sie irren. Der Kanadier George Chuvalo, den Ali zweimal besiegte, lebt noch, er ist 87 Jahre alt.

Wepner: Ich hörte, er sei gestorben.

WELT AM SONNTAG: Chuvalo wohnt in Toronto in einem Altenheim, leidet an fortgeschrittener Demenz und kann nicht einmal seine engsten Familienmitglieder und Freunde wiedererkennen.

Wepner: Oh Jesus, das hört sich ja schrecklich an. Ich bete für ihn und danke Gott, dass ich nach all den Turbulenzen in meinem Leben mental und körperlich noch so fit bin und noch immer als Spirituosenverkäufer arbeiten kann.

Zur Person

Kurz nach seiner Geburt am 26. Februar 1939 in New York zogen die Eltern mit ihm auf die andere Seite des Hudson Rivers nach Bayonne. Dort lebt der Spirituosenverkäufer noch heute. Auf der Straße und als Türsteher lernte der große, schlaksige Junge beizeiten sich zu behaupten. Als 17-Jähriger begann er bei der US-Marine mit dem Boxen. Acht Jahre später folgte sein Profidebüt im Schwergewicht. Von 52 Kämpfen gewann er 36. Mit vier Weltmeistern stand er im Ring, wobei das verlorene Duell gegen Muhammad Ali großes Aufsehen erregte. Sylvester Stallone diente es als Inspiration für seine Rocky-Filme. Nach der Boxkarriere saß er wegen Kokainbesitzes 37 Monate im Gefängnis. Er ist in dritter Ehe verheiratet, hat vier Kinder.

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