Wohl kaum jemand hat das Motto vom Fallen und Aufstehen in diesem Jahr so mit Leben gefüllt wie Leichtathletin Gesa Krause – im wörtlich sowie im übertragenen Sinne. Nachdem die Hessin 2024 nur ein gutes Jahr nach der Geburt ihrer Tochter Luna mit Platz zwei bei den Europameisterschaften über 3000 Meter Hindernis erfolgreich in den Spitzensport zurückgekehrt war – auch wenn das Olympia-Finale danach mit Rang 14 anders lief, als erhofft –, war 2025 ein Auf und Ab.

Bei einem Meeting im Juni in Oslo stolpert sie, prallt gegen ein Hindernis und muss unter Schmerzen aufgeben – Rippenprellung. Kurz danach läuft sie dennoch die WM-Norm. Wenig später aber muss sie erneut ein Rennen aufgeben, und es stellt sich heraus: Die Prellung ist ein Bruch.

Trotzdem schafft es die zweimalige WM-Dritte im September ins WM-Finale von Tokio – stürzt jedoch am Wassergraben, rappelt sich auf und wird noch Siebte. Langweilig war die Saison für Krause jedenfalls nicht. Und sie geht in die Verlängerung: Die 33-Jährige gibt am 7. Dezember in Valencia ihre Marathon-Premiere.

WELT: Frau Krause, Ihre Saison war sehr aufreibend – jetzt noch das Marathon-Debüt. Sie haben also noch längst nicht genug der Aufregung?

Gesa Krause: Ursprünglich hatte ich mir alles ein bisschen anders vorgestellt und grundsätzlich etwas weniger nervenaufreibend, das muss ich schon sagen. Aber es ist im Leben nicht alles planbar, gerade auch im Sport nicht. Und dann muss man die Dinge annehmen, wie sie kommen. Klar könnte ich sagen, mir reicht es jetzt erst mal – Saisonpause! Ich lasse Valencia sein und erhole mich erst mal von den Strapazen, aber ich hatte für mich fest im Kopf verankert, dass ich nach dieser Bahn-Saison mein Marathon-Debüt geben möchte. Das ist keine Entscheidung, die salopp nach der Saison gefallen ist.

WELT: Wann ist diese Entscheidung denn gefallen?

Krause: Sie ist wirklich über einen längeren Zeitraum gewachsen und musste natürlich auch geplant werden. Deshalb wollte ich mich jetzt auch nicht umentscheiden, sondern freue mich auf diese Herausforderung – auch wenn es nach so einer Sommersaison nicht immer super einfach ist, sich gleich neu zu fokussieren und trainingstechnisch weiterzumachen. Aber es ist eine spannende Herausforderung und deshalb bin ich auch guten Mutes, will mein Bestes geben und freue mich darauf.

WELT: Sie haben dem Motto vom Fallen und Aufstehen und Nicht-Aufgeben in diesem Jahr alle Ehre erwiesen. Stärkt oder zehrt das auch?

Krause: Ich bin immer jemand gewesen, die aufsteht und einfach weitermacht. Früher war ich da noch ein bisschen krasser und habe gesagt: „Okay, das eine ist jetzt die Vergangenheit, und niemand kümmert sich mehr darum – es interessiert nur, was in der Zukunft passiert.“ Mittlerweile gehe ich ein bisschen anders damit um, lasse so etwas auch Revue passieren und sage: „Ich bin stolz auf das, was ich geschafft habe.“ Denn ich weiß ja, dass es nicht ewig so weitergeht und irgendwann ein Schlussstrich unter die Sportkarriere kommt. Eigentlich zieht alles viel zu schnell an einem vorbei. Man muss die Zeit nutzen und genießen. Ich bin trotz des Sturzes im WM-Finale mit einem positiven Gefühl aus der WM gegangen. Die Kraft, die ich da rausziehe, nehme ich mit in die Marathon-Vorbereitung. Aber natürlich zehrt das auch.

WELT: Eher körperlich oder mental?

Krause: Beides, aber mehr körperlich. Seit Wiederaufnahme des Trainings nach meiner Schwangerschaft habe ich fast durchtrainiert, hatte keinen Urlaub und keine Pause. Und das merke ich, mein Körper merkt es. Ich muss jetzt einfach durchhalten. Am Ende des Tages bin ich gesund und weiß, dass ich das schaffe – und dass es wichtig ist, mir nach meinem Marathon-Debüt eine Auszeit zu nehmen, bevor ich wieder weitermache.

WELT: Ist denn ein bisschen Ruhe eingekehrt in den Trubel mit Spitzensport und Familienmanagement – oder ist das gar nicht möglich?

Krause: Bei uns ist wirklich immer Trubel. Ich will jetzt nicht sagen, dass es eine Katastrophe ist – es ist einfach immer viel los. Und wenn nicht gerade Training und Laufen ansteht, sind es andere Dinge. Aber wir haben unseren Rhythmus gefunden, das funktioniert alles gut – mein Lebensgefährte und sind einfach ein gutes Team. Und was ich feststelle: Jetzt, da die Kleine ein bisschen älter wird, finde ich es einfacher als im ersten Lebensjahr. Ein Baby oder Kleinkind versteht natürlich noch nicht, was auf meinen Terminkalender steht. Aber wenn ich Luna jetzt sage, dass ich trainieren oder laufen muss, dann versteht sie das – und das macht es für mich vom Gefühl her gerade viel, viel einfacher.

WELT: Ist es denn die Suchen nach der erwähnten neuen Herausforderung, die Sie am Marathon reizt – oder was treibt Sie?

Krause: Es sind viele Komponenten. Schon vergangenes Jahr nach Olympia haben viele erwartet, dass ich entweder aufhöre oder mich umorientiere. Zu 100 % habe ich mit dem Thema Hindernislauf auch jetzt noch nicht abgeschlossen, weil es einfach meine Leidenschaft ist, ich diese Disziplin liebe und ich auch immer noch das Gefühl habe, dass grundsätzlich noch viel in mir steckt. Eigentlich möchte ich gerne noch mal wirklich zeigen, was ich über 3000 Meter Hindernis noch kann. Aber gleichzeitig möchte ich auch langfristig denken, möchte mir die Möglichkeit geben, neue Herausforderungen zu suchen. Und wenn ich vielleicht tatsächlich ein paar Jahre Marathon laufen will, ist das nichts, was man mal eben so macht und es auf Anhieb toll wird. Ich gehe da nicht naiv, sondern mit viel Respekt heran. Es ist eine Disziplin, die ein paar Jahre Zeit braucht, bis man zu seinem besten Leistungsvermögen kommt. Eine Disziplin, bei der dich auch die Kilometer und die Wettkämpfe prägen und besser machen. Ich bin nicht mehr ganz die Jüngste, und ich wollte mir alle Optionen offenlassen.

WELT: Auch in Richtung Olympischer Spiele 2028 in Los Angeles?

Krause: Ja, auch mit Blick auf die nächsten Olympischen Spiele oder was danach noch kommt. Alles, was ich erwähnt habe, sind Gründe, für die ich irgendwann mal anfangen muss. Ich werde nicht in Valencia laufen, danach sagen, es sei das Allerbeste gewesen, und dann bereit sein für LA. Ich kann noch gar nicht sagen, wohin diese Reise führt, aber um überhaupt die Möglichkeit zu haben, ein bisschen mehr zu wissen, muss ich beginnen. Ein neues Ziel zu haben, bei dem man sich zudem langsam steigern und persönliche Bestzeiten aufstellen kann – das reizt. Ich glaube auch, dass ich von meiner Laufökonomie ein bisschen Talent für längere Strecken habe.

WELT: Spielt auch das Flair, die Atmosphäre, der Mythos der großen Marathonläufe wie Boston, New York und Berlin eine Rolle?

Krause: Ich mag diesen Moment sehr, wenn man ein Stadion betritt mit 60.000 Zuschauern und in einem Kessel steht – das ist verdammt cool und ein Grund, weshalb ich das gemacht habe. Marathon auf der anderen Seite hat in den vergangenen Jahren auch im Freizeitsport einen absoluten Hype erreicht, und ich habe im Frühjahr ein bisschen Straßenlaufluft schnuppern können bei Halb-Marathons und anderen Läufen – ein ganz anderes Flair als auf der Bahn. Nicht besser, einfach anders. Und sicherlich sind die Möglichkeiten für Sponsoren und Förderer im Straßenlauf noch mal anders, glaube ich.

WELT: Während Sie auf der Bahn eher eingeschränkt sind?

Krause: Ja, da sind wir leider sehr limitiert. Insgesamt gibt es einfach sehr viele Faktoren, die zusammengekommen sind, über die Jahre vor allem auch eine große Neugier: Was kann ich da erreichen? Mit meinem Trainer arbeite ich jetzt fast 18 Jahre zusammen, und er hat viele Marathonläufer trainiert, sodass ich schon lange gesagt habe: Irgendwann möchte ich unter ihm einen Marathon laufen.

WELT: Sie sagten, Sie haben großen Respekt. Vor diesem Unbekannten? Vor der Streckenlänge? Können Sie sagen, wovor genau?

Krause: Vor der Distanz. Ich bin eine Mittelstrecklerin, und wenn man mich fragen würde, ob ich lieber 1500 oder 5000 Meter laufen würde, wären es die 1500. Und eigentlich finde ich im Training gerade die kurzen, intensiven Einheiten total cool. Aber ich habe mir andererseits über viele Jahre eine gewisse Basis im Ausdauerbereich erarbeitet, und deswegen glaube ich, dass es machbar ist. Respekt habe ich auch vor dem Tempo, das man über einen sehr langen Zeitraum laufen muss. Länge, Dauer, Tempo – das sorgt definitiv für Nervosität bei mir, davor habe ich ein bisschen Bammel. Das Schöne ist: Da ich es noch nicht gemacht habe, gehe ich mit einer gewissen Unbedarftheit heran.

WELT: Wie groß ist die Trainingsanpassung und -umstellung?

Krause: Es ist gar nicht so drastisch, weil ich schon immer relativ viel Umfang absolviert habe, also relativ viele Kilometer gelaufen bin, auch im Herbst. Das kommt mir vielleicht jetzt zugute. Der größte Unterschied sind die langen Läufe. Mein längster Dauerlauf war sonst immer 20 bis maximal 25 Kilometer – jetzt laufe ich in einem Acht-Tages-Rhythmus zweimal 30 Kilometer. Und es geht ja auch darum, diese langen Dauerläufe in einer gewissen Qualität zu machen. Früher habe ich am Ende der Woche meinen Long Run noch irgendwie gemacht, da kam es nicht wirklich auf die Zeit an. Jetzt ist der Long Run eine der Kerneinheiten. Das ist körperlich eine Umstellung. Beim Wochenpensum sind es vielleicht 20 bis 30 Kilometer mehr als vorher.

WELT: Ein neues, großes Thema ist dann auch die Ernährungsstrategie während des Marathons. Wie gehen Sie da heran?

Krause: Ich habe mich sehr intensiv mit der Materie beschäftigt. Mein Trainer hat mir auch schon in den vergangenen Jahren nahegelegt hat, dass ich mich bei den Long Runs verpflege, selbst wenn es nur 20 Kilometer waren, dass sich lerne, währenddessen zu trinken. Ich starte also nicht bei null, dennoch ist das Thema jetzt natürlich anders, weil es beim Marathon enorm wichtig ist und weil sich in dem Bereich viel verändert hat. Heute führt man während langer Läufe eine viel, viel größere Menge Energie zu als noch vor einigen Jahren. Da gab es eine Revolution.

WELT: Lange hieß es, ganz allgemein gesprochen, 60, dann 60 bis 90 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde – je nach Körpergewicht und Belastung. Aufgrund der begrenzten Aufnahmefähigkeit des Darms. Mittlerweile sind die Top-Ultraläufer sowie die Top-Triathleten auf der Langdistanz bei bis zu 180 Gramm. Bei Ihnen dürften es aufgrund der Distanz weniger sein.

Krause: Ich habe mich da ein bisschen belesen, beobachtet und mir eine Strategie erdacht, die ich jetzt trainiere und teste. Bei der Distanz und der Länge sind es natürlich ganz andere Dimensionen an nötiger Flüssigkeit und Kohlenhydratzufuhr, als ich es kenne. Daran muss ich meinen Magen-Darm-Trakt gewöhnen. In Ruhe oder auf dem Fahrrad ist es noch mal etwas anderes, als wenn man bei einem Tempo von 17 bis 18 km/h etwas runterschlucken muss. Eine Wissenschaft für sich!

WELT: Warum haben Sie sich Valencia als Premiere ausgesucht – wegen des Datums oder wegen des guten Rufes der Veranstaltung?

Krause: Ich habe natürlich damit geliebäugelt, mein Debüt in Deutschland zu geben. Aber der Zeitpunkt war ein Faktor, warum es nicht dazu gekommen ist. Die Marathonläufe im Herbst in Deutschland waren für mich nicht machbar, weil ich eine adäquate Zeit brauche, um mich vorzubereiten. Selbst Valencia ist noch relativ knapp mit elfeinhalb Wochen, die ich seit meinem WM-Finale habe. Aber es war die einzige Möglichkeit, in diesem Jahr noch zu laufen. Und Januar war für mich keine Option, so kurz nach Weihnachten. Ich finde, da fährt man ein bisschen runter, ist mal eine Woche raus aus dem Leistungssport. Und Valencia stand schon immer auf meiner Bucket-List. Da dachte ich: Wenn ich schon nicht in Deutschland laufe, dann wenigstens auf einer Strecke, von der jeder schwärmt, wo man eine gute Zeit laufen kann und ein Ort, in dem eine gewisse Magie steckt.

WELT: Wie wichtig ist Ihnen das?

Krause: Sehr! Für mich ist es immer wichtig, dass man Vorfreude verspürt und Nervenkitzel dabei ist. Dass man es unbedingt möchte. Und ich hoffe, dass mir diese schnelle Strecke und die Stimmung dort eine gute Starthilfe für meinen ersten Marathon geben werden.

WELT: Glauben Sie, dass die Marathonwelt, die nicht – wie auf der Bahn – gespickt ist von einem vollen Wettkampfkalender, das Familienmanagement einfacher macht?

Krause: Nicht zwingend und auf jeden Fall noch nicht, weil ich mich ja noch nicht 100 Prozent von der Bahn verabschiedet habe und es sein kann, dass ich nächstes Jahr noch mal auf der Bahn unterwegs sein werde. Ich habe 2026 zudem zwei Bundeswehrlehrergänge, die ich absolvieren muss, und dementsprechend ist das nächste Jahr sehr voll. Es fällt mir auch schwer, den nächsten Marathon zu planen, wenn ich noch keinen gefinished habe. Aber ja, ich glaube, wenn die Zukunftsentscheidung irgendwann gefallen ist, könnte das schon ein bisschen mehr Ruhe hineinbringen.

Melanie Haack ist Sport-Redakteurin. Für WELT berichtet sie seit 2011 über olympischen Sport, extreme Ausdauer-Abenteuer sowie über Fitness & Gesundheit. Hier finden Sie alle ihre Artikel.

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