Das San Siro hat schon viele Fußball-Schlachten gesehen. Nun geht es um die eigene Zukunft. Noch ist unklar, was aus dem legendären Stadion in Mailand wird.

Manche Orte auf der Welt brauchen keine große Erklärung, sie strahlen einfach eine besondere Aura aus. Besonders Italien, in dem sich zahlreiche Ruinen aus dem Römischen Reich befinden, kennt sich mit Bauwerken aus, die viel erzählen, ohne dass sie selbst sprechen können. Im Norden Mailands steht eines dieser Bauwerke. Nicht die Römer haben es errichtet, erbaut wurde es erst 1926: das legendäre Guiseppe-Meazza-Stadion oder auch einfach nach dem Stadtteil, San Siro, genannt.

Wenn man sich darauf zubewegt, die Tram mit der Nummer 16 an der Endhaltestelle verlässt, da sticht dieses imposante Bauwerk aus der Ferne hervor: die brachialen, grauen Aufstiegstürme, die sich wie Korkenzieher in den Himmel schrauben, auf ihnen thront die markante rote Dachkonstruktion. Dieses Ungetüm aus Stahl und Beton ist wahrlich nicht schön. Und doch kann es fußballbegeisterten Menschen beim ersten Besuch die Sprache verschlagen. So sehr schwingen die Geschichte des Fußballs und seine Faszination mit. Nicht nur für Italien ist es ein Sehnsuchtsort, sondern auch für deutsche Fans.

Es ist der Ort, an dem der FC Bayern sein Champions-League-Trauma von 1999 bewältigte und zwei Jahre später die Königsklasse gewann. Weil Oliver Kahn im Elfmeterschießen gegen den FC Valencia gleich drei Elfmeter hielt. Es ist der Ort, an dem sich der FC Schalke 04 endgültig in seine Eurofighter verliebte. Weil Mike Büskens und Co. vor fast 30 Jahren dort den UEFA-Cup gewannen. Und es ist der Ort, an dem sich die DFB-Elf 1990 erst mit einem fulminanten 4:1 gegen die Sowjetunion zur WM-Titelreise aufmachte und Rudi Völler später von Frank Rijkaard angespuckt wurde.

Ein Opernhaus für den Fußball

Und vor allem ist es ein Ort, an dem Fußball magisch sein kann. Im Nations-League-Viertelfinale zwischen Italien und der DFB-Elf ist das San Siro bei weitem nicht ausverkauft, deutlich weniger als die möglichen 75.000 Menschen sind da. Dennoch lässt sich erahnen, welche Energie in den alten Gemäuern schlummert. Während der ersten Hälfte beginnen ein paar Jugendmannschaften, im Oberrang auf ihren Plätzen rhythmisch zu hopsen. Die Schwingungen breiten sich aus und sind auf der Pressetribüne, einige Blöcke weiter, zu spüren.

Deutschland hat das Westfalenstadion. England hat das "Theater der Träume", das Old Trafford in Manchester, Italien hat das "Opernhaus des Fußballs", das San Siro. Und so, wie Manchester United kürzlich Entwürfe vorgestellt hat, das in die Jahre gekommene Stadion zu ersetzen, gibt es diese Überlegungen auch in Italien. Verschiedene Pläne liegen in den Schubladen aller Beteiligten. Vor fünf Jahren hatten Bürokraten noch vor, es abzureißen, weil das Stadion kein kulturelles Interesse verkörpere. Die Denkmalschutz-Behörde der Region Lombardei kassierte das später und urteilte, dass das Stadion doch ein architektonisches Kulturerbe ist.

Irgendetwas, das ist klar, muss aber mit dem San Siro passieren. Um weiter als Fußballstadion zu funktionieren, bräuchte es ein eigenes Sondervermögen Infrastruktur. Denn der Verfall macht sich an jeder Ecke bemerkbar. Teile des obersten Ranges schwingen zu sehr mit und sind mittlerweile gesperrt worden. Auf dem Vorplatz, auf dem sich Eltern und Kinder, Freunde und Fremde zwischen den zahlreichen Imbiss-Wagen auf die Spiele freuen, wo laute Musik läuft, wo Schals verkauft werden, da ist der Asphalt schon längst an vielen Stellen aufgeplatzt und notdürftig geflickt worden. Der Toilettenbesuch kann zur Zeitreise in die Vergangenheit werden. Barrierefreiheit ist ein Fremdwort. Eigentlich sollte das San Siro das Champions-League-Finale 2027 beheimaten, wegen Sicherheitsbedenken entzog die UEFA das Endspiel wieder und schrieb es neu aus.

Endet eine fast hundertjährige Tradition?

Für Romantiker ist das San Siro trotz all seiner Mängel ein Gegenentwurf zu der auf Effektivität getrimmten Fußballwelt. Auf der Pressetribüne kann fast jede und jeder eine eigene Geschichte erzählen. Die viel zu kleinen Aufzüge im Inneren des Stadions haben mittlerweile ein Eigenleben entwickelt. Mal kommen sie, mal nicht. Über die verschiedenen hohen Stufen kann man schon mal stolpern. In kleinen Kiosken verkaufen Menschen überwiegend analog noch Getränke und belegte Paninis, während in den modernen Fußballtempeln teilweise nur noch Bezahlkarten akzeptiert werden.

In irgendeiner Form soll dieser Ort erhalten bleiben. Zu viele Schlachten trugen die beiden Heimmannschaften aus, die sich das Stadion seit fast 90 Jahren teilen. Die Nordtribüne gehört den Inter-Fans, der Süden denen von AC. Zweimal im Jahr brennt dann die ganze Stadt, wenn im San Siro das "Derby della Madonnina" ausgespielt wird. Das Derby der Madonna, benannt nach der vergoldeten Statue auf dem Mailänder Dom. Immer wieder aufs Neue sorgen beide Klubs für ikonische Bilder, etwa als sie 2005 im Viertelfinale der Champions League gegeneinander spielten und die in den Farben getrennten Marco Matterazzi und Rui Costa die Pyrofakeln begutachteten, die auf das Feld geschleudert wurden.

Nur müssen sie wieder die Köpfe zusammenstecken: Was wird aus dem Opernhaus des Fußballs? Die Modernisierung scheint zu teuer. Deshalb stehen nur noch zwei Möglichkeiten im Raum. Entweder: eine Hightech-Arena, direkt neben den alten Mauern. Ein alter Parkplatz ist dafür schon in Brachland verwandelt worden. Oder: Die Wege der beiden großen Mailänder Klubs trennen sich nach fast 90 Jahren. Und beide spielen nicht mehr im San Siro.

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